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[ Bauhaus der Zukunft ]

Wie das Neue entsteht

Am Bauhaus sollten Veränderer, Neumacher und Umdenker ausgebildet werden. Die könnten wir auch heute dringend brauchen. Doch wie würde ein Bauhaus der Zukunft aussehen?

Von Friedrich von Borries

Über das Bauhaus ließe sich eine einfache Geschichte erzählen. Sie würde von einer Zeit berichten, in der eine Avantgarde von Künstlern und Gestaltern sich von gesellschaftlichen Umbrüchen und technischem Fortschritt eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Mehrheit der Menschen versprach. Das Bauhaus, so würde sich diese Erzählung fortsetzen, wurde zur Geburtsstätte des modernen Designs, weil es für die vielen neuen technischen Errungenschaften eine funktionale und ästhetische Form suchte. Dabei löste es sich vom historischen Erbe und entwickelte eine neuartige Ästhetik, so würde die Geschichte schließen, die sich in klarer Farb- und Formensprache, innovativen, weil industriellen Materialien und dem Verzicht auf überflüssiges Dekor ausdrückte. Diese Erzählung könnte man illustrieren mit den berühmtesten materiellen Ergebnissen des Bauhauses, zum Beispiel der Wagenfeld-Leuchte, Marcel Breuers „Wassily Chair“ und Walter Gropius’ Bauhaus-Gebäude in Dessau. Um die Aktualität dieser Formensprache zu belegen, würde man ein iPhone anführen oder ein strahlend weißes Einfamilienhaus, das der Architekt angeblich im „Bauhaus-Stil“ errichtet habe.

Doch diese Geschichte des Bauhauses ist, wie alle Geschichte, eine Vereinnahmung der Vergangenheit aus der Gegenwart heraus. Das relativ lineare, aktuelle Klischee des Bauhauses erzählt mehr über uns als über das Bauhaus. Es wird zur attraktiven Projektionsfläche für den kulturinteressierten Mainstream der Gegenwart: schöne Gegenstände, die gleichzeitig Zeugen einer deutschen Geschichte sind, die nicht von Nationalismus und Faschismus kontaminiert wurden, also die Hoffnung aufglimmen lassen, als Connaisseur von Bauhaus-Möbeln und Kenner der Designgeschichte wäre man auch damals auf der historisch richtigen Seite gewesen.

Dabei könnte man aus der Geschichte des Bauhauses einiges lernen, das uns aus den vermeintlichen Gewissheiten der Gegenwart reißen könnte – und an die Stelle von Selbstbestätigung spannende Perspektiven in die Zukunft setzt.

Der Wille zur Innovation

Warum aber sollte man sich heute mit dem Bauhaus beschäftigen? Gibt es einen Kern, von dem wir heute bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit profitieren können? Wenn, dann ist es der unbändige Wille zur Innovation.

Das Bauhaus verstand sich als ein Ort, an dem die Welt – und der Mensch – neu erfunden werden sollte. Wie aber entstand dieses „Neue“? Durch welche Bedingungen und Maßnahmen? Genau davon könnten wir vom Bauhaus für das Heute lernen.

Betrachtet man das Bauhaus nicht als Ort von Kunst-, Design- oder Architekturproduktion, sondern als Zentrum für gesellschaftliche Innovation, so fallen zwei Strategien ins Auge, die dem gängigen Klischee über das Bauhaus diametral entgegenstehen: ein ausbeuterisches Verhältnis zur Kunst und pragmatischer Opportunismus.

In der Frühphase war das Bauhaus nicht „modern“, nicht technikorientiert, sondern handwerklich, expressionistisch, esoterisch. Die Hinwendung zum Innovativ-Technologischen, zur „Maschine“, vollzog sich erst in der Mitte der 20er-Jahre, als das Bauhaus aus dem Residenzstädtchen Weimar an den Industriestandort Dessau umzog. Marcel Breuer, berühmt für seine Stahlrohrmöbel, hatte am Weimarer Bauhaus noch Holzstühle geschnitzt, die „afrikanisch“ anmuten sollten. Und nicht nur formal, auch politisch war man recht flexibel. Während Ludwig Mies van der Rohe, Bauhaus-Direktor von 1930 bis 1933, für die Oberschicht Villen und Einrichtungsgegenstände entwickelte, war sein Vorgänger Hannes Meyer ein Kommunist, der mit seinen Brigaden in die UdSSR zog. Industrieeuphorie traf auf emanzipatorische Hoffnungen und fanatischen Ästhetizismus, Idealismus auf Arbeiterkultur und gesellschaftliche Realität, Esoterik auf künstlerische Avantgarde und intellektuellen Rationalismus. Diese mit Offenheit einhergehende Widersprüchlichkeit erforderte eine mentale Variabilität. Sie war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass im Bauhaus Neues entstand, weil nur in der Beweglichkeit Raum für Innovation entsteht.

Die Innovationskraft des Bauhauses speiste sich auch aus einem vampiristischen Verhältnis zur Kunst. Am Bauhaus sollten keine Künstler ausgebildet werden, sondern Veränderer, Neumacher, Umdenker. Und zwar ganz praktisch: Die Absolventen des Bauhauses mussten eine Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer ablegen. Am Bauhaus sollte die neue Welt geschaffen werden, als alternative, aber materielle Realität. Um sie zu erdenken, setzte das Bauhaus auf Kunst und bildende Künstler – man denke nur an Lehrer wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Josef Albers. Sie und ihr Innovationspotenzial wurden in den Dienst genommen, um die bestehenden Konventionen und Selbstverständnisse zu sprengen.

Das Bauhaus wurde in den letzten 100 Jahren immer wieder instrumentalisiert, um Neues zu begründen. Fertighausanbieter beanspruchen für banale, weiß gestrichene Standardhäuser den „Bauhaus-Stil“, Möbelhersteller beschwören für kubische Polstermöbel den „Geist des Bauhauses“. Umgekehrt legitimierte sich die narrative, neobarocke Postmoderne in der Abgrenzung zum vermeintlich seelenlosen und der stalinistische Neoklassizismus zum vermeintlich bürgerlichen Bauhaus. Kurzum: Von falschen Freunden und selbst erklärten Gegnern wurde das Bauhaus für die jeweils eigenen Interessen vereinnahmt.

Das „Bauhaus der Zukunft“

Was kann man also aus der Geschichte des Bauhauses und seiner Vereinnahmung lernen? Zum einen, dass man nur dann Raum für Neues schafft, wenn man unscharf und offen bleibt, weil sich sonst das Neue nicht entfalten kann. Und zum anderen, dass etwas Neues, etwas Progressives nur im Widersprüchlichen, im Konflikthaften, in der kritischen Auseinandersetzung entsteht.

Womit aber würde sich ein „Bauhaus der Zukunft“ beschäftigen? Auf jeden Fall mit der Frage, wie unsere Welt beschaffen ist, welche Haltung wir als Menschen zu ihr haben und wie, für wen und zu welchem Preis wir sie „verbessern“ können. Auch das Bauhaus der Zukunft wäre ein utopischer, ein politischer und im weitesten Sinne gestaltender Ort. Aber dazu würde sich das Bauhaus der Zukunft wohl weder mit bildender Kunst noch mit Produktdesign befassen. Kunst war am Beginn des 20. Jahrhunderts eine innovative Disziplin, die innerhalb weniger Jahrzehnte die Übereinkünfte von Jahrhunderten über den Haufen warf, sich völlig neu erfand und zur Veränderung der Gesellschaft beitrug. Heute hat Kunst diese Rolle nicht mehr.

Statt in der Kunst würde ein Bauhaus der Gegenwart seine Lehrenden in der Biotechnologie, der synthetischen Biologie, der Neurowissenschaft und im Feld der künstlichen Intelligenz suchen. Auch mit der Produktion von materieller Realität, der das Produktdesign der Gegenwart sich heute noch verpflichtet fühlt, würde sich ein Bauhaus der Zukunft sicherlich nicht befassen. Die Erzeugung von materiellen Gütern ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts keine zentrale Frage der Gestaltung mehr, sondern entweder eine Frage globaler, ökonomischer Verteilung oder des individuellen Geschmacks.

Statt mit Teeservice, Wandteppichen und Wohnanlagen würde sich das Bauhaus der Zukunft mit anderen, auf den ersten Blick immaterielleren Gestaltungsfragen auseinandersetzen. Es wäre ein Ort, an dem sozialer Aktivismus, postreligiöse Sinnstiftung, synthetische Biologie und künstliche Intelligenz zusammentreffen. Das Bauhaus der Zukunft würde im Spannungsfeld von Kapital und Technologie auf der einen Seite und sozialem Fortschritt und Emanzipation auf der anderen Seite agieren.

Wie das historische Bauhaus wäre das Bauhaus der Zukunft ein Ort, an dem angesichts gesellschaftlicher Transformation über eine lebenswerte, gerechte Zukunft nachgedacht werden würde. Dazu würde es sich als Ort der Offenheit, des Pragmatismus, aber auch des disziplinären Vampirismus verstehen. Es wäre kein Ort der Kunst, der Architektur, des Designs – sondern von etwas anderem, für das wir heute noch keine Namen kennen. Und sehr wahrscheinlich würde sich dieses Bauhaus der Zukunft nicht auf das historische Bauhaus berufen, sondern sich aus sich selbst heraus definieren.


Rundum modern

Friedrich von Borries’ Text erschien erstmals im Sonderheft „Bauhaus“ des Magazins monopol. Trotz eines Fokus auf Sachsen-Anhalt entsteht ein faszinierendes Panorama einer allumfassenden Schule des Gestaltens und Denkens. Fotostrecken führen bis tief in bisweilen abseitige bauliche Details. In Magdeburg und Tel Aviv erzählen Bewohner, wie es sich in klassisch-moderner Architektur so lebt, und man erfährt, warum die Bauhaus-Moderne global erfolgreich wurde – und was das mit dem Migrationshintergrund vieler Schüler zu tun hat. Die Autorin Theresia Enzensberger porträtiert gleich vier weibliche Multitalente: die Architektin und Fotografin Lotte Stam-Beese, die Weberin und Textilgestalterin Gunta Stölzl, die Modemacherin und Schriftstellerin Ré Soupault sowie die Produktdesignerin und Bildhauerin Marianne Brandt. In einem Dreifach-Interview berichten die Architekten der drei neuen Bauhausmuseen in Weimar, Dessau und Berlin, was sie vom Bauhaus gelernt haben, und man hört: Besonders produktiv waren die Bauhaus-Feste.

monopol Sonderheft „Bauhaus“
deutsch, englisch
147 Seiten, 9,50 Euro
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Mehr Beiträge zum Bauhaus-Jubiläum finden Sie in unserem Schwerpunkt Bauhaus 100

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1 Gedanke zu „Wie das Neue entsteht

  1. Sehr schöner Artikel, in meinen Augen allerdings in einigen Teilen etwas unverständlich für den nicht-intellektuellen Verstand geschrieben :-). Sehr interessant finde ich die Frage wie ein Bauhaus der Zukunft wohl aussehen würde. Ja, die Künste spielen heute (leider) nicht mehr so eine große Rolle. Ich würde vermuten, dass neben der KI auch die anderen hochaktuellen Themen wie Klimaschutz, Mobility, New Work, Veränderung unserer Gesellschaft, etc. einbezogen werden würden. Bin gespannt, ob es jetzt nach 100 Jahren ein Relaunch geben wird.

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