Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Mehr Flexibilität im Trockenbau“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2024 erschienen.
Überbordende Regelwerke, Fachkräftemangel, unterbrochene Lieferketten und Preissteigerungen erschweren seit Langem die Planung und Ausführung von Projekten. Auch der Trockenbau – ein ohnehin stark durch Nachunternehmer geprägtes Gewerk – ist davon betroffen.
„Wir kommen in Komplexität um“, resümiert der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel, Michael Hölker. Deshalb hatte der Fachhandel als Bindeglied zwischen Baustoffindustrie und Fachunternehmer bereits 2016, zusammen mit dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und anderen Verbänden, den Verein „Wir für Ausbau und Trockenbau“ gegründet.
Standardkonstruktionen sind herstellerunabhängig möglich
„Wir hatten uns unter anderem das Ziel gesetzt, einfache, täglich wiederkehrende Konstruktionen und Aufbauten, die in großer Zahl auf Baustellen eingesetzt werden, über Normen abzubilden“, sagt Michael Hölker. Inzwischen liegen für drei typische Konstruktionen – eine F90-Ständerwand, eine F90-Unterdecke und eine freitragende F30-Decke mit Brandbeanspruchung von unten und oben – allgemein bauaufsichtliche Prüfzeugnisse (abP) vor.
Bei diesen offenen Systemen besteht die freie Wahl der Komponenten. Profile, Platten, Dämmung, Schrauben, Spachtel etc. können demnach von verschiedenen Herstellern erworben und verwendet werden. Die vielfältigen Sonderkonstruktionen der Hersteller bleiben davon ausgenommen, aber das Tagesgeschäft mit Decken und Wänden soll mit normgerechten Produkten möglich sein. Schließlich werden alle Baustoffe entsprechend den europäischen Produktnormen hergestellt, sodass das Herkunftsland innerhalb Europas unerheblich ist.
Baurechtliche Einordnung
Bauen mit normgerechten Produkten heißt nichts anderes als Bauen nach DIN. „Allgemein bauaufsichtliche Prüfzeugnisse sollten nach unserem Baurecht die Ausnahme sein und als Bauartgenehmigungen nur zum Tragen kommen, wenn nicht nach DIN gebaut werden kann. In der Praxis gestaltet es sich aber umgekehrt: Die abP bilden nicht die Ausnahme, sondern sind die Regel“, erklärt Thomas Schmid, Geschäftsführer des Stuckateur- und Malerbetriebs Gipser Schmid und des Ingenieurbüros für Ausbau und Fassade in Baden-Baden.
Die für den Trockenbau maßgebliche Norm ist die DIN 4102-4 „Brandverhalten von Baustoffen“. Sie bildet die Standardbauweise nach anerkannten Regeln der Technik ab, sodass die darin enthaltenen Konstruktionen keine weiteren gesonderten Nachweise erfordern. Sie setzen sich aus normgerechten Produkten zusammen und bilden somit die Rechtsgrundlage der Anwendung „offener“ Systeme.
Warum brauchen wir offene Systeme im Trockenbau?
Warum die geschlossenen und halb offenen Systeme bislang den Trockenbaumarkt dominierten und warum sich der Baustoff-Fachhandel überhaupt mit der Prüfung von Konstruktionen beschäftigt, soll ein kurzer Blick in die Historie verdeutlichen. Die Gründung des Vereins „Wir für Ausbau und Trockenbau“ erfolgte, weil durch die auslaufenden allgemein bauaufsichtlichen Prüfzeugnisse für Trockenbau-Konstruktionen im Nachgang der 2014 eingeführten EU-Bauproduktenverordnung sowie aufgrund von Vorgaben der Fachkommission Bautechnik eine große Unsicherheit im Markt vorherrschte.
Katharina Metzger, Vorsitzende des Vereins und Geschäftsführerin der Dortmunder Metzger Holding – mit elf Standorten eines der größten inhabergeführten Baustoffunternehmen Deutschlands –, erinnert sich: „Die Fachunternehmen fragten uns, wie denn jetzt gebaut werden soll.“
Das war auch insofern brisant, weil die Fachunternehmen ja keine Rechtsbeziehung zu den Herstellern haben. Die Rechtsbeziehung bildet der Kaufvertrag mit dem Fachhandel. „Diesen Aspekt hatten wir Jahrzehnte ausgeblendet“, sagt Katharina Metzger.
Markenbindung bei Trockenbausystemen
Parallel zu dieser Entwicklung hatten sich aufgrund einer Öffnungsklausel in der Musterbauverordnung und der Bauproduktenrichtlinie halb offene und geschlossene Systeme für Trockenbau-Konstruktionen etablieren können. Demnach konnten die Baustoffhersteller bei Zusatzanforderungen an die Bauteile abP mit Angabe der jeweiligen Markenprodukte der einzelnen Komponenten der Konstruktion erwerben.
Je mehr Markenprodukte das Prüfzeugnis enthält, desto geschlossener wird das System. Gleichzeitig ist der Fachunternehmer nicht mehr frei bei der Baustoffwahl und der Fachhandel benötigt mehr Fläche, was hohe Investitionen in Lager und Regale für immer mehr Systemanbieter nach sich zog. Das führte zu einer doppelten bis dreifachen Lagerhaltung, was allein aus Platzmangel in Ballungsgebieten praktisch unmöglich ist.
„Wir Händler müssen mit der Ressource Lagerplatz wirtschaftlich umgehen und wir wollen natürlich Einkäufe bündeln, um unseren Fachunternehmen die Preise entsprechend weitergeben zu können“, bringt Katharina Metzger die Situation auf den Punkt.
Warum nicht Trockenbau einfach nach Norm bauen?
Auf der Suche nach einer Lösung entstand die Frage, warum Trockenbauwände und -decken ohne besondere Anforderungen nicht einfach nach Norm gebaut werden können. „Der Grund dafür ist das langwierige Prozedere der Normungsarbeit“, erklärt Thomas Schmid, der auch im Normungsausschuss aktiv ist.
Die neueste Fassung der DIN 4102-4 stammt aus dem Mai 2016, jedoch bezüglich des Trockenbaus mit unverändertem Inhalt zur Ausgabe von 1994. Aufgrund vieler Einsprüche hatte man sich im Jahr 2016 im Normungsgremium darauf verständigt, eine A1-Version zügig zu verabschieden.
Bis heute ist das nicht geschehen, weil sich die auch hierfür zahlreich eingelegten Einsprüche noch in Bearbeitung befinden. Deshalb hatte das Deutsche Institut für Bautechnik vorgegeben, dass mindestens zwei Prüfberichte für Konstruktionen vorliegen müssen, um diese in die Norm übernehmen zu können.
Typische Trockenbaukonstruktion geprüft
Der Verein „Wir für Ausbau und Trockenbau“ hat dann die Initiative ergriffen. „Wir haben eine typische Wand- und Deckenkonstruktion mit Produkten aus unserem Lager aufgebaut und prüfen lassen. Die Ergebnisse zeigten, dass alle Anforderungen hinreichend erfüllt wurden“, sagt Katharina Metzger. Die Prüfergebnisse mündeten in Prüfzeugnissen für offene Systeme, die den Fachunternehmern zur Verfügung gestellt wurden und inzwischen auch auf der Website des Vereins kostenfrei zum Download bereitstehen.
Offene Systeme im Trockenbau bedeuten weniger Aufwand
Die Praxis zeigt immer wieder, dass bei geschlossenen Systemen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass beim Erstellen der Trockenbau-Konstruktion ein formal falsches Produkt eingesetzt wird. Ist es bauablaufbedingt notwendig, Material nachzuordern, ist es fraglich, ob die auch im abP des jeweiligen Herstellers genannten Produkte tatsächlich geliefert werden. Denn dafür muss der Fachunternehmer beziehungsweise der Nachunternehmer das abP kennen und auf der Baustelle präsent haben.
Bedenkt man, dass ein abP für eine Wand mit Brandschutzanforderungen mit allen Anlagen bis zu 115 Seiten umfasst, wird klar, wie unrealistisch dieses Anforderung ist. Auch bei Planänderungen ist die Kontrolle problematisch, ob die Nachlieferung den Vorgaben des abP entspricht. „Das Risiko von Verwechselungen ist einfach sehr hoch, sowohl bei uns im Fachhandel als auch auf der Baustelle“, fasst Katharina Metzger die Diskrepanz zwischen Theorie und Baustellenalltag zusammen.
Offene Systeme im Trockenbau sorgen für Rechtssicherheit
Ein weiterer praxisrelevanter Punkt ist: Die abP werden auch für die Abnahme der Leistung durch den Architekten beziehungsweise dessen Bauleiter benötigt. Der Fachunternehmer braucht sie, um mit der Übereinstimmungserklärung den Nachweis der Funktionsfähigkeit des Bauteils zu erbringen. Der Architekt oder der Bauleiter hat anhand der abP dann zu überprüfen, ob die richtigen Komponenten verbaut wurden.
Dieser Aufwand entfällt bei den offenen Systemen, da formal kein falsches Produkt eingesetzt werden kann. Damit sind alle Beteiligten auf der rechtssicheren Seite, denn sämtliche im Prozess möglichen Fehlerquellen sind ausgeschlossen – von der Logistik über Bestellfehler bis zur mangelhaften Wareneingangskontrolle. „Der Trockenbauer kann so bauen, wie er es gelernt hat, und muss die Ausführung nicht ständig mit dem abP vergleichen“, sagt Thomas Schmid.
Produktneutrale Ausschreibung und Vergabe für den Trockenbau
Wie generell bei der Ausschreibung von Bauleistungen wird auch beim Gewerk Trockenbau gern auf die von der Baustoffindustrie zur Verfügung gestellten Leistungstexte zurückgegriffen. Häufig sind darin bereits die Markennamen der Produkte enthalten. Offene Systeme erfordern dagegen eine produktneutrale Ausschreibung, so wie bei Bauvorhaben von öffentlichen Auftraggebern üblich.
Thomas Schmid ist zudem wichtig, dass Architekten explizit qualifizierte Firmen zur Angebotsabgabe auffordern, dann ließe sich auch generell die Qualität der Bauleistung verbessern, denn: „Die häufigste Ursache bei Mängeln und Schäden im Trockenbau sind, neben den formalen Fehlern, einfache Montagefehler.“
Bekanntlich werden an Fachunternehmer im Trockenbau keine besonderen Anforderungen gestellt. Es gibt weder eine Meisterpflicht noch verpflichtende Zertifikate, die die Firma nachweisen muss. Thomas Schmid rät: „Am besten wäre es, anhand einer Referenzliste die Eignung des Anbieters zumindest zu überprüfen. Ein öffentlicher Auftraggeber kann zum Beispiel das Vorhandensein von Referenzen auch als Vergabekriterium einfließen lassen, um sicherzustellen, dass die Firma schon gleichartige Ausführungen mangelfrei realisiert hat.“
Offene Systeme im Trockenbau begünstigen Gebäudetyp-e
Nicht zuletzt können die offenen Systeme auch einen Beitrag zum kostengünstigeren Bauen leisten. Katharina Metzger verweist hier vor allem auf den von den Architektenkammern vorgeschlagenen Gebäudetyp-e für einfacheres Bauen. „Wir wollen ja hierzulande immer besser bauen als der Standard. Soll Bauen jedoch bezahlbar bleiben, dann muss auch das Bauen nach Norm möglich sein.“
abP für offene Trockenbausysteme als kostenloses PDF
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