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Zurück Raumwunder

Kleine Wohnungen: Platz sparen und mehrfach nutzen

Wenn die Wohnung zu klein wird, etwa wegen Familienzuwachs oder weil vermehrt zu Hause gearbeitet wird, muss die Lösung nicht „Vergrößerung“ heißen. Wer mithilfe von Innenarchitektinnen und Architekten einen Schritt zurücktritt, kann in einer ­flexiblen Nutzung des verfügbaren Platzes ganz neue Raumreserven finden – Wohnungsnachverdichtung sei Dank.

Von: Christoph Gunßer
Christoph Gunßer ist für das DAB vor allem in Süddeutschland...

31.10.20246 Min. Kommentar schreiben

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Inneres Wachstum“ im Deutschen Architektenblatt 11.2024 erschienen.

Gerd Streng: Platz sparen mit multifunktionalen Treppen

Gerd Streng hat gut zu tun. „Wenn Krise ist und die Leute nicht bauen, hilft es ihnen, die eigene Bude noch mal anzugucken.“ Das bietet ihnen der Hamburger Architekt seit mittlerweile fünfzehn Jahren mit wachsendem Erfolg an: „Ich habe meine Nische gefunden.“

Um Nischen und Raumreserven geht es auch in seiner Arbeit. „Der größte Teil meiner Tätigkeit ist der Gestaltung, Reorganisation oder Nachverdichtung von Wohnraum gewidmet“, sagt der 54-Jährige.

Treppen als Multifunktionsmöbel

Speziell Treppen haben es ihm angetan: 37 „Stair Case Study Houses“ verzeichnet sein Œuvre. Meist drehen sich die Projekte um im baurechtlichen Sinne nicht notwendige Treppen, die interne Verbindungen zu bislang ungenutzten Räumen schaffen, für die es entweder noch eine andere reguläre Erschließung gibt oder die auch künftig nicht zu Wohnzwecken genutzt werden.

Das gibt dem Gestalter große Freiheiten, sie platzsparend und „hybrid“ auszubilden. Das heißt zum Beispiel: die Treppenläufe über Küchenzeilen zu führen, Stauraum in die Treppenwangen oder unter Stufen zu integrieren oder Durchblicke und Gucklöcher zwischen den Ebenen anzuordnen.

Modellfoto, das ein Haus mit mehreren Ebenen im Querschnitt zeigt.

Bunte Raumreserve: In diesem Hamburger Siedlungshaus aus den Fünfzigerjahren erschließt eine neue Wendeltreppe mit imaginärer schräger Spindel auf kleinster Grundfläche den Spitzboden, der kein Aufenthaltsraum ist.
Gerd Streng

Tagesabläufe der Auftraggeber bestimmen die Planung

Gard Streng hat hier ein schier unerschöpfliches Repertoire an kreativen Lösungen entwickelt. Die Treppe wird so zum Raum im Raum, zum komplexen Möbel, zum Hingucker und ästhetischen Erlebnis.

Dabei geht es natürlich erst einmal um die praktischen Vorteile einer solchen Verdichtung bestehender Räume. Zu Beginn eines Projektes setzt sich Streng intensiv mit den Nutzungsgewohnheiten und Tagesabläufen seiner Auftraggeber auseinander: „Ich trete einen Schritt zurück und entdecke diese gewisse Betriebsblindheit der Leute.“

Dachboden mit weißen Wänden und orangem Boden, in dem eine Klappe geöffnet ist

Klappe halten: Bewohner des von Gerd Streng gestalteten Hamburger Siedlungshauses können mit einer Krawatte die Klappe zum Dachboden zuziehen oder sich beim Aufstieg daran festhalten.
Uwe Scholz

Außenhülle und Statik meist unangetastet

Anhand von 3D-Simulationen macht er den Bauherren dann die Vorzüge der neuen Verbindungen anschaulich. Die bauliche Hülle der Häuser tastet der Architekt dabei eigentlich nie an. „Das gibt nur Ärger“, meint Gerd Streng.

Im Einzelfall, wenn eine Treppe etwa von Deckenbalken abgehängt wird (wie am Anfang des Beitrags), zieht er einen Statiker hinzu. Manchmal holen ihn auch Architekten-Kollegen zu ihren Bauvorhaben ins Boot.

Steile Treppen in den Niederlanden völlig legal

Er selbst hat früher ebenfalls in Architekturbüros gearbeitet, größere Projekte realisiert – heute ist er froh, Freiberufler zu sein: „Der Anteil sinnvoller Arbeit hat sich so von zehn auf 60 Prozent erhöht.“

Besonders geprägt hat den Architekten seine Zeit in den Niederlanden, wo er ein Jahr in Delft studiert und später acht Jahre im Büro Arconiko in Rotterdam gearbeitet hat. Dass steile Treppen im dortigen Wohnungsbau völlig legal sind, hat sicher abgefärbt.

Platz sparen auch in Lehre und Forschung gefragt

„Ich habe vor allem diese unerschütterlich optimistische, pragmatische Herangehensweise gelernt“, sagt Gerd Streng rückblickend. Seit 2012 ist er nebenher auch in der Lehre tätig, am Lehrstuhl für konzeptionelles Entwerfen der HafenCity Universität. Sein Knowhow brachte er in das Projekt des Forschungsministeriums „Flächennutzung optimieren, Neubaudruck mindern“ mit ein.

Raum mit weißen Wänden und weißen Türen und einem in orange gehaltenen Treppenaufgang zum Dachboden.

Blickfang: Mit seinen auffälligen und praktischen Treppenkonstruktionen, so wie in diesem Hamburger Siedlungshaus, überzeugt der Hamburger Architekt Gerd Streng seine Auftraggeberinnen und Auftraggeber.
Uwe Scholz

Treppen kommen vom Tischler

Zur Realisierung seiner Raumkunstwerke arbeitet der Hamburger eng mit Tischlereien zusammen. Um hier möglichst effizient zu sein, übernehmen diese inzwischen sogar die Werkplanung der Projekte, denn Gerd Streng hält sich für „handwerklich nicht so begabt“.

Dank CNC lassen sich heute auch komplexe Strukturen realisieren, die Handwerker früher abgelehnt hätten. Oft inspirieren vorhandene Restbestände in den Betrieben zu besonderen Upcycling-Lösungen – denn teuer dürfen die Treppen in den meisten Fällen nicht sein.

Raum mit weißen Wänden, Holzboden, Regalen aus Holz und einer orangen Treppe

Raumskulptur: Zur Realisierung seiner Treppenmöbel arbeitet der Hamburger Architekt Gerd Streng eng mit Tischlereien zusammen.
Uwe Scholz

Platz sparen: Einbreiten statt Ausbreiten

Etliche seiner Projekte realisiert Gerd Streng in Mietwohnungen. Rechnet man den Raumgewinn dagegen, ist so ein Projekt in der Regel trotzdem für beide Seiten ein Gewinn.

„Fünf Quadratmeter mehr Wohnraum sind heute 25.000 Euro wert“, erläutert der Architekt. „Einbreiten statt Ausbreiten“ nennt er die Methode. Und nebenbei: „Platz und Raum sind zwei verschiedene Dinge.“ Er selbst wohnt mit seiner Familie zu viert auf 100 Quadratmetern.

Eine seiner preisgekrönten Raumsparlösungen hat inzwischen sogar ein Hersteller als Fertigtreppe Tipolina im Programm. Und falls Ikea sein Selbstbausortiment einmal so weit individualisiert hat, dass es auch derart komplexe Möbel anbieten kann? „Dann gehe ich in Rente“, schmunzelt Gerd Streng.


Elisabeth Müller: Platz sparen in der Familienwohnung

Das würde die Innenarchitektin Elisabeth Müller vermutlich so nicht unterschreiben – auch wenn sie sich zuletzt mit ganz ähnlichen Themen wie Gerd Streng beschäftigt hat.

Für eine auf fünf Köpfe angewachsene Familie gestaltete die Berlinerin deren 100 Quadratmeter große Wohnung so um, dass sie kindgerecht, aber auch für alle Lebensphasen danach geeignet ist.

Altbauwohnung für fünfköpfige Familie

Die Gartenhauswohnung in einem Wilmersdorfer Jugendstilhaus bestand aus zwei übereinanderliegenden, gleichartigen Etagen. Müller verfertigte für die Familie zunächst eine Machbarkeitsstudie. In der kleinen Broschüre zeigte sie schematisch, wie sich die Ansprüche der Familie an die Wohnung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verändern würden.

„Das hat der Familie die Augen geöffnet für das Potenzial der Wohnung“, berichtet die Fachfrau, die sonst auch viel für Baugemeinschaften arbeitet. „Als Innenarchitektinnen helfen wir den Leuten, neu über das Wohnen nachzudenken: Was sind unsere Bedürfnisse? Wie wollen wir leben? Wie viel Platz brauchen wir wirklich?“

Flure auflösen und dadurch Platz sparen

Die vorhandenen kleinen Räume und engen Flure erwiesen sich als nicht geeignet. Also wurde in einer großen Lösung der gesamte Bestand entkernt, die Treppe neu positioniert und eine klare, offene Raumstruktur geschaffen, ohne jedoch Fensteröffnungen oder Installationsschächte zu verändern.

Grundriss einer Altbauwohnung vor und nach einem Umbau.

Untere Ebene: Nach dem Umbau durch Elisabeth Müller liegen hier drei Kinderzimmer und das goße Badezimmer. Der Flur ist zugleich eine Art Hauswirtschaftsraum (siehe auch Bildstrecke).
Elisabeth Müller Innenarchitektur

Grundriss einer Altbauwohnung, vor und nach einem Umbau

Obere Ebene: Nach dem Umbau durch Elisabeth Müller liegen hier Küche, Ess- und Wohnzimmer als offener, aber zonierter Raum. Außerdem das Elternschlafzimmer, das tagsüber zum Homeoffice wird (siehe auch Bildstrecke).
Elisabeth Müller Innenarchitektur

Nutzung der Räume kann wechseln

Eine durchgehende Belichtung und Sichtachsen erzeugen nun Weite. Die Nutzung der Räume ändert sich jetzt teilweise im Tagesrhythmus: So dient das Elternschlafzimmer tagsüber als Rückzugsraum, der Flur als Spielfläche und die Treppe – wie bei Gerd Streng – als Stauraum und Multifunktionsmöbel.

In der unteren Etage der Wohnung hat jedes der drei Kinder ein eigenes Zimmer, teils mit Hochbett und mitwachsenden Möbeln. Schiebetüren erlauben sowohl Rückzug wie Öffnung. Künftig lassen sich die Räume ohne viel Aufwand umnutzen.

Pastellfarben und Lichtkonzept kompensieren fehlendes Tageslicht

Das obere Geschoss ist die Wohnetage, in der Küche und Wohnen ineinander übergehen; die Eltern haben separate Bereiche für Ruhe, Ankleide und Heimarbeit.

Auch hier ermöglichen Schiebetüren variable Situationen im Tageslauf. Wände in Pastelltönen und ein subtiles Lichtkonzept strahlen zusammen mit Holzböden Behaglichkeit aus und kompensieren das fehlende Sonnenlicht.

Mehrfachnutzung statt immer mehr Fläche

Derzeit plant die Innenarchitektin, die hier auch die komplette Werkplanung übernommen hat, noch die zwei Loggien der Wohnung familiengerecht um.

Mit ihrem Projekt zeigt sie, wie auch ihr Hamburger Kollege Gerd Streng, dass es beim Wohnen heute nicht mehr um die Steigerung der Fläche gehen muss – gefragt sind vielmehr intelligente Konzepte, die Verschränkung und Mehrfachnutzung ermöglichen.

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