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Wie wir leben wollen

Keine technokratischen Visionen, sondern einen lebendigen Blick auf die Voraussetzungen, aktuellen Phänomene und Notwendigkeiten des Städtischen bietet dieses bemerkenswerte Buch zweier ausgewiesener Fachleute, das profund, aber gar nicht fachchinesisch daherkommt.

10.01.20194 Min. Kommentar schreiben

Kritik: Christoph Gunßer

Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben bald in Städten, zumeist wohl eher notgedrungen. Hierzulande ist indes viel von der „neuen Stadtlust“ die Rede. Was dahintersteckt, was Stadt überhaupt ausmacht und antreibt und welche Entwicklungswege das Phänomen nehmen sollte, um zu überleben – dazu haben sich die Autoren, Stadtplaner/Architekt und Volkswirtschaftler und beide in leitender Funktion im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), hier ebenso gründlich wie lebendig Gedanken gemacht. Zwar zitieren sie kundig die einschlägige Literatur von Georg Simmel über Roland Barthes, Hans-Paul Barth bis Vilém Flusser, flechten auch passend Schöngeistiges ein, doch vor allem analysieren und bewerten sie selbst, was sie als politikberatende Stadt-Experten wahrnehmen.

„Wir haben den Anspruch, Räume und Häuser nicht bloß als unbelebtes Etwas, sondern als Substrat übergeordneter Zusammenhänge wahrzunehmen“, schreiben die Autoren zu Beginn. Ihr Planungshorizont entspricht nicht dem „Reinheitsgebot der Effektivität“ (Roger Willemsen), das leider die Arbeit vieler Fachplaner kennzeichnet; mit dem Stadtumbauplaner Jan Gehl wissen sie, dass die begehrte Urbanität gerade aus ungebändigtem Leben wächst und setzen auf ein sanftes Steuern der Prozesse, mit einem Fokus auf den öffentlichen Raum, den die europäische Stadt (bislang) bewahrt hat. Unsere Städte markierten nämlich „auf je eigene Weise so etwas wie Mitte: zwischen einem staatlichen chinesischen Hochgeschwindigkeitsurbanismus, der mit Hilfe westlicher Stararchitekten ganze Städte vom Reißbrett weg baut, und megalomanen Armutswucherungen der Dritten Welt.“

Deshalb wenden sie sich auch gegen die Tendenz, die Stadt als Konzern und Räume als Ware zu verstehen. Stets sei zu fragen: „Wer definiert das Bild einer Stadt?“ und letztlich: „Wem gehört die Stadt?“.

Am Beispiel des Wohnungsbaus rekapitulieren sie die Irrwege des Funktionalismus und fordern die Planer auf, mehr Spielräume für die Aneignung zu lassen. Hier verweisen sie auf historische Pioniere unter den Planern wie Alison und Peter Smithson und Aldo van Eyck, gehen aber auch auf die niederländische Planungspraxis ein, wo bei aller Liberalität der Gestaltung die Grundstückspreise öffentlich reguliert werden.

Beim Wohnen selbst, ihrem Lebensmittelpunkt, seien die Menschen erfahrungsgemäß wenig experimentierfreudig: „Das Haus ist das primitive Gerät geblieben, das es war, weil sich sein Zweck nie geändert hat“. Potential stecke jedoch im Wohnumfeld, in der Nachbarschaft, meinen die Autoren, die viel über Resilienz, also stabile, widerstandsfähige soziale Strukturen, geforscht haben. Indes sehen sie den Trend zu den Monokulturen von gated communities und Lifestyle-Quartieren (am Beispiel Berlins) kritisch.

Eine Gebrauchsanweisung für die Stadt

Mächtigster Hebel für einen humanen Stadtumbau sei aber die Mobilität, meinen die Autoren, und plädieren hier für eine nachhaltige Kehrtwende. Aus Erfahrung wissen sie indes um die Macht der Lobbies, und sie halten auch nicht viel von der „wüsten Goldgräberstimmung im Digitalen, in der Smart City“, die ganz offenbar wenig ändert am Bedürfnis der Menschen nach Begegnung, nach der produktiven Differenz, nach Stadt.

„Aber wo, bitte schön, ist denn nun wirklich ´vorn´?“, fragen die Autoren angesichts einer Zukunftsangst, die sich wie Mehltau über den Urbanismus gelegt habe. „Wir brauchen, erstens, Offenheit, weil wir nur so nicht untergehen werden. Zweitens, die Courage, den Menschen die Wahrheit über die krassen Veränderungen zu sagen – um im nächsten Schritt Vertrauen und Gemeinschaft als Grundkapital für die Anpassung aufzubauen. Und drittens muss jeder eine gewisse Verantwortung vor Ort übernehmen. Weil die wichtigsten Aufgaben nur so lösbar sind.“

Und hier sind Planende wie Politik gefordert, pragmatisch und Stück für Stück auf die Menschen zuzugehen, sie mitzunehmen, aber auch, wenn nötig, beherzt einzuschreiten, wie bei der Pkw-Nutzung, die im Kontext Stadt einfach „irrwitzig“ sei.

Ein Buch, das auch für Laien gut lesbar ist, kundig aufklärt und Mut macht. Es wurde sparsam, aber treffend illustriert mit eigenen Fotos aus dem Fundus der Autoren.


Robert Kaltenbrunner und Jakob Jakubowski: „Die Stadt der Zukunft. Wie wir leben wollen“, Aufbau Verlag, Berlin, 2016, 364 Seiten, 20 Euro, ISBN

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