Fabian, du bist als ehemaliger Fachschaftsvertreter gut vernetzt. Wie ist die Lage an den Architekturhochschulen?
Die Hochschulen gehen sehr unterschiedlich mit dem präsenzfreien Studium um. Manche versuchen, ihre Lehre so durchs Internet zu drücken, wie sie sie schon immer gehalten haben – andere lassen sich auf das Experiment ein und trauen sich nun mehr in die digitale Welt hinein. Im Großen und Ganzen waren die meisten Fachbereiche ja viel stärker analog aufgestellt als digital. Daher sehe ich die Erfahrungen, die jetzt gemacht werden, als Chance. Denn wenn wir dazu ausgebildet werden sollen, Räume für die Arbeitswelten von morgen zu entwerfen, können wir nicht in Arbeitsumgebungen von gestern lernen. Ob aus München, Berlin, Regensburg oder Darmstadt – von überall höre ich, dass erkannt wird, dass eine digitale Lehre nicht einfach so funktioniert, dass man Aufgabenstellungen und aufgezeichnete Vorlesungen hochlädt. Fast alle haben Videoconferencing-Tools und Messenger-Programme eingerichtet oder sind dabei.
In eurem „Corona-Tagebuch“ auf DABonline hast du geschrieben: „Architektur lebt vom Austausch.“ Wie stark beeinträchtigt die Tatsache, dass ihr in diesem Semester „präsenzfrei“ studieren müsst, das Architekturstudium?
Egal, mit wem ich spreche: Alle vermissen ihre Hochschulen schmerzlich. Dabei geht es nicht nur um die Lehre von Angesicht zu Angesicht, sondern auch um die Begegnungen zwischen den Vorlesungen oder auf dem Weg zum Fachbereichscafé oder um den Austausch in den Arbeitsräumen. Das alles macht das Architekturstudium so persönlich und auch oft so angenehm. Gerade bei kreativen Prozessen holt man seine Inspiration ja von überall her, sei es, wenn man bei einer anderen Präsentation auf dem Flur vorbeiläuft oder sieht, was der Nachbar im Arbeitsraum gerade macht. Dieser ganze Input fehlt. Ich denke sogar, dass man mindestens so viel zwischen den Vorlesungen lernt wie in ihnen selbst.
Hinzu kommt, dass nicht alle die digitale Kommunikation gewohnt sind. Das gilt für beide Seiten, für die Lehrenden ebenso wie für die Studierenden! Es wird wohl etwas dauern, bis der Austausch in einer Videokonferenz so kreativ und erkenntnisreich ist wie das direkte Gespräch. Und wirklich flüssig kann eine Unterhaltung mit mehreren ja auch nicht sein, wenn man zum Sprechen erst mal das Mikrofon anschalten muss, statt direkt anzuknüpfen ….
Mal abgesehen vom Studium: Was beschäftigt die Studierenden in diesen Zeiten?
Viel: Das geht bei fundamentalen Dingen wie der Finanzierung los. Viele Studierende jobben normalerweise in der Gastronomie oder haben einen anderen Minijob. Genau diese Stellen wurden aber zuerst gestrichen oder können gar nicht ausgeübt werden. Viele sind daher auf Unterstützung durch die Eltern angewiesen. Aber nicht alle Familien können das leisten! Da sich der Staat zurzeit auch mit der Unterstützung für Studierende zurückhält, entwickelt sich das Studium gerade zu einem Luxusgut für Bessergestellte. Alle anderen müssen anderweitig kreativ werden. Ein Freund von mir hat angefangen, Spargel zu stechen! Eine andere Kommilitonin, die ausgebildete Kinderkrankenschwester ist, hat aus Engagement wieder angefangen, im Krankenhaus zu arbeiten. Viele, die finanziell nicht so betroffen sind, beschäftigen sich auffällig intensiv mit ihrem Lebensumfeld. Es vergeht kein Tag, an dem nicht jemand in meinem Instagram-Account erzählt, wie er gerade seine Terrasse umbaut, sich ein Möbel selbst zimmert oder sein Zimmer umgestaltet.
Fabian P. Dahinten ist Mitbegründer der Architektur-Nachwuchsorganisation nexture plus und frischer Absolvent der Hochschule Darmstadt
Hier finden Sie Fabians Eindrücke vom präsenzfreien Studium, vom menschenleeren Campus und vom virtuellen Studentenleben in seinem Corona-Tagebuch.
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