Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Nach dem Crash wird alles gut“ im Deutschen Architektenblatt 07.2021 erschienen.
Von Heiko Haberle
Im dritten Anlauf ist die Architekturbiennale Venedig nun geöffnet. Obwohl das Motto von 2020 „How will we live together?“ 2021 umso aktueller ist, zeigt sie sich konzeptionell wenig beeindruckt von Corona: Zwar werden die nationalen Beiträge auf der Biennale-Website in Kurz-Videos vorgestellt, viele Länderbeiträge auf eigenen Websites ergänzt und viele Veranstaltungen sollen übertragen werden. Doch der analoge, aber stets auch etwas elitäre Besuch in den Giardini und im Arsenale bleibt das Maß aller Dinge.
Die neue Gelassenheit
Der deutsche Beitrag „2038 – Die neue Gelassenheit“ (Kuratoren: Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch, Christopher Roth) macht es umgekehrt: Der Pavillon bleibt leer, der Beitrag ist von dort nur über QR-Codes oder direkt am heimischen Bildschirm zu erleben. Die Entscheidung zu dieser rein digitalen Präsentation fiel erst während der Pandemie. Das Konzept eines fiktiven Rückblicks aus dem Jahr 2038 auf die turbulenten 2020er-Jahre funktioniert aber fast unverändert, auch wenn diese mit der Corona-Krise einen nicht einkalkulierten, besonders turbulenten Auftakt hatten.
Interrail 2038
Neu produziert wurde der Hauptfilm „Interrail 2038“. Er kann durchaus fesseln, weil er mehr als Zusatzmaterial zu einer analogen Ausstellung ist, weil Vanessa Yeboah und Leo Altaras überzeugend spielen und die Dialoge lebensnah klingen (Drehbuch: Leif Randt) – und weil keine Laufzeit angezeigt wird und nicht vor- und zurückgesprungen werden kann. Der technische Kniff funktioniert: Man bleibt dran. So folgt man den Teenagern Billie und Vincent (Jahrgang 2021 und 2020), die – wie auch immer – aus dem Jahr 2038 auf das menschenleere Biennale-Gelände im Frühjahr 2021 gelangt sind („the 20s again“). Mit der Gelassenheit, dass 2038 der Klimawandel und das ewige Wachstumsstreben gestoppt, privater Grundbesitz abgeschafft und nach einem weltweiten Daten- und Finanzcrash im Jahr 2023 die Big-Data-Konzerne entmachtet sein werden, blicken sie auf das Heute zurück.
Nach dem Crash wird alles gut
Diese Zeitreise macht auch die Website mit, in deren Retro-Ästhetik aus den Anfängen des Internets weitere professionell produzierte Videos eingebettet sind. In ihnen berichten Philosophinnen, Sozialwissenschaftler, Informatikerinnen und Architekten (darunter auch der 2020 verstorbene Yona Friedman), wie die Menschheit sich selbst gerettet hat: durch eine Neuorganisation von Gesellschaft, Demokratie und Wirtschaft dank einer „Dezentralisierung der künstlichen Intelligenz“ und der Macht. Wer architektonische Überlegungen hören will, muss weit scrollen. Aber Architektur und Stadt werden 2038 ohnehin nur in Nuancen anders aussehen als heute. Jedoch müssen auch sie anders organisiert sein. Die großen Veränderungen liegen also unter den Oberflächen. Der deutsche „Pavillon“ hinterlässt einen ganz eigenen bleibenden Eindruck von einer möglichen Zukunft.
Architekturbiennale Venedig vor Ort
Die Baukultur-Expertin Carmen Mundorff war in Venedig. Lesen Sie hier, welche Pavillons ihr in Erinnerung geblieben sind.
Eine Ausstellung ohne Gegenstände benötigt keinen Pavillion.
Leider fehlt mir die nötige Intelligenz das Konzept zu verstehen.
Nur um im Internet etwas aufzurufen ist das ganze in meinen Augen überflüssig.
Die Kosten hätte man sich sparen können und den Pavillion wie andere einfach zugelassen.