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Farben für Räume und Fassaden richtig einsetzen

Farbe gilt in der Architektur immer noch als zweitrangig, dabei hat sie genauso großen Einfluss auf Räume und Bauten wie die Form. Farbexpertin Nathalie Pagels verrät im Interview, wie Farben wirken, welche Fehler man bei der Farbauswahl vermeiden sollte und welche Stadt sie wegen ihrer Farben bewundert. 

Von: Almut Steinecke
Almut Steinecke schreibt und optimiert Texte für DABonline. Sie hat...

11.04.20259 Min. Kommentar schreiben
Violette Blume vor violetter Wand

Vor farbigen Wänden wirken viele Einrichtungsgegenstände oder Dekorationen ausdrucksstärker
Nathalie Pagels

Missverständnisse und Fehler bei Farben

Frau Pagels, welche Missverständnisse über Farbgestaltung in der Architektur begegnen Ihnen häufig und welche Fehler machen wir oft?

Das größte Missverständnis ist immer noch Weiß und der Mythos seiner Wirkung. Es mache den Raum groß, es wirke ruhig, es sei zeitlos oder neutral. Das ist alles falsch, denn Weiß wirkt bei unseren Lichtverhältnissen oft grau, macht Räume auch nicht größer, sondern sorgt eher dafür, dass zum Beispiel Möbel sich in Räumen verlieren.

Ein weiteres Missverständnis ist, dass Farbe gleichbedeutend mit bunt ist. Dabei ist eine gute Farbgestaltung oft eine, die man nicht, oder erst auf den zweiten Blick wahrnimmt. Reizarmut oder Reizüberflutung sind also die häufigsten Fehler.

Laden mit Tisch, farbigen Stühlen und Wänden und Schriftzug

Für diesen Laden hat Nathalie Pagels das Farbkonzept entworfen.
Nathalie Pagels

5 Tipps und Tricks für Farben

Welche fünf Tipps und Tricks für die Verwendung von Farben können Sie uns nennen?

  • Erstens: Nicht den eigenen Geschmack zugrunde legen.
  • Zweitens: Gute Recherche.
  • Drittens: Fachliches Wissen um Farbe und Farbphänomene.
  • Viertens: Die Bedürfnisse der Nutzer in den Mittelpunkt stellen.
  • Fünftens: Farbe von Anfang bis Ende mitdenken.

Am ehesten erfahre ich, was es braucht, um alle Beteiligten zufrieden zu stellen, wenn ich nicht meinen eigenen Geschmack zugrunde lege und mich möglichst wertfrei einem Projekt nähere. Das bedeutet mein Wissen ergebnisoffen zum Nutzen aller einzusetzen.

Ein großer Teil auf dem Weg zu einer idealen Farbgestaltung ist gute Recherche. Sie nimmt ein Drittel meiner Arbeit ein. Sie beinhaltet die rationalen, emotionalen und körperlichen Eigenschaften von Farbe. Diese kann die Architektur unterstreichen. Durch Linienführung, oder aneinanderstoßende Farbflächen von Wänden und Decke, die einzelne Bauelemente hervorheben oder kaschieren können. Das funktioniert auch in sehr feinen und hellen Farbnuancen.

Besonders Bauen im Bestand bietet eine große Chance für den Einsatz von Farbe. Unabhängig vom Grundriss kann Farbe hier Räume verbinden oder trennen oder neu entstehen lassen. Mit Farbe lässt sich die Atmosphäre schnell verändern.

Raum in erdigen Farbtönen mit Kronleuchter und Rundbogen

In dieser Therapiepraxis überwiegen sanfte, natürliche Farbtöne, die beruhigender und wohnlicher wirken als ein klinisch-weißer Raum.
Nathalie Pagels

Es gibt Gebäude, die von den Bürgern nur schwer angenommen werden, weil sie vielleicht zu kühl, zu austauschbar oder, auf der anderen Seite, als nicht mehr zeitgemäß empfunden werden. Ein kuratiertes, partizipatives und interdisziplinäres Vorgehen, an dem, je nach Projekt, Architekturschaffende, Bauherrinnen, Nutzende, Bürger und die Stadt teilhaben, dient dem Wohl aller und schafft Akzeptanz. Worauf sind die Menschen hier stolz, welche Sehnsüchte haben sie? Die Stimmung eines Dorfes, einer Stadt, eines Gebäudes oder eines Unternehmens, ist auch geprägt von Entstehungsprozessen.

Farblich abgesetzte Decke in erdigem Farbton mit Kronleuchter und Rundbogen

Gerade in Altbauten lassen sich mit Farbe bauliche Ungenauigkeiten überspielen. Hier etwa die unterschiedlichen Deckenhöhen mit einer durchgehenden Farbkante.
Nathalie Pagels

Untergund, Beifarben und Farbtonverschiebung

Was ist noch wichtig für eine ideale Farbgestaltung?

In einer idealen Farbgestaltung werden alle Farbphänomene berücksichtigt. Die Wechselwirkung zwischen den Farben wird oft falsch eingeschätzt. So wirkt eine Farbe gesättigter, heller oder dunkler, je nach ihren Beifarben. Sie wirkt unterschiedlich, ob sie steht, oder liegt, oder über uns an der Decke ist. Sie wirkt enorm unterschiedlich je nach Verschattung, die ein Untergrund bewirkt, etwa durch Putzgröße und Putzart oder der Materialität, wie textilem oder glattem Bodenbelag.

Ein weiteres Phänomen ist die Farbtonverschiebung von kleiner auf große Fläche. Aus dem Flieder im Farbfächer wird auf großer Fläche dann Lila. Aus Gelb wird Grün. Metamerie ist ein anderes Phänomen: die unterschiedliche Farbwirkung durch Licht. In einer idealen Farbgestaltung werden die Farben unter Originalbedingungen vor Ort auf großen Musterflächen angelegt.

Nathalie Pagels vor Farbproben

Für das Farbkonzept des oben gezeigten Ladens hat Farbexpertin Nathalie Pagels anhand von Farbproben mit den Nutzern eine Vorauswahl getroffen.
Nathalie Pagels

Farbkombinationen, Kontraste, Sättigung und Oberfläche

Gibt es Farbkombinationen, die besonders beruhigend oder anregend wirken, und warum?

Eine einfache Antwort wäre zum Beispiel Farbharmonien in natürlichen Tönen wirken beruhigend und kräftige Farben anregend. Grün und Blau wirken beruhigend, Rot und Orange anregend. Aber so funktioniert das nicht. Auch wenn es im Kern nicht falsch ist. Farben haben eine Wesenhaftigkeit, so haben Grün und Blautöne ein ruhigeres Wesen als das lebendige Gelb, Orange oder die Rottöne auf der anderen Seite des Farbkreises.

Viel mehr jedoch spielen die Kontraste und die Sättigung eine Rolle: Helligkeitskontraste oder der Quantitätskontrast: Wie viel einer Farbe wird verwendet? Gibt es Akzente aus der Gegenfarbe? Handelt es sich um einen matten Anstrich, oder ist es eine glänzende Oberfläche? Wie sind die Erwartungshaltungen und Bedürfnisse der Nutzer? Für ältere Menschen mag etwas anderes als beruhigend empfunden werden als für junge.

Nathalie Pagels mit großen Farbproben

Dann wurde die Wirkung favorisierter Farben auf größeren Musterflächen am geplanten Einsatzort und unter realen Bedingungen demonstriert.
Nathalie Pagels

Materialien Beton, Glas und Holz

Welche Herausforderungen entstehen durch Materialien wie Beton, Glas oder Holz bei der Farbgestaltung?

Jedes der genannten Materialien hat eine Eigenfarbigkeit, die als Farbe mit in das Konzept einbezogen wird. Materialien wie Glas oder Stahl brauchen oft einen warmen, haptischen Gegenpol. Einem Zuviel an Holz tut eine kühlere Farbigkeit gut. Es gilt alle vorhandenen Materialen gleichwertig einzubeziehen und miteinander in Dialog treten zu lassen. Oder, wenn sie eine ungewollte Wirkung haben, dieser entgegenzuwirken

Ökologische und traditionelle Farben

Wie nachhaltig sind moderne Farben in der Architektur und leisten diese das gleiche?

Die Frage ist, was Farbe leisten muss. Eine Farbe kann nicht alles leisten: leicht zu verarbeiten, haltbar, günstig, abriebfest, witterungsbeständig, lichtecht, ökologisch sein. Nachhaltig sind interessanterweise traditionelle Farben und Rezepturen. Die sind nicht immer leicht zu verarbeiten und es stehen nicht alle Farbtöne zur Verfügung. Aber müssen uns alle Farbtöne zur Verfügung stehen? Darf man dem ausführenden Gewerk nicht eine etwas aufwändigere Verarbeitung zutrauen – und diese schon in der Ausbildung wiederbeleben?

Es gibt Systeme, in denen die Farbe erst am Bau mit Wasser angerührt wird. Das hat weitreichende positive Effekte was Transport, Lagerkosten und die Haltbarkeit der Anstrichstoffe angeht, da keine Konservierungsstoffe benötigt werden.

Wir müssen noch einen Schritt zurückgehen: Auf welchen Untergrund wird die Farbe aufgebracht? Auch hier ist ein Umdenken unbedingt nötig. Es ist gut, dass es immer mehr Menschen gibt, die mit ihrer Haltung auf diesem Gebiet großartiges leisten. Die Architektin Anna Heringer war eine der ersten, deren Weg ich mit Freude von Anfang an verfolge.

Wohnzimmer mit Sofa und petrolfarbener Wand

Vollflächig farbige Wände wirken oft weniger bunt als einzelne Farbakzente.
Nathalie Pagels

Wirkung von Farbe im Außenraum

Wie unterscheidet sich die Wahrnehmung von Farbe im Innenraum von der Wahrnehmung im Außenraum?

Im Innenraum sind wir von gebauter Farbigkeit umgeben, die oft eine schützende Hülle ist. Im Außenraum schaut die gebaute Farbigkeit auf uns herunter und aus der Ferne entgegen. Die Wahrnehmung von Farbe im Innenraum steht in Bezug zu Textilien und Mobiliar. Farbe im Außenraum ist eingebettet in die Umgebungsfarben, den Farbklang einer Straße, eines Viertels, eines Dorfes, einer Stadt, ihren Geräuschen und Gerüchen. Sie ist abhängig von Wind und Wetter, Tageslicht und Jahreszeit. Sie wird beeinflusst durch den Fluss von Verkehr und Passanten und von zufälligen Begegnungen.

Farbe kann innen wie außen dazu beitragen, dass wir uns mit unserer Umgebung besser identifizieren, sie als einladender, übersichtlicher oder sicherer wahrnehmen. Farbe kann helfen, Orte der Kommunikation entstehen zu lassen. Durch farbig gekennzeichnete Inseln etwa, oder farbige Außenmöblierung abseits der Norm, die uns überraschen, oder auch ganz einfach erfreuen.

Stadtvilla in Farben ocker und beige

Diese Stadtvilla wirkte vor der farblichen Umgestaltung durch Nathalie Pagels eher düster.
Nathalie Pagels

Farben in der Stadt

Was sind gute Farben für städtische Räume?

In Madrid sind es andere als in Paris, in München andere als in Kiel, in einem Stadtteil Kiels anders als in einem anderen Teil der Stadt. Es sind nicht bestimmte Farben. Es ist ein Zusammenspiel aus Dialog, partizipativem Vorgehen und fachübergreifender Zusammenarbeit, das gute Farbkonzepte entstehen lässt. Ist die Farbwahl begründbar? Etwa weil die Vorlieben der Nutzer einbezogen wurden oder weil die Farbwahl aufgrund der Lautstärke besonders fein und leise anmutet.

Wurde die Farbwahl getroffen, damit sich die Fassade harmonisch in ein Straßenbild einfügt. Oder entspricht sie dem Bedürfnis von Bürgern und Stadt, an dieser Stelle eine bunte solitäre Fassade als Anziehungs- und Orientierungspunkt entstehen zu lassen. Eine differenzierte Farbigkeit, in der sich die Bedürfnisse der Bürgerinnen spiegeln, wirkt sich positiv aus.

Stadtvilla in hellen Farben

Nach der Sanierung und in helleren Fassadenfarben wirkt die Stadtvilla einladender und freundlicher. Sockel und angedeutete Pilaster wurden farblich abgesetzt.
Nathalie Pagels

Sicherheit und Orientierung dank Farben

Wie kann Farbe dazu beitragen, Sicherheit und Orientierung in einer Stadt zu verbessern?

Angstbesetze Orte wie Parkhäuser oder Unterführungen brauchen oft besseres Licht und freundlichere Farben. Orientierung schaffen deutlich gekennzeichnete Fahrradwege. Vielleicht sogar ein Farbleitsystem, das auch auf Schildern und auf dem Asphalt Anwendung findet. Ältere Menschen haben ein anderes Farbsehen. Hier sind zur optischen Barrierefreiheit viel größere Kontraste nötig. Auch das schafft Sicherheit und Orientierung.

Begegnungsorte, Plätze zum Verweilen und Auftanken lassen sich farblich kennzeichnen, durch unterschiedliche Böden, Segel, Bänke, individuelle Stadtmöbel oder durch Kunst. Zusammengehörigkeit, Diversität, Gemeinschaft, all das lässt sich gestalterisch ausdrücken.

Nathalie Pagels farbige Lieblingsstadt

Gibt es eine Architektur-Ikone oder einen Ort, dessen Farbgestaltung Sie bewundern?

Eine Stadtteil-Ikone habe ich. Den Miami Art Deco District. Fast alle Gebäude entstanden in den Jahren 1923 bis 1943. Ende der 1970er drohte ihnen der Abriss zugunsten neuer Gebäudekomplexe. Leonard Horowitz, ein ambitionierter Innenarchitekt, kreierte eine Farbpallette und gestaltete einige Musterfassaden. 1982 erschien die Fassade der „Friedman Bakery“ auf der Titelseite der „Progressive Architecture“ und brachte den Stein ins Rollen. Die Regierung stellte schließlich den größten Teil der Bauten unter Denkmalschutz. Farbe und das Engagement einzelner Bürger haben diese ikonischen Gebäude vor der Zerstörung bewahrt. Die Wirkmächtigkeit der Farbe geht weit über eine Ästhetik hinaus.


Nathalie Pagels ist Diplom-Farbberaterin ICA, arbeitet als freischaffende Farbkonzepterin in Düsseldorf, lehrt an mehreren Hochschulen und Universitäten und forscht zur „Ethik der Farb­gestaltung“

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