Mit der vorangegangenen vierten „Werkstadt für Klimagerechte Lehre“ war ein Einschnitt im Fokus der Podiumsdiskussionen erreicht. Bis hierher wurde eher aus dem Studium heraus in die Praxis geschaut und diskutiert, wohin die Lehre führen könnte. Nun, mit Lehrenden auf dem Podium, richtete sich der Blick nach innen. Zur Debatte stand, wie sich ein Lehrstuhl in Anbetracht der Klimakrise positionieren kann.
Hübsche Gebäude bitte!
Von Architekt:innen wird vor allem erwartet, dass sie hübsche Gebäude bauen: „Diese Tendenz hat meines Erachtens im 18. Jahrhundert mit der Ausbildung von Akademien eingesetzt – mit der Industrialisierung als Kernmoment. Hier fand eine Spaltung in die ‚Schöngeistigen‘ und die, die sich funktionaler ausgerichtet haben statt“, ordnet Tatjana Schneider, Professorin für Geschichte und Theorie an der TU Braunschweig ein.
Im toten Winkel des Portfolios
In Zeiten der Klimakrise könnte man meinen, dass es wichtiger sei, wertvolle Lebensräume zu schaffen und dabei Ressourcen zu schonen, als vor allem ästhetische Qualitäten zu verräumlichen. Doch unsere Disziplin ist derzeit noch so ausgerichtet: Wettbewerbsbeiträge und Portfolios gelten dann als besonders sehenswert, wenn sie ästhetisch sind. Und Lehrformate, die genau darauf vorbereiten, sind besonders beliebt. Vielleicht braucht es in der Lehre Wege, die soziale und politische Ansprüche nicht nur vermitteln, sondern sie auch über die Ästhetik der Projekte hinaus darstellbar machen.
Hochschulen sind langsam: Vorteil und Nachteil
Deutsche Hochschulen sind Tanker, die nicht sprunghaft ihre Richtung wechseln. Das ist gut, weil so viel Qualität gewahrt wird. Doch progressive Themen erhalten nur langsam Einzug. Von innen heraus lässt sich ein Lehrstuhl frei steuern, dank der Freiheit der Lehre. Doch von außen lassen sich kaum Anforderungen an Professor:innen stellen, auch dank der Freiheit der Lehre. So sind wir darauf angewiesen, dass jeder Lehrstuhl seine Verantwortung erkennt, wenn es um die Klimakrise oder andere Themen geht.
Mitreißen und Widerstand leisten
Es gilt ein mitreißendes positives Narrativ zu finden. Nichts leichter als das, könnte man meinen: denn ist es nicht viel aufregender, Lebensqualität auf verschiedenen Ebenen zu schaffen, als „nur“ schön zu bauen? Doch nicht immer reicht gutes Zureden in Gremien, Evaluationen, Berufungskommissionen und Co. Zuweilen muss auch scharfe Kritik pointiert formuliert werden, um die Verantwortung, die Lehrende wie Studierende tragen, sichtbar zu machen.
Aus dem Diskurs darüber hat die Werkstadt vier (An)Forderungen an die Lehre abgeleitet:
1. Wir brauchen vielfältige Vorbilder in der Lehre
Klare Haltungen und Erwartungen der Lehrstühle geben Studierenden Orientierungspunkte. Im Abwägen der Positionen unterschiedlicher Lehrbilder, bilden sich die Studierenden ihre eigene Haltung. Basis hierfür ist, dass die Zusammensetzung der Lehrkörper diverse Lebensrealitäten, Perspektiven und Lehransätze abbildet. Dialogisch sollten die Lehrenden ihre Inhalte und Methoden beständig weiterentwickeln und auch von den Studierenden eine Positionierung einfordern.
2. Handlungsfähigkeit lehren, Mut zu Widerstand säen
Schulen bringen uns bei, dass Aufgaben klare Antworten haben. Hingegen werden offene, prozessorientierte Aufgabenstellungen und Zurückhaltung von Lehrenden von Studierenden immer wieder als verunsichernd wahrgenommen. Doch diesen Freiraum braucht es, damit Lernende ihre eigene Handlungsfähigkeit entdecken, anfangen selbst zu denken, zu hinterfragen und vielleicht sogar Mut für Widerstand gegen Überholtes zu finden. Schon in der Grundlehre des Architekturstudiums sollte dieses Umlernen stattfinden.
3. Klarer Rahmen bei gleichzeitiger Freiheit in der Lehre
Das Spannungsfeld der vorangegangenen Punkte sollte in der Lehre einer Hochschule abgedeckt sein. Aber auch innerhalb eines Moduls funktioniert das Für und Wider: Aufgaben mit klarem Rahmen geben Sicherheit, während innerhalb des Rahmens alles ausprobiert werden kann. Die Vielfalt der Möglichkeiten innerhalb dieser Freiheit muss auch vermittelt und bestärkt werden. Es reicht nicht, zu sagen, „Ihr könnt theoretisch alles machen, probiert euch aus“.
4. Form und Haltung verbinden
Formale Ästhetik und politischer Anspruch müssen sich nicht konträr gegenüberstehen. Dieser historische Widerspruch sollte aufgelöst werden: „Es muss doch möglich sein, dass wir über Form und Schönheit sprechen und gleichzeitig viele andere wichtige Themen der Welt mitnehmen“, so Florian Summa, Gastprofessor für Entwerfen und Stadterneuerung an der UdK Berlin. „Wir sollten uns nicht so schnell gegenseitig in Schubladen stecken.“
Zur nächsten Werkstadt dazu-zoomen
In der nächsten Werkstadt geht es am 18. Juli in Kassel ab 18:30 Uhr tiefer in die Lehre. Im Fokus steht dann die Methodik, die es braucht, um die Bauwende voranzubringen. Interessierte können sich hier dazu-zoomen.
nexture+ lädt sieben Mal zu einer „Werkstadt“ ein, um die überfällige Transformation der Hochschulen strukturell zu beschleunigen. Lorenz Hahnheiser ist Co-Organisator und Co-Moderator der Reihe „Werkstadt für klimagerechte Lehre“.
Lorenz Hahnheiser hat sein Bachelor-Architektur Studium an der Leibniz Universität Hannover abgeschlossen, sammelte dann erste Bauerfahrungen und studiert nun im Master an der TU Berlin. Er engagiert sich bei der Nachwuchsorganisation nexture+ und ist Beirat der Joanes Stiftung.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten und Luisa Richter.
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