Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Fenster zum Hof“ im Deutschen Architektenblatt 09.2024 erschienen.
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Hamburg: Wohnungsbau im Hinterhof von HS-Architekten
Bei ihren Bewohnern sind Hinter- und Gartenhäuser beliebt: Sie finden hier ein durch den Bestand abgeschirmtes Zuhause mit sehr guter Anbindung an das vorhandene Quartier und profitieren zugleich meist von einer zentralen innerstädtischen Lage.
Sind die Bauten in zweiter Reihe allerdings nicht mehr aus der Gründerzeit erhalten oder ist im Hof Raum für eine Nachverdichtung, ist die Kunst der Architektinnen und Architekten gefragt, mit einer Vielzahl von Vorgaben durch den Bestand neue bauliche Qualitäten zu schaffen.
Hinter dem schmalen Kopfbau verbirgt sich ein langer Riegel mit 29 Mietwohnungen, die ...
Christian Spielmann
Ein Haus wie ein Implantat
Dass das auf engem Raum gelingen kann, zeigt beispielsweise ein Neubau mit 29 Mietwohnungen, den das Hamburger Büro HS-Architekten im Rahmen eines geladenen Wettbewerbs für ein lang gestrecktes Grundstück zwischen größtenteils geschlossener Bebauung konzipiert hat.
Entstanden ist ein dreigeschossiger Riegel mit fünfgeschossigen turmartigen Kopfbauten in konventioneller Bauweise – „ein maßgeschneidertes Implantat, das durch die Gestaltung der Außenflächen mit der dichten Blockbebauung der Nachbarn geschickt verwoben wurde“, so die Bewertung der BDA-Jury, die das Projekt 2022 mit dem dritten Platz für vorbildliche Bauten im Raum Hamburg ausgezeichnet hat.
Laubengänge und offene Treppenanlagen
In der ersten und zweiten Etage des Hamburger Implantats befinden sich von beiden Seiten belichtete und belüftbare Wohneinheiten, in den Kopfbauten Maisonettewohnungen. Die Erschließung der Wohneinheiten über ein Netz von Zuwegungen ist das charakteristischste Merkmal des Gebäudes. An seiner Ostseite verlaufen Laubengänge.
Sie sind über zwei offene Treppenhausanlagen erreichbar. Diese docken mit eigenen Brandwänden an die fensterlosen Brandwände eines parallel verlaufenden Bestandsgebäudes an und bedienen die Laubengänge mittels Brücken. In ihrer Fortführung bilden die Treppen für alle Bewohner des Neubaus den Zugang zu den begrünten Dachflächen zwischen den Kopfbauten.
Durchgänge und Durchblicke
Zwischen dem Neubau mit seinen unterschiedlichen Bautiefen und der vorhandenen Bebauung öffnen sich von Kathrin Wolf Landschaftsarchitektur aus Hamburg gestaltete Höfe mit Durchgängen und Durchblicken auf unterschiedlichen Ebenen. Dieses Spiel mit Enge und Weite prägt das Ensemble.
„Der größte Reiz ist die Kommunikation, die durch dieses Erschließungsmodell und seine vielfältigen Sichtbeziehungen ermöglicht wird“, beschreibt Architektin Margarethe Mink, die gemeinsam mit Benjamin Hagspiel und Holger Schmidt das Projekt betreut hat.
Langer Weg zur Baugenehmigung
Die grundlegenden Ideen – durchgesteckte Wohnungen, Laubengänge und offene Treppenhäuser – standen von Anfang an fest. Der Weg zur Umsetzung des Projekts, das am Ende mit Baukosten von 3.740 Euro brutto pro Quadratmeter Wohnfläche (KG 200–500 ohne Tiefgarage) zu Buche schlug, war jedoch steinig.
„Der Genehmigungsprozess war sehr langwierig und komplex. Aufgrund des geforderten Sozialabstands mussten wir unseren ursprünglichen Entwurf stark überarbeiten“, erinnert sich die Architektin. Dabei wurde der Baukörper zulasten von Grünflächen an seiner Westseite vom Bestand weggerückt, Türen mussten versetzt und die Positionen der Kopfbauten verändert werden.
Komplexe Baustelle managen
Dann stellte sich die Frage des Brandschutzes, konkret der Erreichbarkeit und Entfluchtung des Neubauriegels. Die Lösung: Für die unteren Etagen sichern die Außentreppen baulich die Rettungswege. Für die Maisonettewohnungen wurden Rettungswege über den ertüchtigten Dachboden des bestehenden Nachbargebäudes eingerichtet.
Schließlich galt es, bei erschwerter Zugänglichkeit des Grundstücks über die Schmalseite eine komplexe Baustelle inklusive Tiefgaragenbau zu managen. Das Nachbargebäude ist nicht unterkellert, sodass zunächst aufwendige Auffangmaßnahmen mit einem Injektionsverfahren notwendig waren.
„Das Dach der Tiefgarage wurde statisch stärker ausgebildet als notwendig und während der Bauphase mit einem wahren Stützenwald abgesichert, da es zum Trägerziehen und Verfüllen der Baugrube anschließend mit schwerem Gerät befahren werden musste“, erläutert Architektin Margarethe Mink.
Berlin: Wohnungsbau im Hinterhof von Studio Loes
Der Baugrund ist bei der Durchführung von vielen Nachverdichtungen eine Hürde – auch ohne Tiefgarage. Zum Beispiel beim Projekt „Element“ des Berliner Architekten Lukas Specks (Studio Loes). Er war von einem Immobilienentwickler beauftragt, zwischen zwei Berliner Vorder- und zwei Hinterhäusern ein neues Wohngebäude zu planen.
Die Fläche im Hof bestand zu weiten Teilen aus dem Schutt von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäudeteilen und war damit nicht tragfähig. „Für den Neubau war eine Pfahlgründung erforderlich“, erzählt er. „Um das dafür notwendige Gerät durch die Bestandsdurchfahrt auf das Grundstück zu bringen, musste die Durchfahrt samt dem darunterliegenden Kriechkeller statisch ertüchtigt werden.“
In Berlin wünschte sich der Bauherr einen Holzbau mit hohem Vorfertigungsgrad. Hinter dem Exoskelett aus Beton umfasst der Holzkorpus 20 Wohnungen.
Nate Cook Photography
Erschließung und Haustechnik ausgelagert
Der sechsgeschossige Riegel, den der Architekt nach KfW-40-EE-Standard entwarf und mit Bruttoquadratmeterkosten in Höhe von 3.000 Euro (KG 300 + 400) realisierte, besteht aus einem inneren Korpus in Holzrahmenbauweise und einem äußeren Exoskelett aus vorgefertigten Stahlbetonelementen.
Der Holzkorpus umfasst standardisierte Räume, die modular zu 20 durchgesteckten Wohneinheiten mit drei bis fünf Zimmern kombiniert sind, einige von ihnen als Maisonettewohnungen. Möglich waren die unterschiedlichen Grundrisskonfigurationen, weil die Haustechnik und die Erschließung in das Exoskelett ausgelagert sind.
Laubengänge und Balkone wechseln sich ab
Der Zugang zu den Wohneinheiten erfolgt über außen liegende Treppen an den Stirnseiten des Gebäudes und über Laubengänge. Sie verlaufen auf der Süd- und der Nord-Seite im Geschosswechsel. Die Grundrisse der Wohnungen sind so gestaltet, dass die Laubengänge keine Blicke in Schlafräume zulassen.
Auf den Ebenen zwischen den Laubenganggeschossen sind Balkone angeordnet. Die beiden längsseitigen Fassaden sind durch diese horizontalen Linien sowie die Betonstützen und die Fensterflächen streng gerastert. Die unterschiedlich tiefen Auskragungen und ein als Staffelgeschoss ausgebildetes Dachgeschoss sorgen für einen spannenden Ziehharmonikaeffekt.
Modularer Wohnungsbau im Hinterhof war eine Herausforderung
Nicht nur in dem neuen Hofgebäude schuf Studio Loes neuen Wohnraum. Auch drei der Bestandsgebäude ließ der Bauherr durch Aufstockungen ergänzen, beim vierten das Berliner Dach ausbauen. „Unsere Aufgabe war, aus dem Grundstück alles rauszuholen“, sagt Architekt Lukas Specks. „Dabei sollte Holzbauweise mit einem möglichst hohen Vorfertigungsgrad genutzt werden.“
Im Rückblick sieht der Architekt die Kombination dieser Anforderungen kritisch, denn „modulares Bauen in einem engen Berliner Hinterhof erfordert einen sehr hohen planerischen Aufwand“. Eine besondere Herausforderung waren beispielsweise Staffelungen oder Versprünge in der Gebäudegeometrie, die sich aus Abstandsvorschriften ergaben.
Leipzig: Wohnungsbau im Hinterhof von Aline Hielscher Architektur
Solche Abstandsfragen waren bei dem Nachverdichtungsprojekt Kurti 50a in der Leipziger Südvorstadt vergleichsweise einfach lösbar. Im Auftrag eines privaten Eigentümers übertrug Aline Hielscher Architektur aus Leipzig den Fußabdruck und auch die Traufhöhe eines im Krieg zerstörten Hinterhauses auf einen sechsgeschossigen Neubau.
Für das Mehrfamilienhaus aus Stahlbeton und Mauerwerk mit einer vorgehängten Metallfassade investierte der Eigentümer gut 2.800 Euro brutto pro Quadratmeter Bruttogrundfläche (KG 300 + 400).
Geänderte Stellplatzverordnung ermöglicht Wohnungsbau im Hinterhof
„Die Umsetzung dieses Projektes war nur möglich, weil die Stadt Leipzig 2019 ihre Stellplatzverordnung geändert hat“, berichtet die Architektin. „Ohne diese Änderung hätten zwölf Plätze nachgewiesen werden müssen. Dafür hätten wir eine Tiefgarage bauen müssen, das hätte die Kosten für das Vorhaben so stark in die Höhe getrieben, dass der Bauherr es nicht realisiert hätte.“
Erschlossen wird der Neubau nun durch die Durchfahrt im Vorderhaus. Das Erdgeschoss ist als reines Erschließungsgeschoss ausgebildet. Hier befinden sich neben einem Haustechnikraum die notwendigen Stellplätze sowie ein innen liegendes Treppenhaus und ein Fahrstuhl.
Das Erdgeschoss mit Stellplätzen und Technikraum dient einzig der Erschließung.
Célia Uhalde
Nachfrage nach großen Wohnungen in Leipzig
Pro Geschoss gibt es eine 126 Quadratmeter große Mietwohnung. „Nach der Wende wurden in Leipzig viele Gründerzeitwohnungen verkleinert. Der Bauherr ging deshalb von einem hohen Bedarf an großen Wohnungen aus. Daraus ergab sich die Realisierung einer 5-Zimmer-Wohnung pro Geschoss“, erläutert Aline Hielscher.
Feuerwehr liefert entscheidende Idee für den Brandschutz
Genau wie bei HS-Architekten in Hamburg (s.o.) bereiteten auch in Leipzig die Rettungswege zunächst Kopfzerbrechen: Die Zufahrt eines Hubrettungswagens in den Hof ist unmöglich, das Anleitern aufgrund der Gebäudehöhe ebenfalls. Zwei Treppenhäuser oder Treppen hätten die Wohnungen deutlich verkleinert, ein Sicherheitstreppenhaus wäre aufgrund der Rauchschutzdruckanlage zu teuer und wartungsintensiv geworden.
Die entscheidende Idee unterbreitete die Feuerwehr im Rahmen der Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie: ein Sicherheitstreppenhaus mit außen liegenden Rettungsbalkonen.
Fazit und Ratgeber zur Nachverdichtung
Brandschutz, effiziente Erschließung von vielen Wohneinheiten auf sehr begrenzter Fläche, Zugang zur Baustelle und Vorgaben zu Stellplätzen und Abständen – das waren nicht nur bei den von uns vorgestellten Projekten die größten Herausforderungen. Auf diese Punkte stoßen Architektinnen und Architekten bei den allermeisten Nachverdichtungsvorhaben.
Um sie zu lösen, sind konstruktive Partner in Behörden und auf Bauherrenseite gefragt. Erleichtert werden Nachverdichtungen in Hinterhöfen dadurch, dass sich diese in der Regel – wie auch in unseren drei Beispielen – auf demselben Flurstück und damit in der Hand desselben Eigentümers befinden. „Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätten wir das Gebäude so nicht errichten können“, sagt Margarethe Mink.
Rettungswege, Baustelle, Abstände
Über unsere drei Beispiele hinaus hat unsere Autorin für Sie recherchiert: Was sind die Knackpunkte bei Nachverdichtungen und wie kann man sie gut lösen? Informationen und Tipps, u.a. zu
- Brandschutz,
- Zugang zur Baustelle,
- Sozialabstand
- baurechtlichem Abstand
- Absicherung von Baugrube und Nebengebäuden
lesen Sie in einem weiteren Beitrag von Eva Kafke.
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