Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Einfach machen“ im Deutschen Architektenblatt 06.2024 erschienen.
- Endberichte zum Forschungsprojekt „Einfach Bauen“
- Erkenntnisse für Energiekonzept und Lüftungskonzept
- Das erste Folgeprojekt: Wogeno in Bad Aibling
- Das zweite Folgeprojekt: Haus 4 in Bad Aibling
- Das dritte Folgeprojekt: Gartenhaus in München
- Einfach Bauen: der Leitfaden
Bauprozesse werden immer komplizierter. Ein Grund dafür ist die Gebäudetechnik, die nicht nur komplexe Planungsprozesse nach sich zieht, sondern auch fehleranfällig sein kann. Aber wie lässt sich das Ganze leichter umsetzen? Der Münchner Architekt Florian Nagler will mit „Einfach Bauen“ eine Antwort darauf finden. Seit Jahren entwickelt er das planerische Konzept, das mittlerweile einen großen Widerhall in der Architektenschaft findet, immer weiter.
Wenig Haustechnik und wenig Fremdstoffe
Vorbild war das Projekt 2226 in Lustenau von Baumschlager Eberle, ein Bürohaus, das ohne Heizung auskommt. „Einfach Bauen“ wollte diesen Ansatz auf Wohngebäude anwenden. In der Folge rief Florian Nagler, der auch den Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der TU München innehat, ein Forschungsvorhaben ins Leben.
Seitdem beschäftigen sich mehrere Lehrstühle mit der Frage, wie man Bauprozesse vereinfachen kann – zum Beispiel, indem man einfache Konstruktionen anwendet, die möglichst wenig Fremdstoffe enthalten. Hinzu kommt eine Haustechnik, die zwar anders als beim Projekt 2226 auf eine Heizung nicht komplett verzichtet, aber die technologischen Komponenten so weit wie möglich reduziert.
Einfache architektonische Prinzipien
Wichtig ist Florian Nagler und seinem Team, ihr Ziel mit den Mitteln der Architektur zu erreichen. Konkret bedeutet das, einen Schritt „back to the roots“ zu gehen, also Materialien zu verwenden, deren thermische Trägheit im Winter wie im Sommer ein stabiles Raumklima erzeugt, die Fenster darauf abgestimmt zu platzieren oder geneigte Vordächer mit Dachüberstand und außen liegenden Rinnen einzusetzen, um den Regen vom Gebäude fernzuhalten.
Tilmann Jarmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl und Projektleiter in Florian Naglers Büro, fasst es so zusammen: „Wir versuchen, mit den Elementen des einfachen Bauens zu gestalten. Anstatt den Entwurf nur als möglichst freien schöpferischen Vorgang und das Gebäude als Skulptur zu verstehen, nähern wir uns dem Ganzen über eine bestimmte Materialität und wenden die damit verknüpften Konstruktionstechniken an.“
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Endberichte zum Forschungsprojekt „Einfach Bauen“
Das Forschungsvorhaben unterteilte sich in drei Schritte, denen jeweils Endberichte folgten (herunterzuladen auf der Website von „Einfach Bauen“).
1. Das optimale Zimmer
Im ersten Schritt untersuchte das Team mit einem Simulationsprogramm an einem 18 Quadratmeter großen Raum die Wechselwirkungen aus Nutzungsverhalten, Materialität, Konstruktion, Raumgeometrie, Fensteröffnungen und Wettereinflüssen. Als beste Variante ergab sich ein Zimmer mit sechs Metern Tiefe, einer Höhe von 3,40 Metern und einem großen Fenster, das für die optimale Belichtung relativ weit oben angesetzt ist – Parameter, wie sie die Wohnräume in Gründerzeithäusern aufweisen.
2. Die drei Forschungshäuser
Im zweiten Schritt übersetzten die Architekten diese Erkenntnisse in drei konkrete Bauten mit unterschiedlichen einschaligen Außenwandkonstruktionen: Die sogenannten Forschungshäuser in Bad Aibling sind drei Wohngebäude mit jeweils acht Wohnungen und etwa 400 Quadratmetern Wohnfläche – einmal aus Infraleichtbeton, einmal aus Mauerwerk und einmal als Holzhybrid mit Stahlbetondecken errichtet. Wie der Architekt sie im persönlichen Gespräch vorstellt, lesen Sie in unserem Interview mit Florian Nagler.
3. Nutzerverhalten und Energieverbrauch
Um herauszufinden, ob das Konzept praxistauglich ist, überprüfte das Team von „Einfach Bauen“ im dritten Schritt des Forschungsvorhabens das konkrete Nutzerverhalten. So wurde etwa der Verbrauch der Heizenergie in einem Zeitraum von zwei Jahren gemessen. Alle drei Gebäude wiesen hierbei geringere Werte auf, als zuvor im Wärmeschutznachweis berechnet. Zudem untersuchte das Team pro Haus zwei Wohnungen in den oberen Geschossen. Dafür kam dann doch einige Technik zum Einsatz: Über 100 Sensoren kontrollierten, wann die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Fenster öffnen, welche Temperaturen Raum und Heizkörper haben oder wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist. Dabei zeigte sich eine große Streuung im Nutzungsverhalten: So gab es Bewohnerinnen oder Bewohner, die durch permanentes Lüften und Heizen viel Energie verbrauchten, aber auch solche, die sich sehr effizient verhielten.
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Erkenntnisse für Energiekonzept oder Lüftungskonzept
Die daraus gezogenen Erkenntnisse lassen sich auf verschiedene Fälle anwenden – etwa bei Sanierungsmaßnahmen, um Rückschlüsse auf deren Auswirkungen zu ziehen. Anhand von Simulationen kann nun überprüft werden, welche Maßnahmen bei welchem Nutzungsverhalten überhaupt sinnvoll sind.
Ein Beispiel wäre die Verwendung einer Lüftungsanlage in einem Wohnungsbau. Diese wäre keine effizienzsteigernde Maßnahme, wenn über die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner weiter über ihre Fenster lüften. Als Folge stellt sich der Effizienzgewinn, den die Lüftungsanlage bei geschlossenen Fenstern theoretisch produziert, in der Praxis nicht ein.
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Das erste Folgeprojekt: Wogeno in Bad Aibling
Die Auswertung des Forschungsvorhabens stellt aber keinen Schlusspunkt dar, sondern ist erst der Anfang von „Einfach Bauen“ – denn mittlerweile hat Florian Nagler drei weitere Projekte realisiert. Das erste, ein Mehrfamilienhaus aus Holz mit 22 Wohnungen für die Wohngenossenschaft Wogeno, befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den drei Forschungshäusern.
Weniger Wärmeverluste
„Das Ganze war eine Weiterentwicklung, weil wir hier ein Gebäude mit 22 Wohnungen verwirklicht haben, in dem die Wärmeverluste aufgrund der Gebäudehülle halbiert wurden. Im Haus gibt es pro Geschoss vier Eckzimmer. Der Rest ist sehr kompakt. Schon dadurch ist das Gebäude effizienter als die drei Forschungshäuser“, erklärt Tilmann Jarmer das Konzept für den Wogeno-Bau.
Geringerer Außenwandaufbau
Außerdem wurden beim Außenwandaufbau 13 Zentimeter gegenüber dem Holzhybrid-Forschungshaus eingespart, was 50 Quadratmeter zusätzliche Wohnfläche erzeugte. Während Letzteres eine Vollholzwand mit 30 Zentimetern aufweist, sind es beim Wogeno-Gebäude nur 22 Zentimeter. Hinzu kommt hier eine Traglattung von nur einem Zentimeter und eine daran befestigte Wetterschale aus vorvergrauter Fichte mit drei Zentimetern. Demgegenüber kommt das Holzhybrid-Forschungshaus auf einen Aufbau von neun Zentimetern, der sich aus Konterlattung, Traglattung und einer Holzverschalung von jeweils drei Zentimetern zusammensetzt.
Holzdecken, Treppenhauskern, Sonnenschutz
Auch an weiteren konstruktiven Punkten wurde gefeilt: Anstatt Geschossdecken aus Beton verwendeten die Architekten Holzdecken. Um trotzdem eine gewisse thermische Trägheit zu erzielen, gibt es zwei Treppenhäuser, die von Wänden aus 24 Zentimeter dickem Stahlbeton eingefasst sind. Sie dienen als Rückwand für die einzelnen Wohneinheiten und erzeugen dadurch einen Temperaturpuffer. Hinzu kommt ein außen liegender Sonnenschutz. Im Unterschied zu den drei Forschungshäusern hat jede Wohnung einen großen Balkon.
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Das zweite Folgeprojekt: Haus 4 in Bad Aibling
Neben dem Genossenschaftshaus wurde ein weiterer Bau in Bad Aibling gerade fertiggestellt: „Haus 4“ ist eines von drei neuen Forschungshäusern. Bei ihnen geht es laut Tilmann Jarmer unter anderem darum, den Aufwand, der bei der Materialherstellung, dem Bauprozess und später bei einem Umbau oder der Entsorgung des Gebäudes entsteht, zu verringern: „Das Ziel war es, die grauen Emissionen von Gebäude und Gebäudetechnik noch weiter zu reduzieren. Wir wollten zum Beispiel so wenig Zement und Beton wie möglich verwenden.“
Holz kombiniert mit Lehm und Stroh
Dazu kombinierte das Team Holz – für Außenwände und Decken – mit einem Lehmstein für die tragenden Innenwände. Hierbei handelt es sich um Ziegel aus getrocknetem Lehm im gängigen Mauerwerksformat 2 DF. Hinzu kamen Trennwände aus Strohbauplatten zwischen den einzelnen Zimmern.
Abbruchmaterial und Vorfertigung
Für die beiden weiteren Forschungshäuser sind konventionelle Streifenfundamente aus Beton geplant. Allerdings soll dafür der alte Hallenboden aus dem Abbruch einer nahe gelegenen Werkshalle verwendet werden. Zudem ist ein höheres Maß an Vorfertigung und das Entwickeln einer Konstruktion vorgesehen, die sich für die Gebäudeklasse 5 eignet.
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Das dritte Folgeprojekt: Gartenhaus in München
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Florian Naglers neuestes Projekt in München, das sogenannte Gartenhaus: ein Wohn- und Bürogebäude, das der Architekt für sich selbst im Stadtteil Pasing errichtet hat. Hier verzichtete er komplett auf Zement, Beton und Gipskarton. Anstatt eines Betonfundaments gibt es drei Meter lange Schraubfundamente aus verzinktem Stahl. Darauf sitzt ein Rost aus Massivholz.
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Einfach Bauen: der Leitfaden
Florian Nagler ist Überzeugungstäter – und sehr daran interessiert, dass einfachere Bauweisen den Weg in die Breite finden. Dafür wurde im Rahmen von „Einfach Bauen“ ein Leitfaden erstellt, der als Buch im Birkhäuser-Verlag erschienen ist. Kostenlos gibt es ihn auch als reduzierte Version auf der Homepage des Forschungsvorhabens zum Herunterladen.
In sechs Kapiteln, die von den zugrunde liegenden Prinzipien bis ins Detail gehen, wird hier das Konzept anschaulich erläutert. Themen sind:
- kompaktes Verhältnis vom Volumen zur Hülle,
- Platzierung von Fenstern,
- thermische Trägheit,
- robuste Gebäudetechnik,
- Trennung technischer Systeme vom Bauwerk
- materialgerechte Konstruktion.
Dazu werden die Auswirkungen entwurflicher Entscheidungen anhand von Beispielrechnungen aufgezeigt. Die ersten drei Forschungshäuser dienen als anschauliche Projekte. Deren Lösungsansätze sind ausdrücklich als Inspirationsquelle für Architektinnen und Architekten gedacht, um „einfach“ weiterzubauen.
Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Einfach
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„Ergebnisse der Forschungshäuser“ … im ganzen Artikel kein Wort über „Ergebnisse“, nur die Infos, die wir alle schon zu Hauf kennen. Wurde das vergessen, oder kommt da noch etwas?
Sehr geehrter Herr Saxer,
für den Beitrag war es aus redaktioneller Sicht erforderlich, sich auf wichtige Schlussfolgerungen zu konzentrieren, die nun weiterverfolgt werden. Konkrete Ergebnisse, finden Sie in den Schlussberichten auf der verlinkten Website von „Einfach Bauen“, insbesondere im Schlussbericht 3.