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Zurück Nachwuchs-Kolumne #226

Das „Manifest der freien Straße“

Gemeinschaftlich genutzter Stadtraum hat großes positives Potenzial für unsere Gesellschaft. Das „Manifest der freien Straße“ zeigt, wie wir dorthin kommen können: mit sieben Thesen und beeindruckenden Visualisierungen, die Lust auf den öffentlichen Raum machen.

Von: Luisa Richter-Wolf
Luisa Richter-Wolf schreibt über Landschaftsarchitektur an den Unis, im Beruf...

23.10.20244 Min. Kommentar schreiben

In meiner vorigen Kolumne habe ich das Buch „Die neue Öffentlichkeit – Europäische Straßenräume des 21. Jahrhunderts“ vorgestellt. Dabei fiel auf: Es gab viele Beispiele aus unseren Nachbarländern. Aber wie können wir in Deutschland Vorreiter werden im Umgang mit unseren Straßen und eine Vorbildfunktion erarbeiten? Darauf gibt das Buch „Manifest der freien Straße“ Antworten. Hinter der Publikation stecken verschiedene Akteure, die sich zusammengetan haben.

Herausgeber des Buches ist die Allianz der freien Straße. Sie tritt der Klimakrise, dem demographischen Wandel und der wachsenden sozialen Ungleichheit mit kreativen und zukunftsweisenden Gedankenanstößen positiv entgegen. Ihr Fokus liegt auf gemeinschaftlich genutztem Stadtraum. Wovon dieser dominiert wird, bringt der Titel des Buches „Manifest der freien Straße“ auf den Punkt.

Thesen zu sieben Bereichen

Ähnlich dem Buch über die neue Öffentlichkeit, definiert auch das Manifest der freien Straße verschiedene Kategorien. Das Buch ist eine Sammlung von Vorschlägen für Maßnahmen, die auf verschiedene Straßentypen angewendet werden können. Da es sich um theoretische Vorschläge handelt, werden diese als „Thesen“ bezeichnet.

Auf rund 150 Seiten formuliert das Manifest der freien Straße sieben solcher Thesen, die sich verschiedenen Bereichen widmen:

  • Nachbarschaft,
  • Mobilität,
  • Wirtschaft,
  • Gesundheit,
  • Klima,
  • Politik und
  • Beteiligung.

Anhand von Visualisierungen und Skizzen stellen die Herausgeber unterschiedliche, Straßenräume dar, die möglich wären (siehe auch Bildstrecke oben).

Blick durch einen Rundbogen auf eine ruhige Straße mit Bäumen und Kindern

„Die Straße ist unser Treffpunkt mit dem Fremden. Verändern wir Straße – verändern wir Gesellschaft.“ So lautet die Nachbarschaftsthese im Manifest.
Manifest der Freien Strasse / paper planes e. V.

Die Nachbarschaftsthese: Straße als Treffpunkt

Jede These im Manifest der freien Straße wird nach demselben Prinzip vorgestellt. Die Nachbarschaftsthese lautet zum Beispiel: Die Straße ist unser Treffpunkt mit dem Fremden. Verändern wir Straße – verändern wir Gesellschaft. Darauf folgen Visualisierungen, die eine alternative Realität aufautofreien Straßen zeigen. Mithilfe von Quellen wird die Qualität und das Potenzial des Straßenraumes dargelegt.

Im Rahmen der Nachbarschaftsthese geschieht das unter dem Titel „soziale Wesen ohne Revier“. Die Herausgeber beschreiben, inwiefern der Straßenraum Gemeingut für die Stadt ist und wie wir historisch gesehen unsere Straßenräume genutzt haben.

Straße und Auto: eine problematische Beziehung

Durch die Erfindung des Autos und seine spätere Dominanz als Fortbewegungsmittel hat sich unsere Nutzung des Freiraumes zwischen den Gebäuden verändert. Während auf mittelalterlichen Gemälden ein reges Treiben und Gewusel von Menschen und Tieren gezeigt wird, nutzen wir heute den Raum eher zum Bewegen von Autos, oft sogar nur zum Abstellen von Autos.

Durch die Fortbewegung in einem abgekapselten Fahrzeug entsteht keine Interaktion und wir kennen unsere Nachbarn nicht. Auch hat das Leben in der Stadt durch den starken Autoverkehr gesundheitliche Folgen. Nicht nur sinkt die Luftqualität, die Stadt erhitzt sich auch stärker durch die starke Versiegelung.

Ideen für bessere Nachbarschaft

Darauf bauen die Herausgeber im Folgenden ein Szenario auf, das die Straße als Ort ohne Autos aber voller Nutzungsideen für die Nachbarschaft zeigt. In einem skizzierten Querschnitt durch eine Straße werden die Ideen räumlich gezeigt und zusätzlich erklärt:

  • Ein Straßen-Concierge: Ordnungshüter und Hausmeister für die Straße
  • Niederschwellige Begegnungsbereiche: zum Beispiel Boulebahnen, Straßenschach oder Nachbarschaftsgärten
  • Einladende Kommunikationsorte: verschiedene Arten von Sitzmöglichkeiten sprechen unterschiedliche Nutzergruppen an und fördern so die Durchmischung der Menschen im öffentlichen Raum
  • Kleine Orte der Kultur als Initialnutzung: zum Beispiel Open-Air Bühnen oder Pop-Up Kunstwerke
  • Pavillons für die Gemeinschaft: Sie können kostenfrei genutzt werden, zum Beispiel für Chorproben, Hausaufgabenbetreuung oder den Seniorentee am Nachmittag
  • Soft Edges: eine Verschmelzung des privaten mit dem öffentlichen Raum, um nachbarschaftliche Interaktion zu fördern
  • Überdachte Zonen: eine Möglichkeit des Aufenthaltes unabhängig von der Wetterlage

Jede These im Manifest der freien Straße schließt mit einem Comic, der die „vorherige“ aktuelle Situation gegen die erdachte Vision stellt. Abschließend fasst ein Glossar alle Fachbegriffe des Kapitels zusammen und erläutert sie.

Das Manifest der freien Straße als Wegweiser

Natürlich sind nicht alle Ideen in einer Straße umsetzbar. Das ist auch nicht das Ziel des Manifests. Auch würde in der Realität keine derartig klare Trennung der Straßentypen erfolgen. Aber das Manifest der freien Straße zeichnet eine Utopie einer Großstadt, in der ich persönlich sehr gern leben würde.

 

Manifest der freien Straße.
Allianz der freien Straße (Hg.).
Jovis, 2022.
Als Broschur und eBook
auf Deutsch und Englisch erhältlich.
160 Seiten, 38 Euro.


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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