Im Angesicht der Wohnungsbaukrise versprach der Bundeskanzler: „Wir brauchen wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen – so wie in den Siebzigerjahren“. Diese Aussage löste schnell Bilder vor dem inneren Auge aus, die nicht unbedingt positiv besetzt waren.
Serielles Bauen mit negativen Assoziationen
Insbesondere die städtebaulichen und architektonischen Fehler der 1960er- und 1970er-Jahre stellen bis heute eine Herausforderung dar und lösen nach wie vor nicht nur in der Fachöffentlichkeit eine negative Konnotation aus.
Dennoch setzt die Bundesregierung große Hoffnungen in das serielle, modulare und systemische Bauen (smsB), um die Krise, in der sich aktuell der Wohnungsbau unstrittig befindet, in den Griff zu bekommen.
Serielles Bauen hat gute Vorbilder
Dabei ist die sms-Bauweise nicht per se zu kritisieren. Die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. kennt hervorragende Beispiele von seriell erstellten Projekten. Beispielhaft genannt seien die unter der Ägide von Stadtbaurat Martin Wagner entstandenen Wohnsiedlungen im Berlin der 1920er-Jahre. Die Tatsache, dass diese sich heute großer Beliebtheit erfreuen und als Weltkulturerbe der UNESCO anerkannt wurden, zeigt, welche Vorteile ein Verfahren zur Sicherstellung der städtebaulichen und architektonischen Qualität gerade beim seriellen Bauen langfristig aufweist.
Serielles Bauen nur mit Baukultur
Aus Sicht der Architektenschaft muss die Baukultur und damit eine langfristige Kostenbetrachtung im Vordergrund stehen. Baukultur ist aber ein entscheidender Aspekt, denn nur so kann sichergestellt werden, dass neue Großwohnsiedlungen nicht zu sozialen Brennpunkten werden.
Es kommt nun in erster Linie darauf an, dass mit geeigneten qualitätssichernden Verfahren unabhängige Architektinnen und Architekten einbezogen werden, die den gesamten Planungs- und Bauprozess begleiten und die städtebauliche und architektonische Qualität sicherstellen.
Serielles Bauen hält nicht alle Versprechen
Gegenwärtig werden am runden Tisch serielles, modulares und systemisches Bauen bei der Bundesstiftung Bauakademie im Auftrag des Bündnisses bezahlbarer Wohnungsbau Vorschläge zur Erleichterung des smsB in Deutschland erarbeitet. Damit verbunden ist die Vermutung, dass diese Bauweise sich positiv auf Termine, Kosten und Prozesse auswirkt. Zumindest in Bezug auf die Kosten wird dies durch die aktuelle Studienlage nicht bestätigt.
Aber es gibt durchaus auch technische Gründe, die das serielle, modulare und systemische Bauen vorteilhaft erscheinen lassen. Dies sind angesichts des Fachkräftemangels die besseren Arbeitsbedingungen und die Qualitätssicherung im Werk. Weiterhin kann die Modulbauweise oft in kürzerer Zeit umgesetzt werden.
Ein Nachteil ist allerdings, dass die lokalen Gegebenheiten im Regelfall eine solche Bauweise gar nicht zulassen, denn in aller Regel wird nicht auf der grünen Wiese, sondern in Bestandssituationen gebaut. Hier ist die sms-Bauweise oft nicht sinnvoll anwendbar.
Expertise der Architekten gefragt
Eine wie auch immer zusammengesetzte zukünftige Bundesregierung wird weiterhin mit einem Mangel an bezahlbaren Wohnraum konfrontiert sein. In der sms-Bauweise könnte also auch in Zukunft ein Ansatz zur Lösung des Wohnraummangels gesehen werden. Auch wenn sich die Prozesse aufgrund des Zerfalls der Koalition aktuell verzögern, muss die Architektenschaft weiterhin für sich eine maßgebliche Rolle im Prozess einfordern.
Nur Architektinnen und Architekten sind dafür ausgebildet, stadträumlich und gestalterisch nachhaltige Lösungen unabhängig von vorgefertigten Systemlösungen für einen jeweiligen Standort zu entwickeln.
Konflikt zwischen seriellem Bauen und losweiser Vergabe
Ein Problem besteht darin, dass die serielle, modulare und systemische Bauweise bei einer losweisen Vergabe strukturell benachteiligt ist, sofern Module gewerkeübergreifend hergestellt werden und deshalb eine losweise Vergabe einzelner Gewerke einer integrierten smsB-Lösung entgegensteht.
Vom Grundsatz der losweisen Vergabe nach § 97 Abs. 4 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) abzuweichen ist innerhalb der gegenwärtigen Gesetzeslage schon jetzt möglich, allerdings nur, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Hierzu mehren sich Stimmen in der Literatur, die bei der Beschaffung von Leistung in Modulbauweise davon ausgehen, dass ein solcher – allerdings weiterhin im Einzelfall zu begründender und zu dokumentierender – Ausnahmefall vorliegt (siehe auch Tenner/Brousse, Modulbauweise und Gesamtvergabe in den Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts, VergabeR, 2024, 253). Eine Änderung des Vergaberechts wäre demnach nicht erforderlich.
Unter welchen Voraussetzungen wäre eine smsB-Vergabe zulässig und wie sollte das konkret aussehen?
Bundesarchitektenkammer will losweise Vergabe beibehalten
Will eine öffentliche Auftraggeberin eine das smsB ermöglichende funktionale Ausschreibung durchführen, berührt dies vergaberechtliche Fragestellungen. Die Bundesarchitektenkammer (BAK) spricht sich dezidiert gegen eine Aufhebung des Grundsatzes der losweisen Vergabe aus, sowie auch gegen eine Aufweichung wie im aktuellen Entwurf des Vergabetransformationsgesetzes vorgeschlagen. Eine Abweichung wäre dann bei allen Bauvorhaben unabhängig von der Bauweise möglich.
An einer mittelstandsfreundlichen losweisen Vergabe muss also im Regelfall weiterhin festgehalten werden. Serielles, modulares und systemisches Bauen wird auch in Zukunft einen Sonderfall darstellen. Insbesondere in heterogenen Bestandssituationen ist die sms-Bauweise meist nur bedingt sinnvoll.
Abweichung von losweiser Vergabe nur als Ausnahme
Eine Abweichung von der losweisen Vergabe könnte aber dann ausnahmsweise zugelassen werden, wenn auf Grund der Anforderungen der Bauaufgabe und einer substantiierten Prognose erkennbar ist, dass Marktteilnehmer Lösungen anbieten, die sich aller Voraussicht nach positiv hinsichtlich Kosten oder Qualität auswirken werden, diese aber in einer gewerkeweisen Vergabe nicht zum Zuge kommen würden. Dies kann im Einzelfall bei systemischer, modularer oder serieller Bauweise der Fall sein.
Eine serielle, modulare oder systemische Lösung darf also nur dann zum Zuge kommen, wenn sie qualitativ und wirtschaftlich einer gemäß der Definition des Runden Tisches smsB „konventionellen Lösung“ überlegen ist.
Von Systemanbietern unabhängige planerische Begleitung
Die abweichende Vergabe muss gemäß dem Vorschlag der BAK stets eine von Systemanbietern unabhängige Begleitung des gesamten Verfahrens voraussetzen. Die Qualitätskontrolle kann durch einen vom Auftraggeber in einem zugelassenen Verfahren (zum Beispiel VGV-Verfahren) beauftragten qualifizierten Architekten, ein Planerteam oder einen Generalplaner sichergestellt werden.
Voraussetzung für eine smsB-Ausschreibung muss also sein (und so hat es sich in der Praxis bereits bewährt), dass eine unabhängige freischaffende Architektin oder ein Architekt:
- über ein qualifiziertes VgV-Verfahren oder einen Wettbewerb beauftragt wird.
- auf Basis des Wettbewerbsergebnisses oder der Lösungsvorschläge aus dem VgV-Verfahren die entwurflichen und genehmigungsrechtlichen Grundlagen erarbeitet. Auf dieser Basis kann eine funktionale Ausschreibung zur Findung eines Totalunternehmers (TU) durchgeführt werden. Systemanbieter können bereits beratend in einer frühen Planungsphase eingebunden werden, insbesondere um einen modul- bzw. systembaugerechten Entwurf zu entwickeln.
- nach Vergabe der Totalunternehmerleistungen (inkl. Ausführungsplanung) das Projekt auf Basis von besonderen Leistungen (insbesondere Prüfung der Konformität mit funktionaler Leistungsbeschreibung) bis zur Fertigstellung begleitet.
Architekt entwirft, Totalunternehmerin plant und baut
Der Totalunternehmer oder die Totalunternehmerin plant und erbringt seine oder ihre Leistungen vollständig auf Basis der genehmigten Entwurfsplanung des Architekten oder der Architektin beginnend mit der Ausführungsplanung bis zur schlüsselfertigen Übergabe. Die Anforderungen des jeweiligen Bausystems können bereits in der Leistungsphase 2 eingebracht werden, sodass eine reibungslose Umsetzung gewährleistet ist.
Bei der Vergabe der Totalunternehmerleistungen muss in jedem Fall überwiegend die Qualität ausschlaggebend sein und nur untergeordnet der Preis.
Dr. Volker Schnepel ist Leiter der Rechtsabteilung und stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer. Sebastian von Oppen ist Leiter des Referats Architektur und Bautechnik der Bundesarchitektenkammer.
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