Bis 2001 war das Stahlwerk Phoenix-Ost in Betrieb. Die riesigen Maschinenhallen wurden nach China verkauft (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wie Phönix aus der Asche“ im Deutschen Architektenblatt 11.2023 erschienen.
Auf alten Fotos der 1970er-Jahre erinnert die Emscher, wie sie da in Betonrinnen durch Wohnsiedlungen fließt, an die Rinnsale in mittelalterlichen Städten, in denen damals der Abfall entsorgt wurde. Der rechtsrheinische Nebenfluss, der von Holzwickede bei Dortmund bis zur Rheinmündung bei Dinslaken gut 80 Kilometer lang das nördliche Ruhrgebiet durchzieht, wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts sukzessive begradigt und mit betonierten Sohlschalen abgedichtet. Er galt in dieser kanalisierten Form als die unvermeidbare Begleiterscheinung des Bergbaus.
Die sogenannte „Köttelbecke“ – also der Fluss, in den sowohl Privathaushalte als auch die Hüttenwerke ihre Abwässer einleiteten – schien lange Zeit ein geruchlich und hygienisch zwar problematisches, aber eben notwendiges Übel, das immerhin die Zeit der Überschwemmungen, Kellerüberflutungen und Typhus-Epidemien beendet hatte.
Utopie erreicht: Emscher endlich abwasserfrei
Der Umkehrprozess setzte in den 1980er-Jahren ein. Neben dem gestiegenen Umweltbewusstsein wurde er durch die Erkenntnis motiviert, nur durch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse (zu der das Thema Geruchsbelästigung gehörte) die Abwanderung aus der Region stoppen zu können. Hinzu kam als entscheidende technische Voraussetzung, dass mit dem absehbaren Ende der Steinkohleförderung die damit verbundenen Bergsenkungen der Vergangenheit angehören würden; sie hatten bis dahin einem unterirdischen Abwasser-Kanalsystem im Weg gestanden.
Mit der Planung eines tatsächlich nachhaltigen Umbaus begonnen wurde erst 1991 – nach einigem Widerstand der Industrie, die höhere Kosten fürchtete, und nicht zuletzt auch der für wassertechnische Belange verantwortlichen Emschergenossenschaft (dem 1899 gegründeten öffentlich-rechtlichen Wasserwirtschaftsunternehmen). Noch 1988 hatte der damalige Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft die Überzeugung vertreten, dass „klares Wasser in der Emscher eine Utopie“ bleiben werde. 2022 wurde diese Utopie nun tatsächlich erreicht: Fließ- und Abwasser sind säuberlich getrennt und die Emscher gilt als abwasserfrei. Der 30 Jahre währende Prozess der Umwandlung einer ganzen Region entlang des Flusses hat damit einen (vorläufigen) Abschluss gefunden.
Europas größtes Infrastrukturprojekt
Dass dieser „Umbau“ sich zum größten Infrastrukturprojekt Europas der letzten Jahrzehnte entwickelte (Kosten: rund 5,5 Milliarden Euro), war angesichts der Flächenausdehnung zu erwarten: Technisch bestand das Projekt in dem Bau eines 51 Kilometer langen Abwasserkanals in bis zu 40 Metern Tiefe, inklusive dreier unterirdischer Pumpanlagen. Insgesamt sind alle Abwasserkanäle 438 Kilometer lang. Hinzu kamen vier neue Kläranlagen. Zusätzlich verlegten die Planer Flüsse oberirdisch und renaturierten die Emscher und ihre 35 Neben- und Zuflüsse – insgesamt ein Wassernetz von 328 Kilometern Länge – überall dort, wo es möglich war.
Was der Umbau oberirdisch konkret bedeutete, lässt sich an zahlreichen Orten beobachten, wobei die Intensität der einzelnen Maßnahmen vom jeweiligen kommunalen Engagement abhing. Böschungen sind nun abgeflacht und bepflanzt, teilweise wurde der Verlauf des Flusses verlegt. Eine neue, oberflächennahe Regenentwässerung innerhalb von Quartieren wurde vernetzt, einzelne renaturierte Bereiche verbanden die Planer mit entsprechenden touristischen Maßnahmen wie Fahrrad- und Wanderwegeverbindungen.
129 Vogelarten nach der Renaturierung
Besonders eindrücklich lässt sich die Veränderung am Projekt Phoenix-See in Dortmund-Hörde begutachten, das seit 2012 auf dem östlichen Teilgelände eines abgetragenen Stahlwerks Arbeiten und Wohnen im Grünen mit Seeblick verbindet (Gewässerplanung einschließlich Emscher: Arge W&W, Björnsen Beratende Ingenieure). Es gilt als ein prominentes, wenn auch nicht unumstrittenes Vorzeigeprojekt des Emscher-Umbaus.
Wo der Fluss früher in acht Meter Tiefe unterhalb des Stahlwerks verlief, wurde der Wasserlauf ab 2005 auf einer Länge von 2,2 Kilometern ans Licht gehoben und renaturiert. Beeindruckende 129 Vogelarten haben sich inzwischen rund um den neuen See angesiedelt, der neben seiner ökologischen Funktion dem Bach bei Starkregen als Rückhaltebecken dient.
Phoenix-See: Locarno des Ruhrgebiets
Aber auch Menschen schätzen die neue Aufenthaltsqualität: An sonnigen Tagen sind die Eisdielen am „Port Phoenix“ mit Blick auf segelnde Boote voll besetzt. Radfahrer bewegen sich auf breiten, neu angelegten Wegen entlang des 1,2 Kilometer langen Ufers, während am Nordufer ein Bach durch einen 30 Meter breiten Streifen wild wachsender Wiesen mäandert (Freiraumplanung: Büro Landschaft planen + bauen, Dortmund). Dahinter steigt das Terrain steil an, auf dem sich die weißen Kuben einer Villensiedlung verteilen.
Sein konträres Pendant besitzt das neue Locarno des Ruhrgebiets in dem an Hörde westlich angrenzenden Areal Phoenix West, das mit einer rudimentären Parklandschaft aus begrüntem Schotter und Geröll/Ruderalvegetation aufwartet. Ein benachbarter Gewerbepark mit den Monumenten zweier Hochofenanlagen setzt hier die industrielle Vergangenheit in Szene (lohrer.hochrein Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, München). So demonstrieren Phoenix Ost und West gut die Breite der Aufgabenstellungen und Lösungsansätze des 30 Jahre währenden Prozesses der Umwandlung einer ganzen Region entlang der Emscher.
IBA Emscher Park: Strukturpolitik und Kultur
Als Glücksfall erwies sich, dass zeitlich parallel zum Emscher-Umbau 1989 die internationale Bauausstellung IBA Emscher Park eröffnete, die sich mit dem Projekt des Emscher-Umbaus räumlich deckte. Sie trug dazu bei, einen kulturellen Überbau zu etablieren, und generierte ihrerseits weitere Folgeprojekte. Das zentrale inhaltliche Thema der Bauausstellung war die Idee der umfassenden, die vorhandenen Freiflächen miteinander verbindenden Parklandschaft. Sie verstand sich auch als strukturpolitisches Programm, als neue Form der integrierten Regionalpolitik, die 17 einzelne Städte einschloss.
Industriekultur emotionalisieren
Die mehr als 100 Einzelmaßnahmen im Kontext der IBA reichten vom berühmten Landschaftspark Duisburg-Nord über einen neuen Wissenschaftspark in Gelsenkirchen bis zur gestalterischen Erneuerung von Bahnhofsplätzen und der Renovierung von Industriegebäuden. Industriekultur war das neue Stichwort. „Die IBA betätigte sich hier als begnadete Erzählerin und sicherte sowohl die räumliche Lesbarkeit als auch die emotionale Akzeptanz der montanen Vergangenheit“, so Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft. Die Neu- und Umnutzung der noch erhaltenen Fördertürme und Hochofenwerke, der Rundeindicker, der Kohlenwäscheanlagen, der Lagerhallen und anderer industrieller Funktionsbauten wurde zu der vielleicht am stärksten nach außen wirkenden Seite des großen Transformationsprozesses.
Landmarken für eine diffuse Landschaft
Auch die künstlerische Seite entwickelte innerhalb des Projekts eigene Gesetzlichkeiten: Sichtbarstes Zeichen war zunächst die sogenannte Haldenkunst, die ab 1992 die aus dem Abraummaterial der Kohleförderung aufgeschütteten Erhebungen bekrönte und ihren Zweck nicht zuletzt in ihrer Fernwirkung als „Landmarke“ fand. Innerhalb der insgesamt diffusen und polyzentrischen Landschaft erreichte man mit ihr eine sichtbare landschaftliche Akzentuierung.
Eine weitere Generation der künstlerischen Aufwertung erfolgte in der Nachfolge der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 mit dem dreimal durchgeführten Ausstellungsprojekt „Emscherkunst“, das in einem Streifen beiderseits der Emscher eine Sequenz von ortsspezifischen künstlerischen Arbeiten entwickelte. Seit 2019 wurde das temporäre Projekt zum dauerhaften Skulpturenpark „Emscherkunstweg“ ausgebaut und unter der künstlerischen Leitung von Britta Peters durch zahlreiche neue Arbeiten erweitert .
Kläranlage wird zum Gesamtkunstwerk
Über künstlerische Aspekte mag man streiten – nicht zu unterschätzen ist, dass dadurch landschaftlich unauffällige Zwischenräume oft erst als markante Orte erkennbar wurden. Gelegentlich erfolgte sogar die sonst eher seltene Zusammenarbeit von Künstlern mit Landschaftsarchitekten. Beispielhaft ist hier der „BernePark“, wo DTP Landschaftsarchitekten (Konzept-/Objektplanung) und Piet Oudolf/Büro Gross.Max. (Senkgarten „Theater der Pflanzen“) in Zusammenarbeit mit den Künstlern Lawrence Weiner, Mischa Kuball und Andreas Strauss zwei Rundbecken einer ehemaligen Kläranlage in ein komplexes Gesamtkunstwerk verwandelten.
In Summe haben die künstlerischen Projekte über die Jahre dazu beigetragen, einen neuen Blick auf die ehemals zerfurchte Stadtlandschaft zu generieren, deren Anti-Idyllik als günstiges Experimentierfeld für eine sozialräumlich verstandene Form der „Land Art“ begreifbar wurde.
Ausblick auf die IGA 2027
Die Umwandlung der Emscher bleibt ein zukunftsoffener Prozess, der auch in den nächsten Jahren Weiterungen erfahren wird. Anknüpfungspunkt ist die Internationale Gartenausstellung IGA 2027. Mit einem (notwendigerweise) dezentralen Ansatz setzt sie lokale Schwerpunkte an den drei Hauptstandorten „RheinPark“ in Duisburg, „Zukunftsinsel Gelsenkirchen“ (Nordsternpark und Emscherinsel) und „Emscher Nordwärts“ in Dortmund. Für Letzteren lobte die IGA 2020 einen internationalen, interdisziplinären, freiraumplanerischen Realisierungswettbewerb aus, den bbz Landschaftsarchitekten in Planungsgemeinschaft mit Wetzel & von Seht und W&V Architekten gewannen.
Rund um die ehemalige Kokerei Hansa soll als sogenannter „Zukunftsgarten“ eine sich über mehrere Kilometer erstreckende Achse eines Kokereiparks entwickelt werden, der vordringlich als vielfältig nutzbarer Freizeit- und Erholungsraum dient. An verschiedenen Orten führt er ferner die Idee der Industrienatur weiter und knüpft schließlich, beispielsweise mit einem sogenannten „Wolkenspielplatz“ und künstlich erzeugten Nebelwolken, symbolisch an die industrielle Vergangenheit (die Dampfwolken der ehemaligen Kühltürme) an.
Versteht man die landschaftsarchitektonischen Entwürfe richtig, so deutet sich hier eine neue Generation landschaftsplanerischen und ästhetischen Umgangs mit industriell geprägten Flächen an – der Emscher-Umbau ist eben ein kontinuierlicher Prozess, der jeweils neue zeitgemäße Ansätze erprobt.
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Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt „Vorher-Nachher“
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