Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Möbel statt Mobilität“ im Deutschen Architektenblatt 04.2023 erschienen.
Von Nils Ballhausen
Die Kantstraße ist ein guter Ort, um die jüngeren stadträumlichen Inszenierungen des Berliner Westens hinter sich zu lassen. Während um Breitscheidplatz, Kurfürstendamm und Tauentzien ein immer größerer Aufwand betrieben wird, um Bedeutung zu behaupten (mehr Hochhäuser!), geht man in der nahen Kantstraße weiter seinen Geschäften nach oder wohnt einfach dort.
Kantstraße wandelt sich nur langsam
Der Wandel ist zwar auch hier stetig, aber er spielt sich in nachvollziehbaren Zeiträumen, Ladengrößen und Gebrauchsstrukturen ab. Meistens steht außen dran, um was es innen geht: iranisches Reisebüro, chinesische Küche, Nageldesign, Eisenwaren, Bücher. Normale Großstadt. Es gibt berühmte gastronomische Ankerpunkte wie die „Paris Bar“, in der schon viele Verbindungen im Architekturbetrieb angebahnt wurden.
Die Architektin Johanne Nalbach erinnert sich, dass sie dort mit dem Immobilienunternehmer Dirk Gädeke, für den sie bereits einige Hotelbauten realisiert hatte, zum ersten Mal über den Kant-Garagenpalast sprach, den ihr Büro schließlich sanieren und nebenan um einen Hotelneubau ergänzen sollte.
Parkhaus als neue Bauaufgabe erkannt
Die Geschichte dieser Hochgarage, Baujahr 1930, ist so verworren wie aufregend. Der Kaufmann und Ingenieur Louis Serlin hatte als Bauherr den gestiegenen Bedarf an innerstädtischen Unterbringungsmöglichkeiten für Automobile im Blick. Zunächst versuchten sich die Architekten Lohmüller, Korscheit & Renker an dieser noch relativ neuen Bauaufgabe. Zusammen mit dem anvisierten Hauptmieter, dem – später wieder abgesprungenen – Deutschen Auto Club, gelangte der junge Architekt Hermann Zweigenthal in das Projekt. Ihm ist vor allem die kühne Fassadengestaltung im Stil des Neuen Bauens zu verdanken, die das Gebäude schon kurz nach der Fertigstellung berühmt machte.
Dynamische Ikone des Automobilismus
Zweigenthal, der bereits Erfahrung als Bühnenbildner gesammelt hatte, wusste um die suggestive Wirkung dieser wohlproportionierten Mixtur aus gläserner Vorhangfassade und geschlossenen Wandflächen, vor allem bei Dunkelheit, wenn sich das Haus zu einem abstrakten Leuchtkörper verwandelte und sein bewegliches Innenleben, angereichert durch Tankstelle, Waschplatz und Reparaturwerkstatt, schemenhaft preisgab.
Die Idee der doppelten Wendelrampe für eine begegnungsfreie Auf- und Abfahrt soll hingegen der Bauherr Serlin von einer Reise mitgebracht und sie dann so in den Plan hineinkorrigiert haben, dass noch ein paar Stellplätze mehr heraussprangen. „Dass viele Leute mitreden, das gab es damals schon“, kommentiert Johanne Nalbach während unseres Rundgangs.
Eigentümer plante Abriss der Kantgaragen
Als 2013 öffentlich bekannt wurde, dass der damalige Eigentümer, das milliardenschwere Immobilienunternehmen Pepper, den Abriss des seit 1991 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes beantragt hatte, gründete sich aus Empörung eine Initiative, die unter anderem von BDA und Berliner Architektenkammer unterstützt wurde. Es stand zeitweise sogar die Gründung einer Genossenschaft im Raum, die den Bau hätte erwerben sollen.
Aber damit wäre es nicht getan gewesen. Seit Karl-Heinz Peppers Kauf 1961 wurde zwar gut mit der Hochgarage verdient, aber offensichtlich kaum etwas in ihre Instandhaltung und Pflege investiert. War hier bewusst auf Verschleiß gefahren worden, um nach einem Abriss profitabel neu bauen zu können?
Gutachten zu Bauschäden widersprechen sich
Zwei unabhängige Gutachten wurden eingeholt, um die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit eines Erhalts zu klären. Im einen galten rund 80, im anderen nur vier Prozent der Substanz als unrettbar zerstört. Hieß es hier, der jahrzehntelange Tausalzeintrag durch die Autos habe sämtliche Betondecken marode gemacht, so war man da der Meinung, dass die meisten Schäden mit vertretbaren Mitteln reparabel seien.
Neuer Eigentümer will Kantgaragen erhalten
Dass die Betonsanierung am Ende eher sechs statt der veranschlagten drei Millionen Euro, die Haustechnik eher sieben statt vier Millionen Euro gekostet hat, weiß Dirk Gädeke erst heute. 2015 übernahm die Rational Generalunternehmer GmbH & Co. Kantgaragenpalast KG, eine Tochter der Gädeke & Sons GmbH, das Haus aus dem Pepper-Portfolio. „Zu einem fairen Preis“, sagt Gädeke. Es sei sein lange gehegter Wunsch gewesen, dieses Gebäude zu neuem Leben zu erwecken.
Wirtschaftliche Idee zur Umnutzung gesucht
Dass mit dem Einstellen von Autos und dem zugehörigen Service eine so umfangreiche Sanierung heutzutage niemals erwirtschaftet werden konnte, stand für ihn von Anfang an fest. Noch vor Unterzeichnung des Kaufvertrags habe er daher mit Architektin Johanne Nalbach und den Behörden die denkmalrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen einer Nutzungsänderung ausgelotet.
Wie ließen sich Flächen für Kunst, Kultur, Gastronomie, Büros sowie ein Penthouse mit Dachterrasse integrieren? Mit welchen Mietern könnte sich das naheliegende Thema Mobilität hier darstellen lassen? Parallel dazu veranstaltete die „Initiative zur Rettung der Kantgarage“ öffentliche Diskussionen um innovative Nutzungskonzepte.
Anfangs sei er als neuer Eigentümer interessiert am Gedankenaustausch gewesen, jedoch erschienen ihm die von diversen Akteuren geäußerten Ideen zunehmend wirklichkeitsfremd und abgekoppelt von wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Statt konstruktiver Zusammenarbeit sah der Investor sein Projekt zerredet, die Behörden verunsichert, den Genehmigungsprozess weiter verzögert.
Zu viel Originalsubstanz entfernt?
Auf rund 40 Millionen Euro belaufen sich am Ende die reinen Baukosten für den Hotelneubau und die Sanierung der Hochgarage. Das Ergebnis begeistert nicht alle: Der Architekturhistoriker René Hartmann, einer der damaligen Kritiker der Umnutzung, ist überzeugt, dass der Kant-Garagenpalast in seiner heutigen Gestalt kaum noch etwas mit dem Gebäude zu tun hat, das in der Denkmalliste steht: „Alles, was denkmalwürdig war, wurde herausgerissen.“
Hätten die zuständigen Behörden das Denkmalschutzgesetz ernst genommen, so seine Einschätzung, wäre weitaus mehr Originalsubstanz erhalten geblieben. Von den 132 bauzeitlichen Garagen mit ihren stählernen Schiebe-Dreh-Toren („Heinrichs-Boxen“) seien nur 24 aufgearbeitet, die meisten aber wohl verschrottet worden. Die Böden mit dem originalen Gefälle seien abgefräst und begradigt wieder aufgebaut worden; damit hätten auch die eingelassenen Führungsschienen der Heinrichs-Boxen neu konstruiert werden müssen.
Die original erhaltene Südfassade aus Stahl und Drahtglas sei entsorgt worden, obwohl sie ebenso gut hätte ertüchtigt und mit neuen Gläsern ausgestattet werden können. Aber wäre bei dieser kompromisslos konservierenden Behandlung der Substanz eine Nutzungsänderung überhaupt umsetzbar gewesen? Für René Hartmann steht fest: „Eine Weiternutzung des Denkmals als Hochgarage wäre problemlos möglich gewesen.“
Denkmalschutz, Arbeitsstättenrichtlinie und EnEV
Das zuständige Architekturbüro hingegen ist zufrieden mit dem Erreichten. Sieben Jahre lang haben sich Nalbach Architekten detailliert mit den Brandschutzvorschriften, der Energieeinsparverordnung und der Arbeitsstättenrichtlinie beschäftigt, um die Umnutzung möglich zu machen – jeweils in Absprache mit Unterer Denkmalbehörde, Landesdenkmalamt und Bauaufsicht.
Angesichts der nervenaufreibenden Komplexität der Planung seien ihr „zwei gestandene Projektleiter von Bord gegangen“, bedauert Johanne Nalbach. Eine besondere Herausforderung habe beispielsweise darin gelegen, im Schwebezustand der Diskussionen über den neuen Zweck des Hauses den Brandschutz und die Haustechnik so zu konzipieren, dass möglichst viele Optionen für potenzielle Nutzer bleiben. Erst 2021, kurz vor Fertigstellung, war mit dem Unternehmen „Stilwerk“ der Hauptmieter gefunden.
Offene Leitungsführung und Brandschutzputz
Der architektonische Anspruch bestand im Inneren darin, die Konstruktion des Stahlbeton-Skelettbaus, ihre Korrekturen und notwendigen Ergänzungen weitgehend ablesbar zu belassen. Sie sei, sagt Architektin Johanne nalbach, eigentlich keine Freundin von offener Leitungsführung, aber hier ging es nicht anders. Sprinkleranlage, Stromtrassen, Lüftungskanäle, original erhaltene und neue Heizungsleitungen erzeugen ihr eigenes munteres Gespinst auf den durchgehend weiß gestrichenen Oberflächen. Gestalterisch kaum zu beherrschen, aber in einer ehemaligen Hochgarage womöglich verzeihlicher als in einem Sakralbau?
Ein 20 Millimeter starker Brandschutzputz überzieht die tragenden Bauteile und trägt damit auch zur visuellen Beruhigung bei. Artefakte wie die alten Brandschutztore und fragmentarische Wandbeschriftungen stellen einen Bezug zur Vergangenheit her.
Neue Wärmeschutzverglasung an Südfassade
Am gravierendsten verändert hat sich die Ansicht von der S-Bahntrasse im Süden. Die Fensterteilung der Neukonstruktion, jetzt mit zeitgemäßer Wärmeschutzverglasung, orientiert sich am Original. Wer die zuletzt immer traurigere Gestalt noch aus dem Zugfenster in Erinnerung hat, wird heute beim Vorbeifahren einen frischen Eindruck gewinnen und vielleicht neugierig werden, denn erstmals ist von hier durch das neu eingebaute Klarglas der unmittelbare Blick in das Innere der einstigen Hochgarage möglich.
Räume für das Auto heute zu Fuß erlebbar
Wer dem Gebäude unbehelligt von den Verästelungen der Berliner Baugeschichte, den Tücken einer denkmalgerechten Sanierung oder immobilienwirtschaftlichen Überlegungen gegenübertritt, findet heute eine Abfolge von einzigartigen Räumen vor, denen das revolutionär Neue ihrer Entstehungszeit noch immer anzumerken ist. Alle übrigen lädt das neu eröffnete Haus ein, es als Fußgänger zu besichtigten, zu erkunden und sich selbst ein Bild zu machen.
Was denken Sie über Denkmalschutz?
Die Kantgaragen sind ein gutes Beispiel dafür, wie sowohl ein Bestandsbau als auch sein Umbau kontrovers diskutiert werden. Ihnen drohte trotz Denkmalschutz der Abriss – mit der Art ihres Erhalts sind nicht alle glücklich. In unserem Schwerpunkt „Denkmal“ werden wir uns dem Thema Denkmalschutz weiter widmen. Dafür interessiert uns Ihre Meinung: Beschäftigt Sie der Denkmalschutz – und wieso?
Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Saniert.
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