Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Vorbefassung verpflichtet den Auftraggeber“ im Deutschen Architektenblatt 11.2024 erschienen.
Der Bund schrieb im November 2022 einen Auftrag über „Baustellenlogistik – Neuordnung Baufeld Infrastruktur“ für eine militärische Liegenschaft europaweit aus.
Die Zuschlagskriterien und ihre Wertungsanteile
Zuschlagskriterium war neben dem Preis (Honorarangebot) mit 60 Prozent die Qualität (Aussagen im Angebot zur Einhaltung von Terminen und Kosten) mit 40 Prozent. Das Kriterium der Qualität war in drei weitere Unterkriterien unterteilt, die ausweislich der Wertungsmatrix wie folgt gewichtet waren:
„1. Aussagen im Angebot zur Einhaltung von Terminen und Kosten (40 %)
1.1 Darstellung und Struktur der Ablauf- und Aufbauorganisation einschließlich Aussagen zum Personal am Standort Wilhelmshaven (24 % der Gesamtgewichtung)
1.2 Erkennen und Vermeiden typischer Fehlerquellen (8 % der Gesamtgewichtung)
1.3 Durchdringung des Projektinhalts und Nennung eigener Lösungsansätze (8 % der Gesamtgewichtung)
2. Honorarangebot (60 %)“
Vorbefassung mit Vergabeunterlagen
Im Vorfeld der Ausschreibung hatte die Vergabestelle den Projektsteuerer A mit der Vorbereitung der Baumaßnahme sowie der fraglichen Ausschreibung beauftragt.
Das Unternehmen B war von Juni 2019 bis August 2022 als Nachunternehmer für A tätig, wobei B ursprünglich mit der Durchführung der Leistungsphasen (LPH) 4 bis 8 beauftragt war, was neben der Vorbereitung der Vergabeunterlagen auch die Beteiligung an der Durchführung des Vergabeverfahrens umfasst hätte.
Vorbefassung wurde offengelegt
Da sich B als Bieter an der fraglichen Ausschreibung beteiligen wollte, beschränkten A und B den Vertragsinhalt nachträglich auf die Erstellung des Baulogistikkonzepts (LPH 2-4), die Aufstellung der Ausführungsplanung (LPH 5) sowie eine Mitwirkung bei der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses (LPH 6).
Am nachfolgenden Vergabeverfahren nahm B teil. Die Vergabestelle hielt in einem Vergabevermerk vom Februar 2023 fest, dass B als Nachunternehmer von A Ersteller des Baulogistikkonzepts sowie Aufsteller der Ausführungsplanung gewesen sei und zudem bei der Aufstellung des Leistungsverzeichnisses mitgewirkt habe.
Trotz Vorbefassung für Vergabeverfahren zugelassen
Dennoch komme B nach Abgabe als ausführender Bieter in Betracht. A habe der Vergabestelle bestätigt, dass B nicht an der Leistungsphase 7 im Rahmen der Projektsteuerungsleistungen und Baulogistik mitgewirkt habe. Demnach könne B als unabhängiger Baustellenlogistiker die Leistungsphase 8 betreuen, da B insoweit nicht mehr Nachunternehmer des Projektsteuerers sei.
Für die Transparenz seien möglichst alle Unterlagen im Vergabeverfahren bereitzustellen, die B kenne, und der Wissensvorsprung der Firma B sei im Rahmen der Gleichbehandlung aller Bieter möglichst auszugleichen.
Grundregeln der Projektantenproblematik
Am Ende des Vergabeverfahrens sollte B nach entsprechender Auswertung auf Basis der mitgeteilten Zuschlagskriterien als Bieter mit der höchsten Punktzahl den Auftrag erhalten. Dagegen wehrte sich ein anderer Bieter unter anderem mit dem Hinweis, dass B wegen der Vorbefassung als Projektant vom Vergabeverfahren auszuschließen sei.
Für die sogenannte Projektantenproblematik gibt es über alle Vergabeordnungen hinweg einheitliche Regeln, die in einem aktuellen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf vom 13. Mai 2024 (Az.: Verg 33/23) exemplarisch behandelt werden.
Das OLG Düsseldorf stellt in seiner Entscheidung zunächst die Grundregeln zur Projektantenproblematik vor: Hat demnach ein Bieter einen Auftraggeber vor Einleitung des Vergabeverfahrens beraten oder unterstützt (sogenannter Projektant), so hat der Auftraggeber sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme des Bieters nicht verfälscht wird. Ein unmittelbarer Ausschluss des Projektanten kommt also ohne Weiteres nicht in Betracht.
Transparenz und Chancengleichheit bei Projektantenproblematik
Zur Sicherstellung der Chancengleichheit gehört die Bereitstellung von Unterlagen, die der Projektant auch gesehen hat, weiter die Verlängerung von Angebotsfristen und gegebenenfalls die Neutralisierung von Kriterien.
Nur wenn sich trotz alledem eine Besserstellung des Projektanten (Bestbieterstellung) ergibt, folgt als Ultima Ratio der Ausschluss des fraglichen Unternehmens, falls der Projektant nach entsprechender Anhörung nicht nachweisen kann, dass sich die Bestbieterstellung nicht aus der Vorbefassung ergibt.
Die Projektantenproblematik ist im Planungsbereich keine Seltenheit und klassischerweise in Fällen anzutreffen, in denen ein Architekturbüro im Vorfeld des Projektes beispielsweise mit einer Standortanalyse, Machbarkeitsstudie oder Wirtschaftlichkeitsuntersuchung beauftragt wurde.
Projektantenproblematik auch als Nachunternehmer
Im dem konkreten Fall hatte B die Vergabestelle vor der Einleitung des Vergabeverfahrens nur mittelbar beraten. B war Unterauftragnehmer des Projektsteuerers, der von der Vergabestelle mit der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beauftragt worden war.
In dieser Funktion hatte B jedoch wesentliche Teile der Vergabeunterlagen bearbeitet, so unter anderem den Generalablaufplan, das Leistungsverzeichnis und diverse Planungsunterlagen. Aus Sicht des OLG Düsseldorf ist B damit ein Projektant.
Ausgleichspflicht der Vergabestelle bei Projektantenproblematik
Nach Auffassung des OLG hatte die Vergabestelle die Informations- und Wissensvorsprünge ausgeglichen, die sich aus den Unterlagen ergaben, die B zur Vorbereitung der Vergabeunterlagen nutzte: Alle Bieter hatten diese Unterlagen zusammen mit den Vergabeunterlagen erhalten.
Diese Ausgleichsmaßnahmen reichten im vorliegenden Fall nach Meinung des OLG aber nicht aus. Ursächlich hierfür sei das Wertungskriterium 1.3 „Durchdringung des Projektinhalts und Nennung eigener Lösungsansätze“). Dieses Kriterium sei nicht neutral. Es ermögliche vielmehr, dass das Angebot von B in diesem Punkt besser bewertet werde als das der anderen.
Ausschreibung war nicht neutral
Allein B könne aufgrund der dreijährigen Beschäftigung mit diesem Projekt als Nachunternehmer des von der Vergabestelle beauftragten Projektsteuerers im Vorfeld der Ausschreibung die gestellten Anforderungen in dem Unterkriterium 1.3 besser beurteilen und das Angebot leichter an die Bedürfnisse des Auftraggebers anpassen als andere, vorher unbeteiligte Bieter.
Tatsächlich hatten sich die dargestellten Vorteile bei der Wertung positiv ausgewirkt. Ausweislich des Wertungsprotokolls hatte B in dem Unterkriterium 1.3 eine deutlich bessere Bewertung als die Mitbieter erhalten: „Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den zur Verfügung gestellten Unterlagen war für das Gremium anhand der detaillierten Aussagen des Bieters zum vorliegenden Projekt erkennbar. Besonders hervorzuheben ist insgesamt die Präsentation der Projektanalyse, welche auf die Kriterien des Auftragnehmers abgestimmt worden ist.“
Damit hatte die Vergabestelle schon mit dem qualitativen Unterkriterium 1.3 ein für B vorteilhaftes, also eben kein neutrales Wertungskriterium geschaffen, und dieses „parteiische“ Kriterium hatte sich auf die Bewertung ausgewirkt.
Vorteil dank Vorbefassung, aber kein Ausschluss
Doch trotz Projektantenstellung von B, unzureichender Ausgleichsmaßnahmen des Auftraggebers und ausgewirktem Wettbewerbsvorteil kommt das OLG gleichwohl nicht zu einem Ausschluss von B.
Nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem OLG war die Entscheidung der Vorinstanz, nach der als milderes Mittel eine neue Präsentationsrunde unter geänderten Bewertungskriterien zur Qualitätsbewertung (mit Streichung des Unterkriteriums 1.3) durchzuführen sei. Falls die Vergabestelle die Leistung nach wie vor beschaffen wollen würde, sollte diese Runde folgen.
Fazit: Auftraggeber muss handeln
Die Entscheidung des OLG folgt im Wesentlichen der bisherigen Rechtspraxis. Der Begriff des Projektanten wird relativ weit gefasst, auch Nachunternehmen können darunterfallen.
Der Auftraggeber kann sich nicht auf das Bereitstellen von Unterlagen beschränken, die auch der Projektant gesehen hat, sondern muss insbesondere die Kriterien des Verfahrens neutral formulieren.
Der Ausschluss eines Projektanten ist, soweit ersichtlich, in der deutschen Rechtspraxis noch nie entschieden worden. Wesentlich dafür ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vor allem aber die beim Auftraggeber liegende Pflicht, die Neutralität des Wettbewerbs zu gewährleisten.
Wenn der Auftraggeber seinen Pflichten nicht nachkommt, soll nicht der Bieter beziehungsweise Projektant die Konsequenzen tragen müssen.
Dr. Klaus Greb ist Fachanwalt für Vergaberecht, Mitglied des Fachanwaltsausschusses für Vergaberecht der Rechtsanwaltskammer Berlin und Gründungspartner von Vergabepartners Rechtsanwälte
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