Die Ausstellung „Scharoun: Sieben Modelle“, für die 18 Architekturstudierende der RWTH Aachen verantwortlich sind, ist nun schon zum vierten Mal in Deutschland zu sehen – ein Zeichen für ihre hohe Qualität. Unter der Leitung von Christian Raabe und Hendrik Reinhold beschäftigten sich die Studierenden im Rahmen des Wahlformats „Forschungsfeld“, das ihnen Einblicke in real laufende Forschungsprojekte gibt, intensiv mit Scharouns Architektur, explizit ihren Innenräumen. In insgesamt sieben großen Schnittmodellen lässt sich nun ihr Raum entdecken und verstehen.
Dissertation über Hans Scharoun
Das Seminar basiert auf der kürzlich abgeschlossenen Dissertation von Hendrik Reinhold. „Als ich Scharouns Bauten besichtigt habe, hatte ich das Gefühl, in einem sehr guten Raum zu stehen, aber nur schwer in Worte fassen zu können, welche Mittel er dazu angewendet hat – das wollte ich herausfinden“, so Reinhold zu seiner Motivation. Hierfür wollte er nicht nur in Archiven und Literatur nach Antworten suchen, sondern vor allem das gebaute Objekt als erste Quelle heranziehen.
Szenischer Entwurf: Durchwegung und Innenräume
Die Scharounforschung besagt, er habe szenisch entworfen, von innen heraus, entlang der Durchwegung. Auf diese Weise analysierte Reinhold folglich die Projekte. Er erweiterte die Werkzeugpalette der Bauforschung über das Bauaufmaß hinweg und schaute zum Beispiel, wie sich beim Hindurchgehen Proportion, Geometrie, Licht, Akustik etc. verändern. „Was machen diese einzelnen raumkonstituierenden Elemente und wie wirken sie in ihrer Gesamtheit?“, fragte sich Reinhold. Der Versuch, die innenräumliche Qualität zu quantifizieren und zu messen ist meiner Meinung nach ein äußerst spannender Ansatz!
Vom Aufmaß zum Schnittmodell
Das Seminar nahm den Gedanken auf, die hochkomplexe Architektur nicht als überforderndes Ganzes zu betrachten, sondern sie anhand einer beispielhaften Choreografie durch den Raum zu untersuchen. Diese ergab die Schnittkante im Modell. Dem Bau des Holzmodells gingen aber einige Schritte voraus. Neben der Recherche zu geeignetem Modellbaumaterial und der richtigen Herangehensweise, wurden zu Beginn anhand von Bestandsplänen und Bildern Modelle aus Pappe gebaut.
Die Punkte, die man hierbei nicht aus der vorliegenden Plangrundlage erschließen konnte, wurden anschließend in dreitägigen Messkampagnen vor Ort dokumentiert und aufgemessen. In der Ausstellung werden die 1:100 Modelle aus Birkenholz von Plänen und Zusatzinformationen zum Mess- und Bauprozess komplettiert.
Scharouns Architekturikonen für die Gesellschaft
Die ausgewählten Projekte sind Architekturikonen aus der Feder Scharouns. Neben der Philharmonie und der Staatsbibliothek in Berlin, dem Theater in Wolfsburg und dem Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven sind auch alle drei Scharoun-Bauten in Westfalen, dem Bundesland des Ausstellungsortes, vertreten: Die Schulgebäude in Lünen und Marl sowie die Johannes-Kirche in Bochum. Alle eint ihre nachkriegszeitliche Entstehung sowie ihr Wesen als großräumliche Struktur für die Gesellschaft.
Die LWL-Denkmalpflege (Landschafts- und Baukultur in Westfalen) lädt zusammen mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und Historische Bauforschung (DHB) der RWTH Aachen noch bis zum 22. Juni 2024 zur Ausstellung in Münster ein. Einen Einblick in die beeindruckenden Modelle bieten vorab Impressionen vergangener Ausstellungen.
Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hahnheiser.
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