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[ Co-working ]

Möglichkeitsraum

In manch alter Fabriketage sind beim ungezwungenen „Co-Working“ die besten Ideen entstanden. Doch wie kann man diese inspirierende Situation im Neubau erzeugen? Zwei junge Architekten und ihr mutiger Bauherr wagen die Probe aufs Exempel

Kommunikativ: Die Arbeitsräume öffnen sich nach innen über Glasflächen, Galerien und Treppen.

Von Susanne Kreykenbohm

Kapital in Möglichkeitsräume investieren“, nennt Architekt Marius Mensing, was sein Bauherr Jürgen Pleteit mit dem neuartigen Co-Working- und Maker-Space in Hannovers Nordstadt gewagt hat. „Im Sinne der klassischen Marktwirtschaft stellt ein solches Projekt ein hohes Risiko dar. Aus diesem Wagnis ergab sich eine große Verantwortung für uns“, erklärt der junge Architekt das erste große Projekt des Büros Mensing Timofticiuc Architekten, das er gemeinsam mit Anca Timofticiuc führt. Das Resultat ist für Mensing ein „Raumunternehmen: ein Haus, das durch seine Räume Offenheit und Öffentlichkeit provoziert – und ein Unternehmen, das durch seine Erscheinung das Umfeld wirtschaftlich, sozial und ästhetisch prägt.“

Bis es zu dem markanten Neubau für das Arbeiten 4.0 kam, durchlief die Planung viele Phasen. Zunächst sollten nur Werkstätten geplant werden mit dem Angebot, Maschinen gemeinsam zu nutzen, ähnlich wie in den Tech-Shops in San Francisco. Dann lernte Jürgen Pleteit das Team des „Edelstall“ kennen. Der erste Co-Working-Space in Hannover war 2011 aus der Kreativszene um die Hochschule Hannover gegründet worden – zunächst in einer Mietetage im Capitol-Hochhaus am Schwarzen Bären. Es entstand die Idee, sich zusammenzutun. Anca Timofticiuc erklärt: „Danach haben wir in vielen Gesprächen mit den zukünftigen Nutzern aus der Co-Working- und Maker-Szene überlegt, wie das Gebäude aussehen und dabei möglichst flexibel gestaltet sein könnte.“

Abgeschottet: Nach außen gibt sich der „Hafven“ geschlossen. Mit einem alten Rundbunker bildet er ein Tor zur Hannoveraner Nordstadt.

Herausforderungen

Die Herausforderungen für die Architekten begannen mit der Suche nach dem Ort. Es gab Überlegungen, einen alten Bunker oder eine alte Fabriketage an der Ihme umzunutzen. Schließlich fanden sie das Grundstück in der Nordstadt von Hannover, am Übergang zwischen dem Gewerbeareal rund um den Hauptgüterbahnhof und einem Wohngebiet aus den 1950er-Jahren. Es lag lange Jahre brach und wurde zuletzt als Parkplatz genutzt. „Laut B-Plan durften wir dort eigentlich nur zwei Geschosse bauen“, blickt Mensing zurück. Allerdings wünschte sich die Stadt mit dem Bau auch ein Bindeglied, das zwischen den unterschiedlichen Gebäudehöhen der Umgebung vermitteln sollte, sodass entlang des Weidendamms drei Geschosse gesetzt waren. So kam es zu diesem speziellen, teilweise dreigeschossigen Baukörper.

Spot an: Die schmalen Fenster der Straßenfassade erzeugen zur richtigen Tageszeit im Innern eine faszinierende Beleuchtung.

Reminiszenzen an den Industriebau sind dabei gewollt. „Unsere Idee war es, eine große Halle zu bauen. Um eine solche Raumerfahrung zu erzielen, mussten wir das Gebäude nach außen schließen und nach innen stark öffnen“, erläutert Timofticiuc den grundsätzlichen Entwurfsgedanken. „Ähnlich wie bei historischen Stockwerk-Fabriken nutzen wir als Konstruktion eine umlaufende, tragende, massive Außenwand, innen tragende Stützen und Geschossdecken aus Beton. Diese Decken haben wir in jedem Geschoss anders ausgeschnitten. So entstand ein ,innen liegender Außenraum’, der sich nicht wie ein Innenhof anfühlen soll, sondern als selbstverständlicher Teil der Halle, und so ganz neue Möglichkeiten zum Arbeiten eröffnet.“

Arbeiten im Stehen, Sitzen oder Liegen, in „Arbeitshöhlen“, drinnen oder draußen, flexibel und veränderbar – so wünschten es sich die Nutzer. Entstanden sind große, nutzungsneutrale, stützenfreie Räume, die sich vollverglast zum Außenraum im Zentrum des Gebäudes öffnen. Die „Halle“ kann bei Bedarf in kleinere Räume unterteilt werden, indem nachträglich Kalksandsteinwände als sekundäre Struktur in die tragende Betonkonstruktion eingezogen werden könnten. Aus Südwesten fällt über die geschosshohen Glasfassaden großzügig Tageslicht ein. Zur Straßenseite hat die umlaufende Sichtbetonwand schmale, hohe Fensterschlitze. „Für die Arbeitsplätze innen bildet die Wand den schützenden Rücken“, so Mensing.

Neues Arbeiten

Im Erdgeschoss befinden sich die Maker-Spaces mit den Werkstätten für Holz, Metall, Textilien und Elektronik sowie das Café mit einem Veranstaltungsbereich. Im ersten Obergeschoss grenzen zwei unterschiedliche Co-Working-Spaces an den innen liegenden Außenraum. Der eine gleicht mehr einem offenen Großraumbüro, in dem es lauter zugehen darf – der Open Space. Hier kann gesprochen und telefoniert werden. Der zweite, wegen seiner Raumhöhe fast etwas sakral anmutende Arbeitsbereich gilt als Ruhezone für stilles, konzentriertes Arbeiten. Im zweiten Obergeschoss, zum Weidendamm gelegen, befinden sich private Räume des Bauherrn sowie ein Besprechungsraum, den man individuell mieten kann.

Auf 2.000 Quadratmetern ist so ein neuartiges Produktions- und Bürogebäude entstanden. Es gibt keine fest vergebenen Arbeitsplätze, an denen man sein Equipment dauerhaft ablegen kann. Wer mag, kann sich ein Schließfach mieten. Die günstigste Mitgliedschaft in der „Hafven-Community“ beginnt mit zehn Euro pro Monat. Darin enthalten ist ein Arbeitstag im Hafven und eine Stunde Nutzung der Werkstatt oder des Besprechungsraums. Man kann anschließend weitere Tagespässe dazubuchen. Ein Büroarbeitsplatz für den ganzen Monat inklusive zehn Stunden Werkstatt- oder Besprechungsraumbenutzung kostet 90 Euro. Zum Start vor zwei Jahren zählte die „Community“ des Hafven 200 Mitglieder. Mittlerweile sind es über 1.000.

Rohling: Die Räume sind neutral und zurückhaltend gestaltet, um eine möglichst hohe Flexibilität zu ermöglichen. Über 1.000 wechselnde Nutzer füllen sie inzwischen mit Leben.

„Sich kennenlernen und begegnen sind wesentliche Aspekte des Hafven-Konzepts. Auch die Beobachtung der anderen spielt eine wichtige Rolle“, erklärt Anca Timofticiuc die Anforderungen dieser Arbeitsweise. Als Antwort darauf haben die Architekten gezielt viele Wege geschaffen: „Der Flur wird zur Treppe, zur Terrasse. Die Terrasse wird zum Flur. Der Erschließungsraum ändert sich in jedem Geschoss“, betont Mensing. Zwei der drei Treppen bilden eine Helixtreppe. Das Gebäude ist öffentlich zugänglich und bildet so einen neuen, attraktiven Treffpunkt im Stadtteil.

Von dem bunten, manchmal auch ein wenig improvisiert wirkenden Interieur distanzieren sich die Architekten. Sie haben den flexiblen Rohling geschaffen. Alles andere komme von den Nutzern. Der kreativen Atmosphäre im Hafven, dessen Wortschöpfung sich übrigens aus dem deutschen Wort „Hafen“ und dem englischen „Haven“ (Zufluchtsort) ableitet, tut das keinen Abbruch.


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