Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wie kreislauffähig sind EPS-, XPS- und PU-Dämmstoffe?“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2023 erschienen.
Seit im Bauwesen Ökologie und Nachhaltigkeit die Ausrichtung der Branche maßgeblich bestimmen, geraten auch die auf Erdöl basierenden Dämmstoffe immer wieder in die Kritik. Zu dieser Gruppe gehören die Polyurethan-Dämmstoffe (PU), die extrudierten Polystyrol-Dämmstoffe (XPS) und die expandierten Polystyrol-Dämmstoffe (EPS), bekannt als Styropor, die das größte Marktvolumen darstellen.
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Recycling von Styropor bereits etabliert
Gerade Letztere stehen allein aufgrund ihrer weiten Verbreitung vor allem als Wärmedämmverbund-Systeme oft im Fokus der Diskussion. So hört auch Jürgen Sohn, Geschäftsbereichsleiter Recycling der Unternehmensgruppe Bachl, von Architekten immer wieder, dass EPS nicht recyclingfähig sei. Dabei besteht die Recyclingindustrie schon lange. Die Karl Bachl Kunststoffverarbeitung betreibt seit 30 Jahren ein eigenes Rücknahmesystem für die Baustellenverschnitte der im Unternehmen produzierten und vertriebenen EPS-Platten. Ebenso lang existiert auch die Branchenlösung des Industrieverbandes Hartschaum (IVH), dessen Mitglieder, zu denen auch die Karl Bachl Kunststoffverarbeitung zählt, etwa 80 Prozent der Absatzmenge abdecken. Geschäftsführerin Serena Klein sagt: „Der Abholservice wird jedem Kunden angeboten, der bei unseren Mitgliedern den Dämmstoff bestellt.“
Rücknahme von Verschnitt auf der Baustelle
Zurückgenommen werden die Verschnittreste, die beim Einbau der Dämmplatten entstehen. Das hört sich einfach an, erfordert aber ein flächendeckend und lückenlos funktionierendes Abholsystem, das auch dem Rechtsrahmen entspricht. Auch sollten sich daran möglichst viele Hersteller beteiligen. Dies wird im Großen und Ganzen durch die Angebote der jeweiligen Verbände sichergestellt, die für ihre Mitglieder übergreifende Lösungen erarbeitet haben. Aufgrund des langjährigen Engagements sind diese beim IVH am weitesten fortgeschritten. Geschäftsführerin Serena Klein erklärt: „Wir haben den Service unter der Marke ‚EPS Cycle‘ zusammengefasst. Darin sind alle Aktivitäten um das Recycling und die Kreislaufwirtschaft enthalten.“ Für die Abholung der Baustellenverschnitte kooperiert der IVH mit ecoservice24, einem Tochterunternehmen von Interzero. Ecoservice24 verfügt über ein bundesweites Netz aus Abholbetrieben und Entsorgern.
Jetzt auch Rücknahme von XPS-Dämmung
Um Ressourcen zu schützen und einen Beitrag für die Umwelt zu leisten, entschied sich im letzten Jahr auch der XPS-Dämmstoffhersteller Austrotherm, seinen Kunden einen Rückholservice für Baustellenverschnitte anzubieten. Der Grund dafür, weshalb das Angebot anders als für EPS erst jetzt erfolgt, sind die geringen Rücknahmemengen. Geschäftsführer Alexander Sinner, der auch die Fachvereinigung Extruderschaumstoff (FPX e. V.) als Vorstandsvorsitzender vertritt, sagt: „Das Marktvolumen aller XPS-Dämmstoffe beträgt in Deutschland schätzungsweise drei Millionen Kubikmeter, wovon nur etwa ein Prozent Baustellenverschnitte sind. Diese Reste landeten bisher üblicherweise im Container für Baumischabfälle, die auf einer Deponie entsorgt oder in Ersatzbrennstoffkraftwerken in Wärme und Strom umgewandelt werden.“
Um perspektivisch für die rund 30.000 Kubikmeter XPS-Verschnitte ein ökologisches und wirtschaftliches System zu etablieren, strebt auch die Fachvereinigung Extruderschaumstoff mit „XPS circular“ eine Branchenlösung an, die demnächst mit einer Pilotphase starten soll. Bewährt sich das System, wird auch Austrotherm dieser Branchenlösung beitreten. Ziel ist es, dass alle XPS-Dämmplatten unabhängig vom Hersteller angenommen werden.
Rücknahme von PU-Hartschaumplatten
Auch der Industrieverband Polyurethan-Hartschaum (IVPU), in dem nahezu alle PU-Dämmstoff-Hersteller organisiert sind, bietet seinen Kunden seit 2021 die Rücknahme von Baustellenverschnitten über ecoservice24 an. Man musste aber feststellen, dass die Rückgabemengen für eine flächendeckende Verwertung zu gering sind. Geschäftsführer Tobias Schellenberger sagt: „Das derzeitige Rücknahmesystem gewährleistet nicht, alle Verschnitte einer Wiederverwertung zuzuführen. Deshalb starten wir dieses Jahr in Zusammenarbeit mit der Recyclingfirma PDR in Berlin/Brandenburg ein Pilotprojekt, das die Verarbeitung zu neuen PU-Funktionsdämmstoffen und damit eine Wiederverwendung der PU-Materialreste sicherstellen soll.“
Recycling-Produkt: PU-Funktionsdämmstoff
Diese PU-Funktionsdämmstoffe werden schon seit Langem aus den Produktionsresten der Hersteller, und jetzt auch aus den Baustellenverschnitten, in einem eigens dafür konzipierten Werk hergestellt. Die Reste werden zermahlen, das Mehl mit einem Bindemittel vermischt, das Gemisch unter Temperatur gepresst und abschließend zu Plattenware verarbeitet. Das Ergebnis ist ein Material, das Holzwerkstoffen ähnelt und sich auch dementsprechend bearbeiten lässt. Durch seinen Lambda-Wert ≥ 0,083 W/(m·K) zählt es noch zu den Dämmstoffen, wobei die Druckfestigkeit von 7,1 MN/m² der eines leichten Mauersteins entspricht. Aufgrund dieser Eigenschaften sowie der Wasser- und Fäulnisresistenz ist der Werkstoff zur Dämmung von Wärmebrücken prädestiniert.
Typische Einsatzbereiche sind Attiken von Flachdächern, Fenster-Montagerahmen oder Lichtkuppelbohlen. Der Funktionsdämmstoff ist nicht nur äußerst langlebig, sondern er lässt sich am Ende der Nutzungsdauer auch wieder zu einem neuen Funktionsdämmstoff recyceln – und das mehrfach. „Obwohl es sich hier um ein hochpreisiges Produkt handelt, ist die Nachfrage danach groß“, so Tobias Schellenberger.
Recycling-Produkt: EPS-Granulat
Nachgefragt und seit Langem in der Baubranche etabliert sind auch die EPS-Granulate, die aus den Baustellenverschnitten entstehen. Sie werden geschreddert und zu kleinen Kügelchen verarbeitet und Mörteln, Putzen, Betonen und in erster Linie Ausgleichsschüttungen als Leichtzuschlagstoff zugesetzt. „Damit sind die Baustellenverschnitte ein hochwertiger Rohstoff, den wir auch in den nächsten Jahren noch brauchen werden“, konstatiert Jürgen Sohn.
Recycling-Produkt: EPS-Rezyklatplatten
Ein weiteres Anwendungsgebiet sind Rezyklatplatten, die zu 100 Prozent aus EPS-Granulat bestehen. Sie eignen sich als Grundmauerschutz- oder Drainageplatten sowie zur Dämmung für die oberste Geschossdecke. „Das Produkt besitzt eine allgemeine Bauartgenehmigung vom Deutschen Institut für Bautechnik. Grund dafür ist, dass es noch keine Regelungen in der zuständigen Produktnorm DIN EN 13163 gibt, die Recycling im Sinne von Rohstoffersatz berücksichtigen“, erklärt Serena Klein und weist damit zugleich auf noch zu lösende Aufgaben hin, die nicht nur EPS-Dämmstoffe betreffen.
Recycling von XPS-Dämmung
Es ist zwar seit Jahren gängige Praxis, dass EPS- und auch XPS-Dämmstoffe einen gewissen Anteil an Rezyklaten enthalten. Wie hoch der Anteil aber maximal sein darf, ist derzeit noch völlig offen. Zunächst einmal ist es dafür notwendig, die technischen Grenzen der Dämmstoffe zu ermitteln. Serena Klein: „Unser Verband führt zusammen mit dem Forschungsinstitut für Wärmeschutz e. V. München (FIW) gerade ein Projekt durch, das alle EPS-Anwendungsgebiete dahin gehend untersucht.“
Neben in den nach DIN 4108-10 genannten Standardanwendungen kann XPS mit Recyclinganteilen perspektivisch ebenfalls in den durch Zulassungen geregelten Spezialdämmungen zur Anwendung kommen. Hierzu zählen lastabtragende Bodenplatten, Kellerdämmungen im drückenden Wasser sowie Dämmungen im Umkehrdach. Jürgen Sohn sagt aber auch: „Wir sollten nicht von Rezyklat-Quoten von bis zu 80 Prozent träumen. Dafür reichen die derzeit zurückgeführten Mengen an Restmaterialien gar nicht aus.“
Saubere Trennung ist entscheidend
Übereinstimmend erklären die Verbandsvertreter zudem, dass hinsichtlich der Rücknahme der Baustellenverschnitte nach wie vor das größte Problem darin besteht, dass nicht sauber gesammelt wird. In die transparenten Säcke, die den Verarbeitern auf den Baustellen zur Verfügung gestellt werden, dürfen nur sortenreine und saubere Materialreste hinein. Oft finden sich darin aber leere Getränkedosen, Essensreste und viele andere Dinge mehr. Der komplette Sack wäre somit als Abfall zu entsorgen, was dem eigentlichen Ziel widerspricht. Deshalb werden in solchen Fällen die Säcke stehen gelassen oder manuell sortiert. Beides ist nicht im Sinne des Erfinders, zeigt aber auch, wie leicht der Baustellenalltag die Kreislaufwirtschaft torpedieren kann.
Pilotprojekt soll belastbare Daten sammeln
Bislang sind der Branche keine genauen Zahlen zu den Rücknahmemengen bekannt. Das wird sich jetzt ändern. Im FPX-Pilotprojekt „XPS circular“, das im Januar startet, ist die Datenermittlung und gezielte -aufbereitung inkludiert, so Norbert Buddendick, Geschäftsführer der Fachvereinigung Extruderschaumstoff: „Nur mit belastbaren Daten können wir das Recycling von XPS gezielt weiterentwickeln.“ Auch beauftragte erst kürzlich der IVH das Marktforschungsunternehmen Conversio Market & Strategy damit, eine spezielle EPS-Stoffstromstudie zu erarbeiten, die unter anderem die Mengen der zurückgenommenen Baustellenverschnitte ermitteln soll.
Recycling-Verfahren für HBCD-haltige Dämmstoffe
EPS- und XPS-Dämmstoffe enthielten bis zu seinem Verbot 2015 das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD). Im Zuge dieses Verbots durften die Abfälle nicht mehr mechanisch recycelt, also geschreddert werden. Das bedeutet, dass alle vor 2015 verbauten Dämmplatten aus Abbrucharbeiten nur noch thermisch verwertet, also verbrannt werden dürfen. Doch das wird sich zeitnah zunächst für alte EPS-Dämmplatten ändern.
Bereits im Juni 2021 ging im niederländischen Terneuzen die erste Anlage in Betrieb, die im industriellen Maßstab in einem physikalischen Recyclingprozess aus den alten Platten die Grundstoffe Polystyrol und Brom zurückgewinnt und das HBCD dabei sicher zerstört. Damit wurde jetzt erstmals ein geschlossener Kreislauf für HBCD-haltige EPS-Abfälle geschaffen. Auch die heutige Dämmstoff-Generation mit dem umweltfreundlichen Flammschutzmittel Polymer-FR lässt sich in der Anlage recyceln. PU-Dämmstoffe enthielten im Übrigen nie HBCD.
Der Standort Terneuzen wurde aufgrund der Nähe zur derzeit einzigen Bromrückgewinnungsanlage Europas gewählt. Die bei diesem als PSLoop (PolyStyreneLoop) bezeichneten Verfahren eingesetzte Technik basiert auf dem vom deutschen Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung entwickelten CreaSolv-Verfahren. Diese Technologie wurde bereits als beste verfügbare Recycling-Technologie für die Verarbeitung von HBCD-Abfall in die Basler Konvention des Umweltprogramms der UN (UNEP) aufgenommen.
Deutsche Hersteller schließen sich zusammen
Im März 2022 musste die genossenschaftliche Betreiberfirma PolyStyreneLoop jedoch Insolvenz anmelden, da Bauverzögerungen aufgrund der Corona-Pandemie sowie steigende Energiekosten die Wirtschaftlichkeit des Projektes in Gefahr gebracht hatten. Gerettet aus der Insolvenz wurde die Anlage schließlich durch eine Gruppe deutscher EPS-Hersteller, denen die Weiterführung des Projektes als Branchenlösung für die Umsetzung der europäischen Recyclingziele für Kunststoffe wichtig ist. PSLoop ist nun eine 100-prozentige Tochter der deutschen GEC Group, der Beteiligungsgesellschaften der Unternehmensgruppen Bachl, Rygol Dämmstoffe sowie der Brohlburg Dämmstoff- und Recyclingwerke angehören.
Sammellogistik wird aufgebaut
Der Neustart der Anlage ist für das erste Quartal 2023 anvisiert. Zunächst will man sich auf das Recycling von EPS konzentrieren, im nächsten Schritt ist das XPS-Recycling geplant. Damit genügend Altmaterial die Anlage erreicht, wurde bereits in der Pilotphase mit dem Aufbau einer Sammellogistik begonnen. Bisher sind auf der Website des Industrieverbands Hartschaum (ivh.de) unter Umwelt/Recycling drei Adressen angegeben. Darunter befindet sich mit FZ-Recycling sogar eine mobile bundesweite Vor-Ort-Sammlung auf der Baustelle. „In Zukunft werden wir die Entsorger auch sukzessive über PSLoop informieren, sodass Architekten diese Möglichkeit bei einer Anfrage zur Entsorgung von HBCD-haltigem Dämmstoff mit angeboten bekommen“, erklärt Jürgen Sohn von Bachl. Somit können Architekten mit ihren Bauherren entscheiden, was mit dem Altmaterial passiert. „Die Rücknahme und das Recycling über PSLoop rechnen sich zudem für die Bauherren. Im Vergleich zur Verbrennung sparen sie etwa 20 Prozent an Kosten ein“, sagt Serena Klein.
PSLoop kann auch mit Anhaftungen umgehen
Nun sind bekanntlich ausgebaute Dämmplatten aus Abriss- oder Umbauprojekten nicht frei von Anhaftungen. Das PSLoop-Verfahren kann aber auch mit Bitumen- und/oder Mörtelresten umgehen. „Wie störstoffbehaftet das Altmaterial genau sein darf, definiert ein Datenblatt, das die Lieferfirmen erhalten“, erklärt Jürgen Sohn.
Fasst man alle Aktivitäten der Sparte Kunststoff-Dämmstoffe hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft zusammen, so hat diese Branche bisher viel erreicht – vor allem auch gegenüber Dämmstoffen aus Holz- und Pflanzenfasern. Für die gibt es noch keine vergleichbare Recycling-Infrastruktur, sodass eine die verschiedenen Dämmstoffe vergleichende Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu) von 2019 die thermische Verwertung als derzeit besten Entsorgungsweg entsprechend der Abfallökobilanz angibt.
EPS-Dämmstoff
EPS steht für expandiertes Polystyrol. Für die Herstellung des Dämmstoffs wird Polystyrol-Granulat in einem Vorschäumer mit Wasserdampf beaufschlagt. Die kleinen harten Polystyrol-Kugeln werden so auf ein Vielfaches ihres ursprünglichen Volumens aufgeschäumt und in beliebige Formen, zum Beispiel in meterhohe Blöcke, verschweißt. Aus den Blöcken werden dann Dämmplatten geschnitten.
Industrieverband Hartschaum: ivh.de
XPS-Dämmstoff
XPS steht für extrudiertes Polystyrol. Für die Herstellung der farbigen Dämmplatten wird Polystyrol-Granulat geschmolzen und danach mithilfe eines Treibmittels, in der Regel Kohlendioxid, durch eine flache Düse gepresst. Dabei schäumt das Polystyrol um ein Vielfaches seines ursprünglichen Volumens auf und es entsteht eine geschlossenzellige homogene Masse, die hohem Druck standhält und kein Wasser aufnehmen kann. Das Treibmittel CO2 verbleibt in den Zellen und sorgt für die Dämmung.
Fachvereinigung Extruderschaumstoff: xps-spezialdaemmstoff.de
PU-Hartschaum
PU ist die Bezeichnung für eine Dämmstoff-Gruppe, die PIR- und PUR-Dämmstoffe umfasst. Die Dämmstoffe werden aus den Rohstoffen MDI und Polyol unter Zugabe von Treibmitteln hergestellt. Im Zuge des Herstellungsprozesses schäumt das Gemisch aus flüssigen Rohstoffen auf und härtet aus. PUR und PIR besitzen unterschiedliche technische Eigenschaften. PU-Dämmstoffe werden in Form von Dämmplatten mit Deckschichten oder Blöcken hergestellt.
Industrieverband Polyurethan-Hartschaum (IVPU): daemmt-besser.de
EPS-Leitfaden
Der Leitfaden für die Weiterverwertung und das Recycling von EPS-Dämmstoffen informiert über die Herstellung und die abfallrechtliche Bewertung bis hin zu Recycling und Verwertung. Die Broschüre ist kostenfrei downloadbar über die Website des IVH.
Umfangreiche Informationen, die von EPS-Rohstoff- und Produktherstellern und wissenschaftlichen Instituten bereitgestellt werden, bietet zudem das Forum für sicheres Dämmen mit EPS.
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