Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Das Ruder herumreißen“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2024 erschienen.
Das Thema Wettbewerb ist – ähnlich dem der HOAI – ein Dauerbrenner. Obwohl in Sonntagsreden immer wieder als höchst bedeutender Beitrag zur Baukultur gepriesen, nimmt die Zahl der Wettbewerbe tatsächlich kontinuierlich ab: Zu umständlich, zu langwierig, zu kostspielig, lauten die gängigen (Vor-)Urteile.
Gelegentlich hört man inzwischen sogar die Empfehlung an jüngere Kolleginnen und Kollegen, sie sollten sich besser großen Büros anschließen, in denen es entsprechende Wettbewerbsabteilungen gebe. Keine einfache Situation also. Gott sei Dank gibt es Akteure, die sich dem Trend widersetzen.
Leidenschaftlicher Kämpfer für echte Wettbewerbe
Zu diesen leidenschaftlichen Kämpfern für Wettbewerbe gehört Marcel Adam, Landschaftsarchitekt mit einem acht Personen starken Büro in Potsdam und seit 2022 Vizepräsident der Brandenburgischen Architektenkammer.
Er erzählt: „Wir setzen uns als Kammer natürlich schon seit Längerem für das Wettbewerbswesen ein, machen Werkstattverfahren und versuchen in Beratungsgesprächen immer wieder, die Verantwortlichen in den Kommunen von Wettbewerben zu überzeugen, vor allem auch mit Hinweisen dazu, wie man die Verfahren schlank halten kann.“
Brandenburg: nur 25 Wettbewerbe jährlich
Denn Handlungsbedarf besteht. Vor Corona gab es in ganz Brandenburg lediglich rund 25 registrierte Wettbewerbe pro Jahr, seitdem ist es nicht besser geworden. Vor allem die jüngste Gesetzesänderung der Vergabeverordnung (§ 3) mit einer neuen Auftragswertberechnung führt laut Marcel Adam nun dazu, dass Wettbewerbe fast ausschließlich europaweit ausgeschrieben werden – mit entsprechend hohen Anforderungen, die von jungen Büros kaum erfüllt werden können.
Dabei kämpft Marcel Adam seit Längerem gegen den Irrtum, man ginge als Bauherr bei jungen Büros ein höheres Risiko ein. „Das ist eindeutig ein Vorurteil“, betont Adam.
Kommunen auf Beratung angewiesen
So kann sich das ehrenamtliche Engagement in Sachen Wettbewerb durchaus manchmal anfühlen wie Sisyphusarbeit. Marcel Adam schmunzelt: „Wenn Sie meine Frau fragen, wird sie sagen, ich opfere zu viel Zeit.“ Doch das Land Brandenburg hat in gewisser Weise auch einen landesspezifischen Vorteil. Der liegt darin, dass das Land neben NRW und Bayern zwar zu den ausschreibungsstärksten Bundesländern in Deutschland gehört, in puncto Wettbewerbswesen aber keine wirkliche Tradition besitzt.
Das hat die Konsequenz, dass die Kommunen in höherem Maße auf Beratung bei der Entwicklung der Projekte angewiesen sind. „Wenn nach 20 oder 25 Jahren zum Beispiel ein neues Schulgebäude geplant werden soll, stehen die Kommunen tatsächlich vor einer für sie weithin unbekannten Aufgabe und sind für eine unabhängige Beratung dankbar“, erklärt Marcel Adam.
Potsdam schreibt jetzt Wettbewerbe für Schulen aus
Mit der Stadt Potsdam beispielsweise, die zuvor für die Planungen von Schulen keine Wettbewerbsverfahren vorsah, konnte er nach einem intensiven Dialog eine Veränderung erreichen: Inzwischen werden für Schulen regelmäßig Wettbewerbe ausgeschrieben. „Es hat sich als sinnvoll erwiesen“, so Marcel Adam, „zur Stützung der Idee der Wettbewerbe offensiv an die Verantwortlichen in den Städten und Kommunen heranzutreten.“
Das Packhofgelände in Brandenburg an der Havel
Ein schönes Beispiel für diese Strategie ist die Entwicklung des ehemaligen Packhofgeländes in der Stadt Brandenburg an der Havel, einer der letzten größeren innerstädtischen Flächen mit Potenzial für eine attraktive Innenstadtentwicklung. Das knapp drei Hektar große Gelände, das 2015 im Rahmen der Landesgartenschau als Ausstellungsfläche und anschließend als öffentliche Grünfläche genutzt wurde, grenzt an den Fluss; nach dem Wunsch der Kommune sollte es zum gemischten Wohnquartier mit Freiraum- und Parkanlagen entwickelt werden.
Von der Postkartenaktion zum Gutachterverfahren
Angefangen hatte alles mit einem ersten Bebauungsplan, der jedoch durch einen Volksentscheid gekippt worden war. Dem folgte auf Vorschlag der Politik hin eine etwas skurril wirkende Postkartenaktion – im Grunde, so Marcel Adam, eine Art „Wünsch-dir-was-Aktion, bei der jeder Bürger auf einer Postkarte seiner Fantasie freien Lauf lassen konnte“. Heraus kamen Vorschläge wie ein Riesenrad oder eine Rennbahn.
Das Stadtplanungsamt intervenierte: „So geht das nicht!“ – „Und dann kamen wir als Berater ins Spiel“, erzählt MarcelAdam. Ihre Aufgabe war es, eine Strategie zu finden, um die Bevölkerung in vernünftiger Weise einzubeziehen. Die Stadt folgte den Vorschlägen der Architektenkammer, die für einen mehrstufigen Prozess plädierte, der 2019 seinen Auftakt in einem öffentlichen Bürgerbeteiligungsverfahren fand.
Reines RPW-Verfahren nicht ausreichend
Insgesamt gingen damals 47 Vorschläge und Ideen ein, die anschließend in mehreren Terminen eines Werkstattverfahrens durch ein Fachgremium beurteilt wurden. Daraus leitete man schließlich Empfehlungen für eine spätere Realisierung ab. Wichtigstes Ergebnis des Verfahrens war die Festlegung einer „perforierten grünen Linie“ im Sinne einer Baugrenze auf dem Areal. „Mit einem reinen RPW-Verfahren wäre man in diesem Fall nicht weitergekommen“, betont Marcel Adam.
Hier ging es darum, die Stadtgesellschaft mitzunehmen, „möglichst alle Interessierten zu beteiligen und sicherzustellen, dass niemand übergangen wurde“. Es ist ein Ansatz, dem auch im Hinblick auf die viel beschworene Politikverdrossenheit durchaus Bedeutung zukommt. „Wichtig ist“, so Marcel Adam, „dass wir in so einem Prozess wirklich offen sind und als Kammervertreter nicht den Eindruck von Lobbyisten machen.“
Junge Planungsbüros gewinnen Wettbewerb
An das Werkstattverfahren schloss sich sodann ein Auswahlverfahren an, das drei Planungsteams* aus Architektinnen, Stadtplanern und Landschaftsarchitektinnen zur Teilnahme an einem interdisziplinären und kooperativen städtebaulichen Gutachterverfahren in den Jahren 2020 und 2021 auswählte (Verfahrensvorbereitung und -durchführung: Fiebig Schönwälder Zimmer).
Das siegreiche Konzept vom Berliner Büro ISSS Research Architecture Urbanism mit den Münchner Landschaftsarchitekten bauchplan ).( wird nun die Grundlage für die Aufstellung eines Bebauungsplans und die Vermarktung der Grundstücke bilden.
Keine Wettbewerbe für Landesgartenschauen
Welche Pläne und Aufgaben für die Zukunft anstehen, fragen wir den Kammervizepräsidenten, der schon eine klare Vorstellung hat. „Eines unserer Defizite ist, dass in Brandenburg als einzigem Bundesland bislang keine Wettbewerbe für Landesgartenschauen ausgeschrieben werden“, erklärt er. „Hier müssen wir noch einen wirklichen Durchbruch erreichen.“
Und dann wollen wir wissen, woher sein Engagement für den Wettbewerb ursprünglich herrühre. „Weil ich selbst meine ersten Schritte als Landschaftsarchitekt mit eigenem Büro einem gewonnenen Wettbewerb verdanke“, erinnert er sich, „und zwar dem für den Holzmarkt in Gardelegen 1993.“ So schließt sich der Kreis.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Engagiert
* Die drei im Artikel erwähnten Planungsteams waren 1. Christoph Kohl Stadtplaner Architekten GmbH (Berlin) mit Fugmann Janotta und Partner (Berlin) sowie Stadt + Verkehr Ingenieurbüro Terfort, Potsdam; 2. Cityförster architecture + urbanism (Hannover) mit Planergruppe GmbH Oberhausen (Essen); 3. ISSS Research Architecture Urbanism – Sabatier Schwarz Architekten (Berlin) mit bauchplan ).( Landschaftsarchitekten (München).
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: