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Zurück Nachwuchs-Kolumne #242

Mehr Stadtbäume bitte – und zwar nach der 3-30-300-Regel

Ein Forschungsteam aus Melbourne und München hat die Wirkung von Stadtbäumen untersucht: wie sie die Folgen des Klimawandels mildern, wie sie Menschen seelisch wie körperlich gut tun. Und ob sie an den richtigen Stellen stehen.

Von: Luisa Richter-Wolf
Luisa Richter-Wolf schreibt über Landschaftsarchitektur an den Unis, im Beruf...

26.02.20255 Min. Kommentar schreiben

Über Stadtbäume machen wir uns viel zu selten Gedanken. Fangen wir mit ein paar Basics an: Seht Ihr von Eurem Fenster aus mindestens drei Bäume? Wie weit habt Ihr es bis zum nächsten Park? Sagt Euch die 3-30-300-Regel etwas?

Was ist die 3-30-300 Regel?

Ein Forschungsteam des Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT) und der Technischen Universität München (TUM) hat Stadtbäume untersucht und eine Studie erstellt, in der die 3-30-300-Regel eine zentrale Rolle spielt, die der Forstwissenschaftler Cecil Konijnendijk entwickelt hat:

  • Von jedem Gebäude sollen 3 Bäume sichtbar sein.
  • In einem Quartier sollen 30 Prozent der Fläche mit Baumkronen bedeckt sein.
  • Und von einem Gebäude aus sollen es maximal 300 Meter bis zum nächsten Park sein.

Das Wissenschaftsteam untersuchte die Stadtbäume in New York City, Amsterdam, Singapur, Buenos Aires, Denver, Sydney, Seattle, Melbourne und Berlin.

Eine interessante Erkenntnis der Studie: Auch wenn eine Stadt viele Bäume hat, heißt, dies noch lange nicht, dass es eine ausreichende Baumkronenabdeckung gibt. Doch warum ist die Baumkronenabdeckung überhaupt wichtig?

Stadtplan von Berlin

Am Beispiel Berlin zeigt sich, dass sowohl dichte Gründerzeitviertel als auch locker bebaute Nachkriegssiedlungen eine gute Stadtbaum-Bilanz haben können. Am schlechtesten schneidet der Bereich entlang der Friedrichstraße ab (KLICKEN ZUM VERGRÖßERN).
Cobra Groeninzicht

Stadtbäume helfen gegen Depression und Hitzschlag

Etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung sind von gefährlichen Hitzeextremen betroffen. Aktuell endet fast jedes Jahr mit einem neuen Hitzerekord für das „heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen“. Deshalb brauchen wir Stadtbäume: Forschungen haben gezeigt, dass Depressionen, Angstzustände, Fettleibigkeit und Hitzschlag in städtischen Gebieten mit wenigen schattigen Baumkronen und grünen Freiflächen häufiger vorkommen.

Das Blätterdach der Stadtbäume kühlt nicht nur, es fördert auch die geistige und körperliche Gesundheit und unterstützt die städtische Biodiversität. Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Beschattung durch Baumkronen von 40 Prozent nötig ist, um Städte erheblich abzukühlen. Daher handelt es sich bei der 30-Prozent-Marke um das absolute Minimum.

Stadtplan von Vancouver

Das immer wieder als besonders lebenswert bezeichnete Vancouver hat auch eine gute Stadtbaum-Bilanz, allerdings auch Bereiche mit Verbesserungsbedarf (KLICKEN ZUM VERGRÖßERN).
Cobra Groeninzicht

Ein Zahlenrätsel: viele Bäume, aber wenig Grün

Ein spannender Punkt der Studie ist, dass obwohl einige Städte, wie zum Beispiel Sydney, mit 84 Prozent eine sehr hohe Sichtbarkeit von Bäumen aus den Gebäuden erzielen konnten, nur 17 Prozent der Stadt mit Baumkronen bedeckt sind. Auch liegen nur 39 Prozent der Gebäude in einem 300-Meter-Radius um einen Park. Bemerkenswert sind diese Zahlen bei New York, wo man von 92 Prozent der Gebäude drei Stadtbäume sehen kann aber nur ein Prozent der Stadt mit Baumkronen bedeckt ist. Nur 27 Prozent der Gebäude befinden sich dort in einer Entfernung von maximal 300 Metern zu einem Park. Wie kann es zu solchen Zahlen kommen?

Wenn wir ein neues Rohr oder Kabel verlegen wollen, wird ein großer Bestandsbaum ganz schnell entfernt und durch einen jungen Baum ersetzt, der dann weniger Schatten spenden kann. Stadtbäume haben also oft das Nachsehen, weil unser Fokus auf der Infrastruktur liegt. Auch verhindern wir durch starkes Beschneiden der Kronen ein zusammenhängendes Blätterdach.

Sind Stadtbäume weniger wert als Leitungen?

Wir müssen also unseren Blick auf unsere Stadtplanung verändern. Unsere Straßen lassen sich so planen, dass wir unsere grüne und unsere graue Infrastruktur fördern können. Für mehr Stadtbäume ist kein Entweder-Oder nötig, sondern ein Umdenken in der Reihenfolge der Einzelplanungen. Gerade in Zeiten des Klimawandels können wir es uns nicht leisten, 30 Jahre alte Bäume zu fällen, weil wir spontan umgeplant haben.

Unsere Städte müssen nach dem Schwammstadt-Prinzip umgebaut werden, damit die Baumstandorte so gut es geht mit Regenwasser versorgt sind und unsere Leitungen nicht in Konkurrenz mit den Wurzeln stehen. Bei besserer Bodenqualität, mehr Platz und ausreichend Wasser, können wir Stadtbäume erhalten und sie werden so alt, dass sie ein zusammenhängendes Blätterdach entwickeln können.

Öffentlicher Raum gehört auch den Bäumen

Die Forschenden sehen ihre Studie über Stadtbäume als Aufruf, den Status quo der Gestaltung von Straßenräumen zu hinterfragen. Außerdem sollten wir uns kritisch hinterfragen warum wir Bereiche für Bepflanzung kategorisch ausschließen und diese als „unbepflanzbar“ gelten. Sie nennen zum Beispiel Parkplätze und großzügige Abstandsanforderungen für Versorgung und Fahrzeuge.

Die Forschenden schreiben: „Dies erfordert eine Problemlösung, keine implizierte Kapitulation gegenüber der stillschweigenden Norm, dass Fahrzeuge und Dienstleistungen mehr Rechte an öffentlichen Raum haben als grüne Infrastruktur.“ Und weiter: „Es ist klar, dass die Herausforderung zweifach ist: Wir müssen gesündere, größere Bäume pflanzen und gleichzeitig die Pflanzdichte im Straßenraum erhöhen.“ Sie wünschen sich, dass ihre Studie vielen Städten als Aufforderung dient, Parks wie Grünflächen zu erweitern – und auch darüber hinaus mehr Stadtbäume zu pflanzen.


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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