Das Ziel der Ampel-Koalition, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, wurde verfehlt. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2022 in Deutschland 295.300 Wohnungen gebaut. Das sind nur 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr, und auch für 2023 wird ein erneutes Scheitern des Ziels prognostiziert. Die Gründe hierfür sind beispielsweise der Fachkräftemangel, Materialknappheit, die Energiekrise, Lieferkettenprobleme und die Inflation mit ihren explodierenden Preisen.
Die Frage, die sich nun stellt: Können wir das Bauen effizienter, und damit schneller und kostengünstiger machen? Einfachere Genehmigungsprozesse und mehr serielles Bauen sollen Abhilfe für den momentanen Missstand schaffen, so Bauministerin Klara Geywitz. Ich frage mich jedoch: Wäre letztere Strategie überhaupt zielführend und geht sie angetrieben von der Dringlichkeit auf Kosten von Architektur und Baukultur?
Massenware Wohnung
Serielles Bauen ist nicht neu. Nach 1945, beim Wiederaufbau der zerstörten Städte, bediente man sich der Bauweise industrieller Vorfertigung, um möglichst schnell möglichst viel neuen Wohnraum zu schaffen. Das gelang zwar: In drei Jahrzehnten baute die DDR über zwei Millionen Wohnungen – aber in welcher Qualität? Die Schnelligkeit ist es jedenfalls, die man sich auch mit der heutigen Anwendung des Bauprinzips zu Nutze machen will.
Durch eine wetterunabhängige Vorfabrikation in der Werkshalle kann die Bauzeit vor Ort drastisch reduziert werden, da auf der Baustelle nur noch die vorgefertigten Teile oder Module nach dem Baukastenprinzip zusammengefügt werden müssen. Somit reduzieren sich auch einige mit einer laufenden Baustelle einhergehende Risiken und Probleme.
Serielles Bauen soll des Weiteren einen Beitrag zum bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau leisten. In der Praxis bewiesen ist das noch nicht. Aber die Fertigung ist im Vergleich zu herkömmlichen Prozessen ressourcenschonender, und auch eine hohe bautechnische Präzision lässt sich dank digitalisierter und optimierter Prozesse gewährleisten.
Vorfertigung zu welchem Preis?
Doch bauen wir mit dieser Methode den Plattenbau von morgen – nur statt in Waschbeton in neumodischer Holzoptik?
Erst kürzlich merkte Jan Böhmermann in seiner Sendung an, dass unsere Innenstädte alle gleich aussehen. Serielles Bauen, geprägt von Standards und Wiederholung, ist nur dann sinnvoll, wenn sehr große Stückzahlen produziert werden. Wollen wir nun also unsere Vororte als gleichförmige, identitätslose Baukasten-Städte aus dem Boden stampfen, monofunktionale Wohnsiedlungen ohne soziale Durchmischung und noch mehr klimaschädliche Zersiedelung zulassen? Geraten wir mit dem seriellen Bauen in einen Zielkonflikt?
Serielles Bauen mit Variationen
Die Individualisierung von Gebäuden ist bis zu einem gewissen Grad möglich. Es ist eine Frage des Maßstabs: Ist zum Beispiel die Rede von dem vorgefertigten Bauteil Wand oder gleich vom gesamten Modul Nasszelle? Je nachdem, wie klein und adaptiv man die Unterteilung fasst, lassen sich mit einem erweiterbaren Katalog verschiedenste Varianten erzielen und Diversifikation, vornehmlich hinsichtlich der Fassadengestaltung, generieren. Es mag sein, dass das die neue Baukultur ist, zumindest für den Moment. Inwieweit die kreative Entfaltung der Planenden durch serielles Bauen künftig beeinflusst wird, wird sich zeigen.
Keine reizvolle Architekturaufgabe
Ein Katalog, der alle Möglichkeiten bestimmt und aus dem ich mir als Architektin nur noch die passenden Bauteile zusammen puzzeln muss, klingt ehrlich gesagt nicht nach der reizvollsten Aussicht für angehende Architekt:innen. Nicht, weil ich glaube, dass es wichtig sei, mit seiner ganz persönlichen Handschrift eine noch nie dagewesene Architekturikone schaffen zu müssen, sondern nur, weil der Teil des freien Entwerfens eben ein Reiz unserer Profession ist, der im ersten Moment genommen scheint. Ob seriell oder in herkömmlicher Bauweise: Oberstes Credo sollten dabei immer die Qualität und soziale Gesichtspunkte bleiben.
Serielles und modulares Bauen wird in Zukunft richtigerweise einen Teil der Neubau-Tätigkeit abdecken. Ein mindestens genauso großes Augenmerk in puncto Nachverdichtung sollte aber weiterhin auf Sanierung, Umnutzung und Umbau innerstädtischer Ressourcen liegen. Meiner Ansicht nach könnte eine Schnittstelle zwischen baulichen Lösungen, die individuell auf den Bestand reagieren müssen, und der seriellen Produktion einen Konflikt darstellen – vielleicht sind sie aber auch nur noch eine neue Chance für uns Architekt:innen.
Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hahnheiser.
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06-07-2023
Man stelle sich vor, unsere Baumeister von vor mehr als 100 Jahren hätten so gebaut. Was wäre das für ein Leben.
Wer möchte das denn wirklich,
eine Nische gern,
aber nicht mehr.
Gruß aus Husum
Horst Hilke
Effektivität ist weder Segen noch Fluch, sondern schon lange eine Notwendigkeit. In keiner wirtschaftlichen Produktion wird so vieles immer wieder neu gedacht für die vermeintliche Individualität und wird unwirtschaftlich so wenig in Serie gefertigt.
„..weil der Teil des freien Entwerfens eben ein Reiz unserer Profession ist „? Architektur und Architekten müssen sich ändern, die „kreative Entfaltung der Planenden“ und das Architektenego ist dabei eher unwichtig. Der gestalterische Entwurf wird seit langem überbewertet und zudem von vielen nicht beherrscht, so dass in der Menge massenhaft schlechte Architektur entsteht.
Die Herausforderung für die Kreativität ist, im Hinblick auf den Wohnwert hochwertigen Wohnraum zu schaffen bei gleichzeitig niedrigen Kosten und wenig Resourcenverbrauch. Das ist die spannende Herausforderung.