Projekte der beteiligten Architekten findet man auf einem Stadtplan. (Klicken für Auszüge aus dem Buch)
Reflexion ist in Zeiten des Baubooms selten, darum wirkt dieser unscheinbare Band mit Gesprächen wie aus der Zeit gefallen, übrigens auch grafisch, ähnelt der grell orangefarbene Einband doch eher Pamphleten der 1970er. Drei junge Architekten fragten sich einfach: Warum sieht Berlin aus wie Berlin? Und suchten verantwortliche Zeitzeugen.
Zukunft braucht Herkunft, erkannte schon Odo Marquard, doch gerade im kriegszerstörten Berlin wollten Stadtplaner und Architekten nicht selten „bei Null anfangen“ oder wenigstens beim Urstromtal der Spree wie Scharoun, Ungers oder Koolhaas.
Das Nach-Denken in diesem Buch konzentriert sich auf die Jahrzehnte, in denen solche Gewissheiten brüchig wurden. Die elf Interview-Partner sind überwiegend in den 1930er- und frühen 40er-Jahren geboren und blicken darum abgeklärt auf die Zeit seit den 80er-Jahren, als sie die Stadt mitprägten (was im Buch jeweils ein kurzer Bildvorspann illustriert). Viele wurden erbitterte Kontrahenten, als nach der IBA-Zeit mit ihrem postmodernen Pluralismus – und üppiger Sozialbauförderung – die Regeln in den Neunzigern rigider, die Bedingungen härter wurden.
Hans Stimmann, ab 1991 Senatsbaudirektor, lässt diese Wandlung vom sozialdemokratischen Planungsoptimismus über Kleihues´ morphologische Wiederentdeckung des Stadtgrundrisses zum Versuch der steinernen Zähmung von Investoren im Buch aus seiner Sicht revue passieren. Auch der ehemalige Ungers-Assistent Hans Kollhoff steht zu seiner konservativen Wende und plädiert angesichts einer heute „zum PR-Instrument verkommenen“ Architektur für das „anständige Bauen“.
Spätestens bei der Schloss-Rekonstruktion liegen beide mit den meisten anderen im Buch überkreuz: Inken Baller, Klaus Zillich und erst recht Matthias Sauerbruch und Arno Brandlhuber (als Vertreter einer jüngeren Generation) stehen für einen offeneren, experimentellen, stadtpolitisch engagierten Ansatz und begründen dies eloquent. Auch Volkwin Marg und Rob Krier divergieren beispielsweise völlig, was die Qualität des neuen Hauptbahnhofes und seines Umfeldes betrifft. Gleichzeitig geben alle in der Rückschau aufschlussreiche Details preis, legen Verbindungslinien offen, lassen Stimmungen aufleben (die zeitweise gerade in Berlin ziemlich eng und muffig waren). So entsteht eine lebendige Baugeschichte aus subjektiven Geschichten.
Manchmal indes gerät die Rückschau nach kurzen, wertfreien Fragen zu langen Monologen. Hier hätten Zeitgenossen sicher öfters mal kritisch nachgehakt. In nur zwei der elf Kapitel kommen Ostberliner Planer zu Wort: Manfred Zumpe, der sich in der Bauakademie der DDR um die Variation von Typenplanungen bemühte, und Roland Korn, Architekt wichtiger Repräsentationsbauten der DDR. Schade, dass die gerade in Berlin mit Altbau-IBA und Baugruppen quicklebendige alternative Szene so gut wie gar nicht vorkommt. Dennoch bieten diese Erzählungen, die unter www.berlinerportraits.de auch thematisch aufbereitet online verfügbar sind, einen Querschnitt einer höchst widersprüchlichen Zeit und ihrer Bau- wie Weltanschauungen, deren Verständnis erst geistig frei macht für die Weiterarbeit an der Stadt.
Lukas Fink, Tobias Fink und Ruben Bernegger (Hg.)
Berliner Portraits
Erzählungen zur Architektur der Stadt
Verlag der Buchhandlung Walther König, 2019
264 Seiten, 19 Euro
inklusive Stadtplan
Interviews mit: Inken Baller, Rob Krier, Klaus Zillich, Roland Korn, Manfred Zumpe, Volkwin Marg, Rolf und Roosje Rave, Hans Kollhoff, Hans Stimmann, Arno Brandlhuber mit Olaf Grawert, Matthias Sauerbruch
Mehr Informationen, Stadtplan und Videos: www.berlinerportraits.de
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