Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Identifikationspunkte“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2025 erschienen.
Erlebnis-Hus St. Peter Ording: Holzer Kobler Architekturen
Als die Kommune St. Peter-Ording entschied, ihr Kinderspielhaus aus beengten Verhältnissen umzuziehen und einen neuen, attraktiven Treffpunkt für Klein und Groß zu schaffen, konnte sich wohl noch niemand vorstellen, dass aus dieser Idee einer der größten Anziehungspunkte des Ortes für Bewohner und Feriengäste werden würde – das Erlebnis-Hus an der Promenade direkt hinterm Deich zwischen den Ortsteilen St. Peter-Bad und St. Peter-Dorf.
Ortstypische Pfahlbauweise neu interpretiert
Im Frühsommer wurde der Holzhybridbau mit einer Bruttogeschossfläche von 2.950 Quadratmetern eingeweiht. „Unser Grundgedanke war, die ortsübliche Pfahlbauweise neu zu interpretieren und dabei ein Programm für alle zu schaffen“, erklärt Architektin Andrea Zickhardt von Holzer Kobler Architekturen (Zürich/Berlin).
Das über 20 Meter hohe Bauwerk mit seiner abwechslungsreich untergliederten Architektur ist weithin sichtbar. Die Stützen und Träger des Holz-Stecksystems sind in einem Raster von 4,5 mal 4,5 Metern angelegt und durch Diagonalverstrebungen aus Stahl zusätzlich ausgesteift. In die Zwischenräume wurden an verschiedenen Positionen fünf unterschiedlich große Quader eingeschoben: fünf Nutzungseinheiten.
300 Quadratmeter großer Indoor-Spielplatz
Das Herz des Gebäudes ist das Familienzentrum in der ersten und zweiten Etage. Der 300 Quadratmeter große Indoor-Spielplatz samt Sportwand und Kletterlabyrinth, Regalen voller Spiele und Bücher, unzähligen Spiel- und Basteltischen und einer Koch- und Backinsel auf einer Galerie bietet nicht nur ausreichend Platz für kleine und große Bewohner und Gäste, sondern zugleich einen tollen Rahmen für soziales Miteinander.
Im Erlebnis-Hus wird gespielt, getobt, gebastelt und gebacken. Besonderes Highlight ist der Ausblick auf den Nationalpark Wattenmeer.
Jan Bitter
Touristeninformation und Restaurant
Das wird auch in den anderen Nutzungseinheiten des Erlebnis-Hus, das Bruttobaukosten von 12,6 Millionen Euro für die Kostengruppen 200–700 aufweist, großgeschrieben: In der zweiten Etage hat die Touristeninformation mit Leseecke und öffentlich nutzbarem Arbeitsplatz mit Computer Platz gefunden, in der dritten ein Restaurant mit Aussichtsterrasse und in der vierten und fünften eine offene Plattform.
Für jede Nutzungsart einen Kubus
Die eher dienenden Räume sind im unteren Bereich des Gebäudes angeordnet – ein Verwaltungskubus und ein Sanitärkubus in der ersten Etage, Technik- und Lagerräume im Erdgeschoss darunter. Jeder Kubus ist an drei Seiten mit einer vorgehängten Holzfassade umgeben, die vierte Seite des Raumes öffnet sich durch großflächige Aluminiumfenster nach draußen. Dabei orientiert sich jede Einheit in eine andere Himmelsrichtung – das Familienzentrum zum Meer, die Büros zum Landesinnern, die Gästeinformation zur Promenade.
Zentraler Erschließungskern plus Außentreppen
Die Nutzungseinheiten funktionieren komplett unabhängig voneinander und haben unterschiedliche Öffnungszeiten. Sie sind über einen zentralen Stahlbetonkern mit Treppenhaus und Fahrstuhl miteinander verbunden. „Die Haupterschließung erfolgt über die Außentreppen. Während sich der Besucher nach oben bewegt, erkundet er zugleich das Gebäude mit seinen Versprüngen und Raumgeflechten“, beschreibt Andrea Zickhardt.
Spielen fast überall am Erlebnis-Hus erlaubt
Wem der Abstieg zu lange dauert, der nimmt von der obersten Plattform die Rutsche. Spielen ist nämlich nicht nur im Gebäude wichtig, sondern auch darauf und drum herum: Auf den Terrassen sind Spielgeräte in die Holz-Matrix integriert. Ein offener Steg verbindet die erste Etage des Neubaus mit dem auf gleicher Höhe gelegenen Fußweg auf der Deichkrone und überbrückt dabei die Promenade samt großzügigen Spielbereichen und einer Halfpipe zum Skaten (Uniola Landschaftsarchitektur Stadtplanung, Berlin).
Erfahrung spricht für frei bewittertes Holz
Das Thema, das die Architekten am meisten beschäftigt hat, schon in den frühen Leistungsphasen, war das Material, so Andrea Zickhardt: „Theoretisch hätten wir alle frei liegenden Holzflächen mit Blech abdecken müssen. Doch dann gelangen Feuchte, Salz und Sand darunter und man sieht nicht, was passiert. Der Bauherr – die Gemeinde St. Peter-Ording – bewirtschaftet ihre vorhandenen Pfahlbauten selbst und hat viel Erfahrung damit, wie sich das feucht-salzige Klima auf Bauteile auswirkt und wie diese gepflegt und erhalten werden können.“ Deshalb hat er die frei bewitterte Holzbauweise aus Sibirischer Lärche befürwortet.
Letztlich ist es wohl der Mix – die vielfältigen sozialen Möglichkeiten, die traditionsreiche Bauweise und die spektakuläre Optik sowie die Sicht- und Wegbezüge zum umgebenden Nationalpark Wattenmeer –, der das Erlebnis-Hus zu einem Identifikationspunkt gemacht hat.
Jugendclub in Berlin-Rudow: AFF Architekten
Mit der Nähe zum Meer kann ein Jugendclub in Berlin nicht dienen – die Ausgangslage für das vom Architekturbüro AFF geplante und realisierte Projekt in Berlin-Rudow (LP 1–9, ab LP 6 zusammen mit Häffner + Zenk, Potsdam) war allerdings eine ähnliche wie in St. Peter-Ording: Der bisherige Jugendclub platzte aus allen Nähten, der Bezirk Neukölln wollte durch einen Neubau Abhilfe schaffen.
Jugendzentrum als großes Wohnhaus
Das Architektenteam entwickelte mit einem Kostenvolumen von 3,5 Millionen Euro brutto (Kostengruppen 300–400) ein Gebäude, das sich gekonnt in die Umgebung einfügt. Bis auf die Position in der Fluchtlinie und den Maßstabssprung gibt es zwar keine Bezüge zwischen dem Neubau und den beiden direkt benachbarten größeren Gebäuden aus den 1960er-Jahren, einer Kita und einem Schulungszentrum.
Die Architekten griffen jedoch die Typologie der giebelständigen Einfamilienhäuser im Quartier auf. „Das ist das Wohnumfeld der Jugendlichen. Unser Ziel war, ein Gebäude zu schaffen, das für sie ein adaptiver Ort ist, eine gemütliche Heimstätte, so etwas wie ein großes Wohnhaus“, sagt Architekt Sven Fröhlich.
Auch Nutzungen für die ganze Familie
Das Satteldach und die weitgehend geschlossene Fassade des zweigeschossigen Massivbaus erinnern an eine Scheune. Zentrum des Gebäudes mit gut 1.000 Quadratmetern Bruttogrundfläche ist die zweigeschossige „Jugendhalle“ mit umlaufender Galerie.
Wie bei einem historischen Hallenhaus sind sämtliche Räume im Erd- und Obergeschoss – unter anderem Kreativräume und eine Holzwerkstatt, eine Küche, ein Elterncafé und ein Beratungszimmer für Familienförderung – um diese multifunktionale Mitte herum organisiert.
„Diese Nutzerverknüpfung ist eine zeitgenössische Kombination: Problematische Themen werden im Familienzusammenhang betrachtet“, sagt Sven Fröhlich. Den unterschiedlichen Einheiten sind differenzierte Freiräume zugeordnet, manche als Gartensegmente, andere als Dachterrassen (Landschaftsarchitektur: Studio Polymorph, Berlin).
Recycling-Beton und robuste Materialien
Die alte Haustypologie haben die Architekten vor allem durch die monochrome graue Farbgebung und die Wahl der Materialien modernisiert: Der Sockel besteht aus Recycling-Beton, die Fassade ist mit sägerauem vorvergrautem Holz verschalt, das Dach aus verzinkten Trapezblechen gefertigt. Die Ausstrahlung ist jung, funktional, robust.
Möbel aus industriell gefertigten Massivholzplatten
Dieses Konzept setzt sich in den Räumen fort. „Wir haben sehr viel gestalterischen Aufwand für ein vergleichsweise kleines Projekt getrieben. Fast jeder Raum ist mit Einbauschränken ausgestattet“, beschreibt Projektleiter Sascha Schulz. „Die Organisation von Ablagen und Stauraum war ein großes Thema. Die Möbel aus industriell gefertigten Massivholzplatten sind zugleich als Anregung für die Jugendholzwerkstatt gedacht, die sich gerade im Gebäude entwickelt.“
Integratives Familienzentrum in Dresden: Alexander Poetzsch Architekturen
Ähnlich vielfältige soziale Funktionen wie der Berliner Jugendclub erfüllt die jüngst sanierte und umgebaute ehemalige Schokoladenfabrik in Dresden-Johannstadt. Im Auftrag des Kinderschutzbundes konzipierten Alexander Poetzsch Architekturen aus Dresden in den verfallenden Werksgebäuden ein integratives Familienzentrum mit Büros und Konferenzräumen, Club- und Werkstatträumen, einer Beratungsstelle, einer Stadtteilbibliothek, betreuten Wohngemeinschaften und einer Notunterkunft für junge Menschen.
Staffelung von öffentlichen und privaten Räumen
Die Räumlichkeiten verteilen sich auf zwei L-förmige Gebäudeteile – einen lang gestreckten Riegel mit einem in Holzrahmenbauweise neu aufgestockten dritten Geschoss und einen kurzen Querbau und seine Dachterrasse. „In unserem Konzept sind die Nutzungsbereiche nach dem Grad der Privatheit angeordnet – die öffentlichen Bereiche wie der Jugendclub im Erdgeschoss und der Konferenzsaal im ersten Geschoss sind leicht zugänglich, die Wohngruppe im Obergeschoss ist ein intimer Rückzugsort“, beschreibt Architekt Alexander Poetzsch.
Historische Mauern treffen auf neue Nutzungen
Die vorhandenen Strukturen, Fundamente und Mauerwerke blieben – wo möglich – erhalten, wurden jedoch erweitert und ergänzt. Der Bauherr hatte für die Bruttogrundfläche von knapp 2.000 Quadratmetern ein quantitatives Raumprogramm vorgegeben, das sich an den Förderrichtlinien entlanghangelte.
Die einzelnen Raumgrößen und -zuschnitte haben sich dann stark am Bestand orientiert. Charakteristisch ist dabei die Materialität: Altes Ziegelmauerwerk blieb an vielen Stellen unverputzt, neue Brandschutzwände aus Beton ebenfalls. So blieb man bei Bruttobaukosten von 3,5 Millionen Euro (Kostengruppe 300–400). Der gemauerte Fabrikschornstein durchzieht die drei Stockwerke und dient als Raumteiler.
Kontaminierter Boden erschwerte Begrünung
Das baufällige Dach über der Werkshalle, wo ab 1921 Schokolade und Marzipan produziert und ab den 1950er-Jahren Autoteile und Betonplatten gefertigt wurden, musste weichen. Hier gestalteten die Architekten in Zusammenarbeit mit Hase Landschaftsarchitektur aus Dresden einen Innenhof als zentralen Treffpunkt. „Ein großer Kompromiss war der hohe Versiegelungsgrad des Innenhofs.
Natürlich wären mehr Bäume schön gewesen. Aber durch die frühere Nutzung ist der Boden kontaminiert. Wir hätten das Erdreich großflächig abtragen müssen. Das hätte den Kostenrahmen gesprengt“, erläutert Alexander Poetzsch. Den Innenhof überspannen die Stahlträger der ehemaligen Werkshalle.
Fassaden durch Vorsprünge strukturiert
Die Fassaden sind durch die Vorsprünge früherer Säulen strukturiert. „Wir haben das Gebäude aus sich selbst heraus entwickelt“, erklärt Alexander Poetzsch. „Durch das collagenhafte Nebeneinander erzählt es seine bisherige Geschichte. Die neuen Bauteile schreiben sie erkennbar fort.“
Damit ist der Bau, ähnlich wie das Erlebnis-Hus in St. Peter-Ording, ein sozialer wie architektonischer Identifikationspunkt – nur eben kein neu geschaffener, sondern einer, der seit mehr als 100 Jahren vorhanden ist und nun für Jugendliche und Familien nutzbar gemacht wurde.
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