In der deutschen Planerschaft und bei den öffentlichen Auftraggebern herrscht nach Streichung von § 3 Abs. 7 S. 2 VgV (alt) große Unsicherheit bei der Vergabe von Planungsleistungen. Unklar ist vor allem, ob diese Streichung dazu führt, dass im Rahmen der Auftragswertberechnung Planungsleistungen anders als bisher addiert und deshalb vermehrt europaweit ausgeschrieben werden müssen. Dies ist jedenfalls das Ziel der EU-Kommission.
Die Beteiligung an europaweiten Ausschreibungsverfahren erfordert aber sowohl einen Mehraufwand für die planenden Berufe als auch für die öffentlichen Auftraggeber, die diese aufwändigen Ausschreibungen vorbereiten und durchführen müssen. Außerdem steht zu befürchten, dass Planungsaufträge so öfter an Generalplaner oder sogar Totalunternehmer vergeben werden.
Sechs Fragen an Prof. Dr. Martin Burgi
Welche rechtssichere Alternative für öffentliche Auftraggeber zeigt das von Ihnen erstellte Gutachten auf?
Burgi: Die Bundesregierung hat im Zuge der Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV in der Verordnungsbegründung ein alternatives Beschaffungskonzept ins Spiel gebracht. Es besteht darin, für die Berechnung des Auftragswertes alle für ein Bauprojekt erforderlichen Planungs- und Bauausführungsleistungen zu berücksichtigen. Kombiniert wird dies mit einer anschließenden Fachlosbildung, die insbesondere die Planungsleistungen betrifft. Öffentlichen Auftraggebern, die im Interesse einer Verwirklichung der in diesen Zeiten so dringend benötigten, insbesondere kommunalen Investitionsvorhaben für Klimaschutz, soziale Infrastruktur, Sanierung etc. weder die zeitraubende europaweite Ausschreibung jeder einzelnen Planungsleistung noch die Betrauung eines Totalunternehmers sowohl mit den Planungs- als auch den Bauausführungsleistungen in Kauf nehmen wollen, ist dieses Beschaffungskonzept zu empfehlen.
Warum ist öffentlichen Auftraggebern eine Gesamtvergabe von Planungs- und Bauauftrag an einen Totalunternehmer nicht zu empfehlen?
Burgi: Die Beauftragung eines Totalunternehmers bedeutet grundsätzlich eine Schwächung der Position des öffentlichen Auftraggebers gegenüber den mit der eigentlichen Bauausführung betrauten Auftragnehmern. Denn der Auftraggeber profitiert, wenn er in Gestalt kleiner und mittelständischer Planungsbüros unabhängige und zugleich sachkompetente, damit insbesondere aber auch zu Kontrollen der Bauausführung befähigte Auftragnehmer an seiner Seite hat. Die Beauftragung eines Totalunternehmers wäre zudem mit mehr Rechtsunsicherheiten behaftet, weil der öffentliche Auftraggeber in jedem einzelnen Fall vor Beauftragung nachweisen müsste, dass Gründe für die Durchbrechung der grundsätzlichen Verpflichtung zur Losvergabe nach § 97 Abs. 4 S. 2,3 GWB vorgelegen haben.
Welchen neuen Ansatz für die Vergabe von Planungsleistungen zeigen Sie in Ihrem Gutachten auf?
Burgi: Das erste Element des alternativen Beschaffungskonzepts besteht darin, als Grundlage für die Auftragswertberechnung auf den sogenannten „Bauauftrag“ abzustellen, der nicht nur aus Ausführungsleistungen bestehen kann, sondern auch in einer Kombination aus Planung und Ausführung. Dies ist so ausdrücklich in § 103 Abs. 3 S. 1 GWB und § 3 Abs. 6 S. 2 VgV vorgesehen und entspricht überdies europarechtlichen Vorgaben. Der maßgebliche Schwellenwert für die Verpflichtung zu einer europaweiten Ausschreibung liegt für Bauaufträge bei 5,538 Mio. Euro. Die Entscheidung zugunsten einer solchen Vorgehensweise liegt dabei im freien Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers. Dadurch wird nicht das Umgehungsverbot der § 111 Abs. 5 GWB und § 3 Abs. 2 VgV tangiert, nach denen die Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen darf, die Auftragsvergabe von den Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen auszunehmen. Im Gegenteil: Bei den Bauaufträgen wird der Schwellenwert aufgrund der Einberechnung der Planungsleistungen vergleichsweise häufiger erreicht beziehungsweise überschritten. Dies dürfte gerade im Sinne des europäischen Binnenmarktes ein Vorzug des alternativen Beschaffungskonzepts sein.
Worin unterscheidet sich denn konkret das von Ihnen untersuchte alternative Beschaffungskonzept von den bisherigen Vergabearten?
Burgi: Wesentlich ist der zweite Teil des alternativen Beschaffungskonzepts – die Teilung des aus Planungs- und Bauleistungen bestehenden Bauauftrages in Fachlose, insbesondere die Unterteilung in Fachlose für die einzelnen Planungsleistungen. Diese anschließende Aufteilung in Fachlose ist nach meiner Untersuchung nicht nur rechtlich zulässig, sondern nach deutschem Vergaberecht grundsätzlich verpflichtend vorzunehmen.
Erfahrungsgemäß machen Planungsleistungen rund 20 Prozent der Bauleistungen aus. Dann würden Planungsleistungen im Rahmen eines Bauauftrages demnach erst ab einer Größenordnung von rund 1,1 Mio. Euro europaweit ausgeschrieben werden müssen?
Burgi: Ja, bei Unterschreiten des Bauaufträge-Schwellenwerts gelangen die Vorgaben des europäischen Vergaberechts erst gar nicht zur Anwendung. Dies gilt dann auch für die anschließende losweise Vergabe der Planungsleistungen. Darin ist auch keine missbräuchliche Verfahrensgestaltung des öffentlichen Auftraggebers zu sehen, sondern diese Rechtsfolge geht allein auf die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zurück, den Schwellenwert für die Vergabe von Bauaufträgen deutlich höher anzusetzen als den für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen. Es ist jedenfalls nach Anwendung aller klassischen rechtlichen Auslegungsmethoden keine schlüssige Begründung ersichtlich, warum der Einsatz dieses alternativen Beschaffungskonzepts unstatthaft sein sollte. Vielmehr ist dieses Beschaffungskonzept Bestandteil der europarechtlich anerkannten sogenannten Beschaffungsautonomie des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers, deren Ausübung insoweit keine Grenzen gesetzt sind.
Aber auch dann, wenn der Gesamtauftragswert den Schwellenwert überschreitet, ist noch folgendes zu berücksichtigen: § 3 Abs. 9 VgV sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber einzelne Lose außerhalb des EU-Vergaberechts vergeben darf, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Liefer- und Dienstleistungen unter 80.000 Euro und bei Bauleistungen unter 1 Mio. Euro liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 Prozent des Gesamtwertes aller Lose nicht übersteigt. Die Konsequenz dieser sogenannten 80/20-Regel ist im vorliegenden Zusammenhang eine Verschiebung des Schwellenwerts nach oben bis zu maximal 20 Prozent des Gesamtwerts aller Lose. Dies wiederum bedeutet, dass bis zu dieser nach oben verschobenen Schwelle nicht die Regeln des Oberschwellen-, sondern die des Unterschwellenvergaberechts gelten. Im vorliegenden Zusammenhang würde sich anbieten, die auf die Planungsleistungen bezogenen Lose in das 20-Prozent-Kontingent zu ziehen.
Auf welcher Grundlage müssten dann die jeweiligen Lose für die Planungs- und die Bauleistung vergeben werden? Wäre hierbei nicht vorrangig die VOB Teil A anzuwenden?
Burgi: Das Rechtsregime für die Vergabe der Lose für die Planungsleistungen richtet sich oberhalb des Bau-Schwellenwerts nach der VgV. Unterhalb dieses Schwellenwerts für Bauaufträge in Höhe von 5,538 Mio. Euro richtet sich das anwendbare Regime für die Auftragsvergabe nach den jeweils einschlägigen Vorschriften des Haushaltsrechts. Vorbehaltlich im Einzelfall abweichender Regelungen dürfte hier im Hinblick auf die Lose für die Planungsleistungen nach der UVgO verfahren werden. Diese enthält wiederum in § 50 UVgO eine Sonderregelung zur „Vergabe von freiberuflichen Leistungen“, auf deren Grundlage dann zu vergeben ist.
Prof. Dr. jur. Martin Burgi ist Ordinarius für Öffentliches Recht und Europarecht sowie Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, München
Der vollständige Titel des Rechtsgutachtens lautet:
„Gemeinsame Vergabe von Aufträgen für Planungs- und Bauleistungen, kombiniert mit Fachlosbildung: Funktionsweise und Rechtskonformität eines alternativen Beschaffungskonzepts (v. a. bei kommunalen Investitionsvorhaben für Klimaschutz, sozialer Infrastruktur, Sanierung etc.) nach Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV“.
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