Erst vor etwa 60 Jahren fand der Begriff Interdisziplinarität überhaupt in die Universitäten. Vorher wurde die Spezialisierung im eigenen Fach für das entscheidende Ziel gehalten. Der Philosoph Karl Popper drückte seinen Unmut dazu aus, indem er schrieb: „Wir studieren ja nicht Fächer, sondern Probleme.“
Interdisziplinarität findet sich in den Verstrebungen und den Zwischenräumen der Disziplinen. Voraussetzung dafür ist ein klares Selbstbild der eigenen Disziplin und die Anerkennung ihrer Grenzen. „Einfach so“ lässt sich die Expertise einer anderen Disziplin nicht aufgreifen. Im Gegenteil, viel qualitätsvoller ist die Arbeit derer, die mit ihrer Expertise eine klare Zuständigkeit abstecken können und wissen, wo sie aufhört.
Interdisziplinarität ist mehr als die Summe ihrer Teile
Wo genau die Grenzen verlaufen, handeln die Beteiligten in konkreten Fällen immer wieder neu aus. Dabei müssen sie unterschiedliche Hindernisse überwinden. Bei einem Projekt ist zu Beginn oft unklar, ob und wer Anspruch auf die Federführung eines interdisziplinären Teams erheben oder die Gestaltungsautonomie bestimmter Aufgaben beanspruchen kann. Im Umgang gilt es, die eigene Fachsprache abzulegen um auf Augenhöhe in Kontakt zu treten – sei es gegenüber anderen Planer:innen oder den Beteiligten aus dem Handwerk.
Expertise ja, Deutungshoheit nein
Das Selbstbildnis der eigenen Disziplin steht zwangsläufig auf dem Prüfstand. Einerseits sollte man klar vermitteln, in welchem Aufgabenbereich die eigene Expertise liegt. Andererseits gilt es, zurückhaltend mit der eigenen Deutungs- und Gestaltungsrolle umzugehen, um den anderen Disziplinen und dem was dazwischen liegt, Raum zu geben. Nur in einem gleichberechtigten Team können die Expertisen auch gleichwertig zur Geltung kommen und Unverhofftes entdeckt werden. In dieser, wie in manch anderer Hinsicht, bewegt sich auch die Welt des Bauens weg von der Zeit der großen Architekturidole, hin zu breit aufgestellten Teams.
Die großen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht in Einzelarbeit lösen
Im Studium wie in der Praxis wird schon seit einiger Zeit Interdisziplinarität gefordert – und dies zunehmend. In der Lehre klappt das auch hier und da, jedoch in überschaubarem Ausmaß. In der Praxis werden bereits häufig multidisziplinäre Teams gesucht und zu Wettbewerben geladen. Die Nachwuchsvernetzung Nexture+ vertritt bis dato die junge Generation der Architektur und Innenarchitektur, öffnet sich aber nun auch der Landschaftsarchitektur und der Stadt- und Raumplanung. Die großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen müssen wir gemeinsam angehen. Soziale und ökologische Themen lassen sich nicht in Einzelarbeit lösen.
Wie Interdisziplinarität in der Praxis aussieht und aussehen könnte, diese Frage treibt auch die Plattform für junge Architektinnen und Architekten der Architektenkammer Baden-Württemberg um. Nun lädt sie ein, am 15. September 2023 vor Ort in Stuttgart oder online an der Veranstaltung What if …?! teilzunehmen.
Lorenz Hahnheiser hat sein Bachelor-Architektur Studium an der Leibniz Universität Hannover abgeschlossen, nutzt die Zeit vor dem Master für erste Bauerfahrungen und engagiert sich bei der Nachwuchsorganisation nexture+.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten und Luisa Richter.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: