Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Mehr Bauvergnügen dank IPA?“ im Deutschen Architektenblatt 06.2023 erschienen.
Von David Mattern und Anne Baureis
Die Integrierte Projektabwicklung (kurz IPA) mit Mehrparteienvertrag ist eine neuartige Form der Zusammenarbeit und stellt eine grundlegende Abkehr von den in der Bauindustrie bekannten Vertrags- und Abwicklungskonzepten dar (siehe DAB 03.2023, „Was ist eine IPA mit Mehrparteienvertrag?“). Der von seinen Unterstützern mit einer gewissen Goldgräberstimmung verfolgte Ansatz hat nichts weniger zum Ziel, als die Realisierung von Bauprojekten zu revolutionieren.
Abkehr von der Vorwurfskultur
Dabei ist die Grundidee, sämtliche vermeidbaren Störpotenziale zu eliminieren, die bei klassischen Vorhaben durch teilweise entgegengesetzte Interessen entstehen, um eine Fokussierung auf die gemeinsamen Planungsziele zu ermöglichen. Nicht die Sicherung eigener Pfründe oder die Ablehnung jeglicher Haftung steht im Mittelpunkt, sondern der Projekterfolg durch eine Vergemeinschaftung von Chancen und Risiken.
Damit trifft die IPA den Nerv der Zeit. Denn gerade die ins Berufsleben startende Generation sieht es nicht mehr als erstrebenswert an, die im Baugewerbe noch gängigen Konflikte auszufechten. Vielen erscheint es als keine attraktive Stellenbeschreibung, im Rahmen der Bauüberwachung die Bauunternehmen durch klare Ansprachen in die Spur zu bringen und dabei den Druck des Auftraggebers zu spüren.
Projekterfolg als gemeinsames Ziel
Bei der IPA sollen von Beginn an die maßgeblichen Projektbeteiligten gemeinsam an einer möglichst effizienten Realisierung des Projekts arbeiten. Sowohl Planer als auch Bauunternehmer bekommen von Anfang an die Möglichkeit beziehungsweise haben die Aufgabe, die Leistungen der jeweils anderen Beteiligten – und das ist das Neue an der IPA – zu prüfen und insbesondere auch mit Blick auf den eigenen Leistungsanteil Ideen zur Optimierung einzubringen. Je nach Projektzuschnitt wird dabei in gemeinsamen Räumlichkeiten (Co-Location) gearbeitet, was die Zusammengehörigkeit weiter stärkt.
Absicherung durch Haftungsausschluss
Diese neue Form der Zusammenarbeit gelingt mit einem – je nach konkretem IPA-Modell – unterschiedlich weit reichenden Haftungsausschluss. Folge ist, dass bei einer mangelhaften Planungs- oder Überwachungsleistung der Architekt nicht zur Rechenschaft gezogen und – wie teilweise in der Baupraxis üblich – aufgrund der bestehenden Haftpflichtversicherung präferiert in Anspruch genommen wird.
Stattdessen wird gemeinsam eine pragmatische Problemlösung identifiziert und die Umsetzung dem insoweit betrauten Partner (auf Selbstkostenbasis plus allgemeine Geschäftskosten/Overhead) vergütet. Somit kann es dazu kommen, dass der Architekt für die Beseitigung seiner eigenen Fehler erneut vergütet wird. Begründet wird dies mit der frühzeitigen Beteiligung aller IPA-Partner.
Tritt, trotz der gegenseitigen Überprüfung von Beginn an, ein Mangel auf, haben sich sämtliche Partner an die eigene Nase zu fassen: Denn ihre eigenen Kontrollmöglichkeiten haben sie offensichtlich nicht hinreichend ausgeschöpft.
Architekt macht keinen Verlust mehr
Diese Systematik nimmt erhebliche Unsicherheiten vom Architekten. Je nach Risikobudget und Effizienz der Projektrealisierung mag die Marge des Architekten zwar nicht immer außerordentlich sein, im Gegenzug erhält er jedoch die sichere Zusage, ein Projekt nicht mit einem Verlust abzuschließen. Gerade diese Planbarkeit ist ein starkes Argument für die Beteiligung an IPA-Projekten. Viel hängt also von der ursprünglichen Kalkulation und der vertraglichen Vereinbarung ab.
HOAI gilt nur eingeschränkt
Bei IPA-Projekten ist die HOAI im Hinblick auf Leistungen und Vergütung nur eingeschränkt anwendbar. Was zunächst unerfreulich klingen mag, bietet Chancen für den Architekten und wird durch vertragliche Regelungen konkret ausgestaltet. Detaillierte Leistungsbilder mit einer Aufteilung in Grundleistungen und Besondere Leistungen sucht man bei der IPA vergeblich. Architekten haben nur die Leistungen zu erbringen, die zum Erreichen der vom Bauherrn definierten Projektziele erforderlich sind.
Die Freiheit in der Bestimmung der notwendigen Leistungspflichten geht einher mit einer Ablösung von den üblichen Berechnungsarten des Honorars. Nicht mehr anrechenbare Kosten, Honorarzonen und Leistungsbilder sind entscheidend. Vielmehr erhält der Architekt eine Erstattung seiner Selbstkosten zuzüglich eines Zuschlags („Overhead“). Entscheidender Unterschied zur Abrechnung nach HOAI ist der Aufwandsbezug.
Ist die Ermittlung der eigenen Kosten noch schnell verinnerlicht, fällt häufig die Ermittlung der Allgemeinen Geschäftskosten sowie von Wagnis und Gewinn schwer. Dabei liegt der Vorteil auf der Hand: Die Gefahr, ein Projekt mit Verlust abzuschließen, ist bei einer IPA grundsätzlich nicht gegeben.
Neue Leistungen können hinzu kommen
Neu hinzu kommt, dass auch außerhalb der üblichen Leistungen liegende Pflichten von Architekten übernommen werden (können). So können sie bei einer IPA verpflichtet sein, auch gegenüber den anderen Beteiligten Personal zur Verfügung zu stellen. Solange hierfür keine gesonderte Vergütung gezahlt wird, handelt es sich auch nicht um Arbeitnehmerüberlassung, sondern um eine Ausprägung der Zusammenarbeit.
Status als freier Beruf
Auf den ersten Blick passt ein Teil der IPA-Merkmale nicht zum Beruf der Architekten als freiem Beruf. Die Unabhängigkeit und die Freiheit des Berufsbildes bedeuten, dass Architekten frei von eigenen Produktions-, Handels- oder Lieferinteressen, also ausschließlich als unabhängige Sachwalter des Bauherrn agieren und diesen unabhängig beraten, damit er alle wesentlichen Entscheidungen treffen kann.
IPA-Projekte setzen aber eine Zusammenarbeit und gemeinsame Entscheidungsfindung im Team voraus. Dies kann – je nach Ausgestaltung des Vertrages – dazu führen, dass der Architekt nicht mehr „frei“ tätig ist. Denn diesen Status können Architekten verlieren, wenn sie nicht mehr eigenverantwortlich und leitend tätig sind, wenn sie zum Beispiel weitere Fachkräfte einbinden und diese nicht ausreichend kontrollieren.
Gemeinsame Einstandspflicht
Diese „Gefahr“ ist für Architekten aber nicht neu und führt auch nicht per se zu Problemen. Denn auch bei „normalen“ Generalplanungsverträgen ist der Architekt nicht mehr „frei“ tätig. Die Einschränkung in Bezug auf den Freischaffenden-Status bei der IPA ist die gemeinsame Einstandspflicht mit den Bauleistenden, die fehlende Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit, weil Entscheidungen immer gemeinsam getroffen werden. Ob Architekten weiterhin als „freischaffend“ eingetragen bleiben können, sollte mit der zuständigen Kammer geklärt werden. Die Kammermitgliedschaft als solche ist aber nicht gefährdet.
Womöglich Gewerbesteuer
Allerdings sollten Architekten Folgethemen aus der möglicherweise verlorenen „Freiheit“ im Blick behalten. Denn hier ist aktuell noch einiges ungeklärt, wie etwa ob der Architekt Gewerbesteuer zahlen muss. Dies wäre die logische Folge, sobald der Architekt nicht mehr freiberuflich tätig ist. Sie wäre dann von Anfang an in das Projekt und die Vergütung einzukalkulieren, um nicht im Nachgang überraschend eine entsprechende Einstufung und Steuernachforderungen zu erhalten. Zu beachten ist dabei, dass die berufsrechtliche Definition „freischaffend“ unabhängig von der steuerrechtlichen Definition ist.
Versicherungsschutz bedenken
Auch ist ein Blick auf den Versicherungsschutz erforderlich: Bei den meisten Berufshaftpflichtversicherungen entfällt der Versicherungsschutz für ein Bauvorhaben, wenn ein Architekt gewerblich tätig ist. Umso relevanter ist für den Architekten, dass bei der IPA auch tatsächlich ein möglichst weit gehender Haftungsausschluss der Beteiligten untereinander vereinbart wird und der Bauherr eine Multi-Risk-Projektversicherung hat. Hier stellt sich dann auch die Frage nach einem Regressverzicht, insbesondere dann, wenn der Haftungsausschluss nicht (wirksam) vereinbart wird.
Fazit: IPA ist attraktiv, aber unerprobt
Eine IPA bietet in vielen Bereichen ein spannendes neues Arbeitsumfeld bei gleichzeitiger Zusicherung zumindest der Deckung aller Kosten und gleichzeitiger Freistellung von den üblichen Haftungsthemen. Deswegen kann die Beteiligung an einem solchen auf konstruktive Projektrealisierung ausgerichteten Modell („best for project“) attraktiv sein.
Trotz dieser Vorteile ist die IPA aktuell in Deutschland noch in der Erprobungsphase, weshalb es nur vereinzelt Praxiserfahrungen gibt. Das liegt unter anderem daran, dass es sich bei Mehrparteienverträgen um eine Vertragsart handelt, die es im deutschen Rechtssystem bisher nicht gibt. Ohne (erfahrenen) Rechtsbeistand sind die Vertragsinhalte schwer zu überschauen und zu verstehen. Zudem setzt die IPA – wie jedes neue Modell – am Anfang einen erhöhten Grundaufwand voraus (neuartige Verträge mit ungeklärten Rechtsfolgen, Beteiligung aller Partner von Beginn an, Einrichtung einer Co-Location), der sich derzeit wohl nur bei Großprojekten rechnet. Die Masse der von Architekten umgesetzten Vorhaben hat daher (noch) den falschen Projektzuschnitt für eine IPA.
Dr. David Mattern ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Rechtsanwalt bei Kapellmann Rechtsanwälte in Hamburg
Anne Baureis ist Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht und Rechtsanwältin bei Kapellmann Rechtsanwälte in Hamburg