Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Schadstoffarm bauen“ im Deutschen Architektenblatt 09.2023 erschienen.
Von Ulrich Bauer
Bauherren fordern zunehmend schadstoffarme Gebäude. In Zukunft wird deren Zahl weiter steigen, denn wer eine KfW-Förderung erhalten möchte, muss das 2021 eingeführte Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) vorweisen können. Ein Kriterium gilt dabei einer geringen Schadstoffbelastung von Baumaterialien. Für eine Nachhaltigkeitszertifizierung eines Gebäudes ist demnach die Schadstoffarmut mittels Raumluftmessung nachzuweisen. Das erfordert vom Architekten entsprechendes Fachwissen, sodass sich die Einbindung eines Baubiologen empfiehlt. Üblich ist das allerdings nicht.
Erfolgreiche Raumluftmessung im ersten Anlauf
Im Regelfall ist es heute so, dass die Raumluftmessung erst kurz vor Fertigstellung des Bauwerks beauftragt wird. Stellt man dann fest, dass die erforderlichen Werte nicht erreicht werden, verzögert sich die Inbetriebnahme für ein Ablüften der Innenräume um sechs Wochen. Erst dann kann eine erneute Messung stattfinden, die gelingen, aber auch erneut fehlschlagen kann.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Raumluftmessung gleich bei Fertigstellung des Gebäudes sind die „Modularen Kita-Bauten für Berlin“ – MOKIB genannt. Der Bauherr, das Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, legte Wert darauf, nur gesundheits- und umweltverträgliche Materialien zu verwenden. Die Senatsverwaltung hat deshalb bei Beginn der Werkplanung einen Baubiologen hinzugezogen, der bei der Umsetzung hin zu schadstoffarmen Kitas unterstützen sollte.
Richtwerte in der Ausschreibung definiert
Für die MOKIBs gab die Senatsverwaltung folgende Aufgabenstellung vor: Als übergeordnetes Ziel sollte der Richtwert RW I (Vorsorgebereich) für Einzelstoffe und Stoffgruppen und für TVOC der RW II (Gefahrenbereich) entsprechend den AIR-Leitwerten (Ausschuss für Innenraumrichtwerte) nicht überschritten werden (Mehr Infos zu den Richtwerten am Ende des Artikels)
In der Ausschreibung war daher klar zu definieren, nach welchen Kriterien die Baustoffauswahl erfolgen sollte. Alle Baustoffe, die in den Innenraum ausdünsten können, erfordern die Freigabe für den Einbau und die Kontrolle auf der Baustelle. Bestandteil war zudem die Erstellung und Umsetzung eines Konzepts für die Baustellenhygiene.
Abluftanlage garantiert Luftwechsel
Da für ein gutes Raumklima auch ausreichend Luftwechsel und damit eine Versorgung mit Sauerstoff erforderlich ist, wurde im Zuge der Genehmigungsplanung zusätzlich eine CO2-gesteuerte Abluftanlage vorgesehen. Die Abluftanlage wurde auch in die Nutzungsbeschreibung des Gebäudes aufgenommen und es wurde festgelegt, dass sie während der Nutzung des Gebäudes in Betrieb sein muss (Benutzerhandbuch). Das bedeutete zugleich, dass die Abluftanlage während der am Ende der Bauzeit durchzuführenden Raumluftmessung in Betrieb sein musste.
Gezielte Auswahl der Bauprodukte und Baustoffe
Die in der Ausschreibung festgelegten Anforderungen an die Baustoffqualitäten verlangten, ein Produkt mit einem Label zu wählen, dem eine Prüfkammermessung nach AgBB-Schema und definierten Kriterien zugrunde lag. Alternativ konnten Produkte verwendet werden, die über eine Prüfkammermessung oder eine Volldeklaration verfügen. Weiterhin wurde das Prozedere festgelegt, wonach der Bauunternehmer eine Freigabe für die von ihm verwendeten Baustoffe erhält. Das ist auch ein Kostenfaktor, falls sich aus einer veränderten Baustoffwahl ein Nachtrag ergeben sollte.
Prämie für erfolgreiche Raumluftmessung als Anreiz
Zusätzlich wurde dem Bauunternehmer im Bauzeitenplan ein sechswöchiger Zeitraum zugestanden, in dem er nach der ersten Messung nachbessern beziehungsweise die häufig hohen Anfangskonzentrationen an VOCs abklingen lassen konnte. Da die Kitas zeitnah übergeben werden sollten, lobte der Bauherr eine Prämie aus, sollte die Raumluftmessung gleich bei Fertigstellung des Gebäudes die geforderten Werte erreichen. Damit würde der Bauherr sechs Wochen Wartezeit sparen. Für die Baustoffabnahme hatte der Baubiologe ein softwaregestütztes Vorgehen entwickelt, wonach alle Projektbeteiligten jederzeit einsehen konnten, welche Baustoffe geplant waren, welche freigegeben und welche auf der Baustelle tatsächlich verwendet wurden.
Hindernisse: fehlende Dokumente und falsche Labels
In der Praxis stellte sich dann für den Bauunternehmer die für die Freigabe durch den Baubiologen erforderliche Zusammenstellung der Dokumente für die Bauprodukte als größtes Hindernis heraus. Das Problem bestand darin, aus einer Produktgruppe das Produkt herauszufiltern, das in der Prüfkammermessung die geringsten Emissionen aufwies. Die Hersteller, insbesondere die der Baustoffchemie, gaben sich besonders zögerlich. Es zeigte sich beispielsweise, dass in Produktwerbungen Zertifikate und Labels angegeben waren, die gar nicht vorlagen oder abgelaufen waren.
Viele Bauprodukte ohne Zertifizierung
Erschwerend kam bei der Produktwahl hinzu, dass nur 30 bis 40 Prozent überhaupt eine Schadstoffzertifizierung besitzen. Das Filtern nach Produkten ohne beziehungsweise mit der geringsten VOC-Emission musste dem Bauunternehmer aber ein besonderes Anliegen sein, da er erst bei der Raumluftmessung erfahren würde, wie sich die Emissionen in der Summe darstellen würden, und ein Rückbau oder ein Austausch von Bauprodukten nach Fertigstellung einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen würde.
Oberste Priorität: Baustellenhygiene
Zu Baubeginn wurde dann die in der Ausschreibung festgelegte Baustellenhygiene umgesetzt. Baustellenhygiene bedeutet in erster Linie, auf die Sauberkeit während der Bauarbeiten zu achten. Für die ordnungsgemäße Umsetzung erhielten der Bauunternehmer, dessen Subunternehmer und die Bauleitung eine entsprechende Einweisung. Besonderer Wert wurde auf die Staubfreiheit sowie ausreichendes Heizen und Lüften gelegt. Das ist wichtig, da frisch verbaute Produkte die höchsten Emissionen aufweisen und die Partikel sich am Staub anlagern. Vor dem Einbau des Estrichs wurde daher auch der Rohboden gereinigt.
Heizen, Rauchverbot und Abfallentsorgung
Durch das Heizen während der Bauzeit erhöhen sich die Emissionen zusätzlich, sodass die Schadstoffe mit einer guten Lüftung schneller ins Freie gelangen. Generell hatten zudem alle stauberzeugenden Arbeiten außerhalb der Baustelle zu erfolgen, es galt ein Rauchverbot und jeglicher Abfall war sofort zu entsorgen. Das ist auf herkömmlichen Baustellen nicht üblich. Deshalb wurde die Sicherstellung der Baustellenhygiene auch in die Ausschreibung aufgenommen, denn es könnten Zusatzkosten anfallen – zum Beispiel durch das Heizen. Nicht zuletzt konnte die Bauleitung online auf die freigegebenen Produkte zurückgreifen und prüfen, ob die Handwerker auch tatsächlich die geprüften Produkte zum Einsatz brachten.
Vorbereitung auf die Raumluftmessung
Zum Ende der Bauzeit wurden dann die zu messenden Räume definiert und die Messraumvorbereitung konnte erfolgen. Ziel war eine Messung unter Nutzungsbedingungen sowie als Worst-Case-Szenario eine Ausgleichsmessung nach acht Stunden Raumverschluss. Auf Empfehlung des Baubiologen wurden eine Woche vor der Messung die Lüftungsanlage auf maximaler Leistung betrieben und die Oberflächen angeblasen, um Staub aufzuwirbeln, der über die Lüftungsanlage abgeführt werden konnte. Im Anschluss erfolgte eine Feinreinigung mit Wasser, ohne Reinigungsmittel. Zusätzlich wurde eine Kontrollmessung der Außenluft vorgenommen, da unter Nutzungsbedingungen die Lüftungsanlage in Betrieb ist und Schadstoffe aus der Umgebungsluft das Messergebnis nicht verfälschen sollten.
Raumluftmessung im ersten Anlauf bestanden
Durch diese präzisen Vorgaben des Baubiologen während der Planungs- und Ausschreibungsphase konnten sich die am Projekt Beteiligten gut auf alle Anforderungen einstellen und den zusätzlichen Aufwand für die gewünschte Raumluftqualität kalkulieren. Die feinmaschige Kontrolle während der Bauzeit ermöglichte dann eine Raumluftmessung, die sowohl unter Nutzungsbedingungen als auch unter Ausgleichsbedingungen den Richtwert I für die Einzelstoffe sowie für die Summenkonzentration bequem erreichte. Somit konnte der Bauunternehmer sich über seine Prämie freuen, die Senatsverwaltung die Kitas früher als geplant übergeben und die Erzieherinnen und Erzieher konnten unter perfekten Bedingungen die ihnen anvertrauten Kinder betreuen.
Ulrich Bauer ist Architekt und Baubiologe in Wendelstein (Bayern). Er war der beratende Baubiologe bei diesem Projekt
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Prüfkammermessung und Raumluftmessung im Detail
Das Raumklima wird bestimmt durch die Temperatur, die Feuchte, das Elektroklima (umgangssprachlich „Elektrosmog“) sowie die Luft. Letztere wird maßgeblich durch die Emissionen von Schadstoffen aus Bauteilen beeinflusst. Zahlreiche Bauprodukte, die heute in Gebäuden verbaut werden, sind von der Baustoffchemie hergestellt und weisen unterschiedlich hohe Konzentrationen an flüchtigen organischen Verbindungen (VOC und Formaldehyd) auf. Die Schadstoffkonzentrationen werden unter standardisierten Prüfbedingungen in Prüfkammern nach AgBB gemessen und dokumentiert.
Unwägbarkeiten bei der Raumluftmessung
Im Gegensatz zur Prüfkammermessung, die Bauprodukte bewertet, ist für das Gebäude die Raumluftmessung relevant. Für die Raumluftmessung ist zwar die DIN 16000 ausschlaggebend, jedoch sind die Parameter Temperatur, Luftfeuchte und Luftwechsel anders als bei der Prüfkammermessung im Gebäude schwer standardisiert zu realisieren. In zu prüfenden Räumen finden sich regelmäßig Temperaturen zwischen 19 und 24 Grad Celsius, relative Luftfeuchten von 20 bis 80 Prozent und es findet kaum ein Luftwechsel statt. Zudem sind Räume unterschiedlich groß.
All dies hat Einfluss auf das Ergebnis der Raumluftmessung. Heute sind zwar schon viele VOC-Konzentrationen von Bauprodukten bekannt, dagegen sind Kreuzreaktionen von Schadstoffen in Räumen völlig unbekannt. Der Architekt steht hier vor der Herausforderung, dass er zum Zeitpunkt der Planung und Ausschreibung eventuell von einzelnen Bauprodukten das Ergebnis der VOC-Messung aus der Prüfkammer kennt, aber die Vorgabe des Auftraggebers zur zukünftigen Raumluftqualität erst am Ende der Bauzeit mit einer Raumluftmessung nachweisen kann.
Richtwerte für die Raumluftqualität
Zur Beurteilung der Innenraumluftqualität hat der Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) gesundheitsbezogene Richtwerte sowie hygienische Leitwerte festgelegt. Hier werden sowohl Einzelstoffe bewertet als auch ein Summenwert festgelegt. Der Ausschuss hat einen Richtwert 1 „RW I“ (Vorsorgebereich) und einen Richtwert 2 „RW II“ (Gefahrenbereich) definiert.
Für die Summenwerte flüchtiger organischer Verbindungen (TVOC) gilt
- kleiner 0,3 mg/m3: hygienisch unbedenklich
- zwischen 0,3 und 1,0 mg/m3: unbedenklich
- Werte größer 1,0 mg/m3: auffällig
- Werte größer 3,0 mg/m3: hygienisch bedenklich
- Werte über 10 mg/m3: nicht akzeptabel
Rechtliche Einordnung: Richtwert wird zum Grenzwert
Zur Vorsicht wird dann geraten, wenn der Auftraggeber fordert, dass der Vorsorgerichtwert RW I für Einzelstoffe und Stoffgruppen und für TVOC der RW II nicht überschritten werden darf. Sofern diese Vorgabe in Honorarverträgen oder in Werkverträgen fixiert wird, ist rechtlich aus dem Richtwert ein Grenzwert geworden. Damit haften sowohl Architekten als auch Bauunternehmer für die Einhaltung des Richtwerts.
Für Handwerker, die aus einzelnen Bauprodukten Konstruktionen (Bauarten) herstellen, wird das Haftungsrisiko noch höher, da zum Beispiel eine Zimmerei, die Wandbauteile vorfertigt, im baurechtlichen Sinne zum Hersteller eines Bauprodukts wird und damit auch die Einhaltung der Richtwerte für die Bauprodukte garantiert, die sie nur zugekauft hat.
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Das sind die MOKIBs
Das Land Berlin lobte 2017 parallel zwei Wettbewerbe für das Projekt „Modulare Kita-Bauten für Berlin“ (MOKIB) aus. Gefordert waren Typenbauten in Holz mit hohem Vorfertigungsgrad, um eine schnelle, kostengünstige und ökologische Realisierung zu ermöglichen, sowie modulare Baukästen für eine flexible Anpassung an die jeweiligen Standorte. Die beiden ersten Preise gingen an das Berliner Büro Kersten Kopp Architekten für den Entwurf des zweigeschossigen „Typ 60 plus“ und das Büro karlundp aus München für den dreigeschossigen „Typ 150 minus“.
Welche Öko-Siegel gibt es im Baubereich?
Einen Überblick über die wichtigsten Öko-Siegel für den Baubereich geben wir ebenfalls auf DABonline.
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