Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Investorenmut“ im Deutschen Architektenblatt 04.2023 erschienen.
Was haben ein ehemaliger Luftschutzbunker aus den 1940er-Jahren, eine „entweihte“ neugotische Kirche im Duisburger Hafenviertel Homberg, ein Dorf in der Südeifel mit alten, teilweise eingefallenen Bruchsteinhäusern und schließlich eine stattliche Reihe ehemaliger Gewerbebetriebe, die einst die Hinterhöfe der erhaltenen Gründerzeitviertel Düsseldorfs belebten, gemeinsam?
Sie alle wurden in den letzten Jahren – oder werden derzeit – saniert und einer neuen, ganz anderen Nutzung zugeführt: Die Kirche wurde zum deutschlandweit ersten privaten Kolumbarium „Rheinkirche“ (einen Bericht über Kolumbarien in Kirchen finden Sie ebenfalls bei uns), der Bunker öffnet sich mit Kunstausstellungen noch in diesem Frühjahr dem Publikum, die Hinterhof-Werkstätten sind oder werden zu attraktiven Loft-Wohnungen oder Büros und der idyllisch gelegene Weiler „Staudenhof“ in der Eifel soll einmal eine Aussteigeroase für gestresste Manager werden; derzeit führt man Gespräche mit der Gemeinde.
Architektur als Immobilienentwicklung
Verantwortlich für diese und andere „Wiederbelebungen“ ist das Düsseldorfer Architekturbüro, das unter dem sprechenden Namen „Küssdenfrosch Häuserwachküssgesellschaft“ firmiert. Deren Chef Andreas Knapp resümiert die Arbeit seines 25-köpfigen Teams folgendermaßen: „Wir machen das, was man sich als Architekt oder Architektin vielleicht am meisten wünscht, was sich aber in der Praxis des Berufslebens meist verliert: Wir suchen geeignete Immobilien, entwickeln tragfähige Nutzungskonzepte und realisieren diese dann auch selbst – ohne dass uns jemand reinredet.“ Knapp und sein Team sind Entwickler, Investorinnen, Bauherren und Architektinnen in einem. Ein Traum – oder wie kann das funktionieren?
Immobilienentwicklung: Kaufen, planen und betreiben
Rund 300 Sanierungsprojekte ganz unterschiedlicher Gebäudetypologie hat das Team von Küssdenfrosch in den 20 Jahren seines Bestehens bereits „durchgespielt“. Nicht alles wurde realisiert, aber eben doch das meiste. „Inzwischen“, so Andreas Knapp, „haben wir einen schnellen Blick für Sanierungskosten und das Machbare.“ In der Regel erwirbt Knapps Büro die Immobilien und, sofern keine externen Partner hinzugezogen werden, betreibt sie in Eigenregie.
Am Bilker Bunker scheiterte ein Investor
Ein Beispiel hierfür ist der „Bilker Bunker“ in Düsseldorf, der zwischen 1942 und 1944 errichtet wurde. Nach Jahren des Leerstands wurde der Luftschutzbunker vom Bund als Eigentümer versteigert. Der Käufer, ein Investor, der den üblichen renditeorientierten Weg von Abriss und Wohnungsneubau gehen wollte, scheiterte an einer Bürgerinitiative, die für den inzwischen von Graffiti-Künstlern aufgewerteten Siebenstöcker eine Unterschutzstellung als Denkmal erreichte.
Andreas Knapp, der seine eigene Idee einer Neunutzung im Kopf hatte, einigte sich mit dem Investor auf den Abkauf, organisierte Workshopgespräche und entwickelte gemeinsam mit der Anwohnerschaft die Idee eines lokalen Kulturzentrums weiter.
Einnahmen über Penthouses und Förderung
Zur Finanzierung des Projektes (Gesamtumfang circa 4,5 Millionen Euro) stockte er den Bunker mit fünf hochwertigen Penthousewohnungen auf, jeweils doppelstöckige Kuben mit verzinkten Stahlfassaden und großzügigen Terrassen, von denen sich die Stadt fast im 360-Grad-Radius überblicken lässt. Zwei davon sind bereits verkauft (für circa 15.000 Euro pro Quadratmeter).
Hinzu kam eine Bundesförderung durch das Bauministerium im Rahmen des Programms „Nationale Projekte des Städtebaus“ von circa 1,4 Millionen Euro (der Antrag hierfür erfolgte gemeinsam mit der Stadt), das dem Bunker-Projekt Pilotcharakter attestierte und es als „Beispiel für den Erhalt stadtbildprägender, symbolhafter Architektur und deren Nutzung im Rahmen eines neuen, zeitgemäßen Konzeptes“ lobte.
Bilker Bunker als Kulturort
Für den Betrieb gründete Andreas Knapp eine gemeinnützige gGmbH, bestehend aus einer im Kunst- und Veranstaltungsbereich versierten Geschäftsführerin und drei Mitarbeitern. Zwei Etagen sind für Ausstellungen vorgesehen und können für Veranstaltungen gemietet werden; weitere Etagen dienen als Lager, Büro, Fahrradgarage und Showrooms, während die Räume in den beiden Untergeschossen für die Musikbar „Schleuse 2“ und multifunktionale Nutzungen stundenweise gemietet werden können.
Gelingt das Experiment, wird Düsseldorf um einen sich selbst tragenden kulturellen Veranstaltungsort reicher, in einer Stadt, die – so Knapp – in den letzten Jahren viele ihrer kulturellen Off-Räume zugunsten renditeträchtiger Hotel- und Büroimmobilien aufgegeben hat.
Architekt mit Geschäftssinn und Leidenschaft
Dass bei diesem Geschäftsmodell gleichwohl Kapital eine entscheidende Voraussetzung darstellt, liegt auf der Hand. Und hier zeigt sich die Story von Küssdenfrosch denn doch von individuellen Faktoren abhängig. Denn ohne seinen Erfolg als Entrepreneur, der schon als Student mit Liebhaberobjekten wie Musikboxen, Schaufensterpuppen, Kinoinventar und schließlich amerikanischen Wasserspendern handelte, Letztere in Deutschland einführte und damit innerhalb weniger Jahre ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern und 25 Millionen Euro Jahresumsatz aufbaute, wäre das anschließende Abenteuer von Küssdenfrosch kaum so erfolgreich ausgefallen.
Nach sechs Jahren Unternehmertätigkeit verkaufte Andreas Knapp seine Firma an einen asiatischen Tycoon und gründete 2003, nach ersten Erfahrungen als Sanierer und Entwickler, mit einem Studienfreund das eigene Büro in Düsseldorf. Die alte Leidenschaft für Hinterhöfe und historische Bausubstanz auf der einen Seite, der Spaß an neuen Geschäftsideen und deren Realisierung auf der anderen Seite hatten sich – mit dem Firmenkapital als Basis – gewissermaßen eine Form gegeben.
Private Investoren können Darlehen geben
Das Büro hat eine Marktlücke besetzt, was dazu führt, dass es sich heute über mangelnde Bewerbungen auf die Mitarbeit nicht beklagen kann. Als zusätzliches Finanzierungstool bietet Andreas Knapp privaten Investoren die Möglichkeit, an seiner Idee der urbanen Wiederbelebung zu partizipieren: Darlehensgeber erhalten eine feste jährliche Verzinsung von fünf Prozent; ein Instrument, das laut Knapp seit Jahren gut funktioniert und sich wachsender Beliebtheit erfreut.
Immobilienentwicklung mit fünf Firmen und Materiallager
Aktuell besteht das Unternehmen aus fünf Firmen: der Projektentwicklungsfirma Küssdenfrosch, dem Architekturbüro Anderswohneninderstadt sowie weiteren drei GmbHs, die einzelne Projekte wie den Kulturbunker leiten.
Die Nutzungskonzepte entwickelt Andreas Knapp mit den beiden Kolleginnen Renata Filipovic und Re Naudascher, die eine Architektin, die andere Innenarchitektin. Anschließend bilden sie für jedes Projekt ein Team von drei bis vier Personen. Und natürlich findet all dies in einem Büro statt, das in den Räumen einer ehemaligen, nun sanierten Schlosserei in einem Hinterhof liegt. Unter historischen belgischen Straßenlampen und vor alten Ziegelwänden – für das entsprechende Mobiliar unterhält das Büro mehrere Lager mit historischen Beständen –, aber über einem modernen Estrich und Fußbodenheizung arbeiten die Kolleginnen und Kollegen aktuell an zwölf Projekten parallel.
Nutzungskonzept WG-Haus
Gerade beginnen die Sanierungsarbeiten an einem um die Jahrhundertwende errichteten mehrstöckigen Mehrfamilienhaus in Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs, das Küssdenfrosch vor drei Jahren erwarb. Das erkennbar sanierungsbedürftige Wohnhaus, das im Erdgeschoss ehemals ein Hutgeschäft beherbergte, soll zu einem sogenannten WG-Haus umgebaut werden. Mit den Altmietern konnte man sich freundschaftlich auf einen Auszug einigen.
Die Raumaufteilungen bleiben erhalten, jedoch sollen aus den bisherigen Wohnungen 15 einzelne WG-Zimmer entstehen. Pro Etage werden zwei neue Bäder installiert und im Erdgeschoss eine neue Küche sowie ein geräumiger, als Esszimmer nutzbarer Loungebereich eingerichtet; zusätzlich wird der Hof als Gemeinschaftsort entwickelt. Unter Beibehaltung der historischen Atmosphäre soll, so die Idee, eine innovative Wohnform entstehen, die Geschäftsleuten wie Studierenden, die am Wochenende „nach Hause“ fahren, einen Einstieg in die Stadt bietet.
Die Zimmer werden neu möbliert, Teile des Jugendstilinterieurs sollen jedoch, so weit möglich, erhalten bleiben. Die alten Holzfenster zum Beispiel werden nicht ersetzt, sondern aufgearbeitet. Vermietung und Verwaltung übernimmt eine eigene Firma, die als Kooperationspartner gewonnen werden konnte.
Schneller Abriss muss erschwert werden
„Eine Stadt braucht neben Neubauten auch den historischen Bestand, um nicht ihr Gesicht zu verlieren“, sagt Andreas Knapp. Und wenn er sich etwas von Kommunen wünschen könnte, wäre es, dass sich diese Einsicht bei den Verantwortlichen in Zukunft stärker durchsetzt. „Wir brauchen nicht unbedingt mehr Denkmalschutz, das wäre zu aufwendig. Aber ein Tool wie beispielsweise eine neue Erhaltungssatzung, die den schnellen Abriss erschwert, der heute nur noch angezeigt werden muss, das wäre für unsere Städte mehr als sinnvoll.“
Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Saniert.
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