Von Brigitte Schultz
Innerhalb von Sekunden sitzt man nicht mehr an seinem Schreibtisch in Deutschland, sondern ist ganz weit weg. Isfahan, Sarajevo, Chicago, Baia – die möglichen Reiseziele sind vielfältig und changieren zwischen scheinbar Vertrauten und schillernden Unbekannten. Einzige Konstante: Wojciech Czaja, der uns pro Doppelseite Einblick in jeweils eine der 100 Städte gibt, die er in den letzten Jahren besucht hat. Das ist – zumindest für die Leser – weniger hektisch, als der Buchtitel vermuten ließe. Tatsächlich strahlen die Schilderungen der Begegnungen fern der Heimat die Ruhe desjenigen aus, der sich mit offenen Augen und wachem Geist auf einen fremden Ort und dessen Menschen einlässt.
Der Autor ist ein Meister der sprachlichen Reduktion. So schafft er es innerhalb des selbst gesetzten Korsetts der Doppelseite, nicht nur die Eigenlogik der Stadt einzufangen, sondern fast nebenbei auch über räumliche Besonderheiten und soziale Aspekte zu informieren. Das Buch kommt ohne Bilder aus – die erzeugt Czaja im Kopf der Leser. Verraten wird, wie lange der Wiener wo gewesen ist – nicht aber, wann er die jeweilige Stadt besucht hat. In diesem Sinne taugt der Band nicht als echter Reiseführer: Es bleibt offen, ob es die oft magisch wirkenden Orte, die er beschreibt, überhaupt noch gibt. Wahrscheinlich will er uns nicht in Versuchung führen, sie zu suchen. Denn wer nicht sucht, der findet selbst – und dafür ist dieser Band die beste Inspiration.
Wojciech Czaja: „Hektopolis: Ein Reiseführer in hundert Städte“, Edition Korrespondenzen, Wien, 2018, 220 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-8365-7221-7.
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