Von Christina Gräwe
Bauhaus entzaubert
Noch gibt es am Bauhaus keine Architekturklasse, als Luise Schilling mit dem festen Vorsatz, dieses Fach zu studieren, 1921 nach Weimar kommt. Sie findet sich im Vorkurs von Johannes Itten wieder. Hier geht es weniger um Architektur als darum, in der Natur „besonderes Material“ zu finden und esotherische Übungen zu absolvieren. Die Itten-Jünger faszinieren Luise; sie verliebt sich in einen von ihnen und findet Anschluss an die Gruppe. Feste werden gefeiert, Bünde geschlossen und wieder gelöst. Ihren Traum vom Architekturstudium kommt Luise erst im zweiten Anlauf näher, als sie 1926 nach Dessau wechselt. Walter Gropius findet erst nach Wochen Zeit, sich ihre Mappe anzusehen. Die Abschlusspräsentation offenbart noch einmal den Zwiespalt der Geschlechterrollen zwischen Aufbruch in die Moderne und Traditionsverhaftung der überwiegend männlichen Lehrergeneration: Ihre Entwürfe werden als überraschend funktional und maskulin eingestuft. Für Gropiusʼ unrühmliche Rolle in diesem Zusammenhang und Luise Schillings weitere Karriere bleiben am Ende wenige Seiten. Der Hauptteil des Buchs widmet sich dem Leben einer jungen Frau, die die erste Station des Erwachsenenlebens durchläuft, eingebettet in das „Setting Bauhaus“. Dass dieses dabei etwas entmystifiziert wird, schadet der Lektüre nicht.
Theresia Enzensberger
Blaupause
Hanser Verlag, 2017
256 Seiten, 22 Euro
Bauhaus kompakt
Ein kleiner Band für ein aufgeladenes Thema: „Das Bauhaus“ überschreibt Winfried Nerdinger schlicht das Büchlein, mit dem er dem Rezeptionszwiespalt der Reformschule zwischen „Mythisierung und Demontage“ durch eine Analyse der künstlerischen, pädagogischen, politischen, ökonomischen und sozialen Konzepte begegnen möchte. Zunächst aber – angenehm für alle, die noch nicht alles zum Bauhaus wissen – fasst er kompakt den Weg bis hin zum Bauhausmanifest mit dem Grundgedanken an eine Architektur- und Kunstschule auf der Basis des Handwerks zusammen. Das revolutionär Neue am Bauhaus – weitere Kapitel heißen „Labor der Moderne“, „Kunst und Technik“ und „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ – kommt ebensowenig zu kurz wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten, die die 14 Jahre Bauhaus an drei Standorten geprägt haben. Ein angenehm unaufgeregtes, dabei sehr informatives Buch inmitten des Publikationsgewitters zum Jubiläumsjahr.
Winfried Nerdinger
Das Bauhaus
C.H. Beck, Reihe „Wissen“, 2018
128 Seiten, 9,95 Euro
Bauhaus kriminalisiert
Den Einband ziert ein Loch – inmitten des sattsam bekannten Tatort-Logos, dessen Schriftzug durch „törten“ ersetzt wurde, kann es sich nur um ein Einschussloch handeln. Und tatsächlich verheißt der Untertitel „Kriminalgeschichten aus einer Bauhaussiedlung“. Studierende der Hochschule Anhalt nähern sich der Siedlung Törten auf ungewöhnliche Weise an: Sie lassen zehn liebevoll bebilderte Geschichten um „mysteriöse Verstrickungen, düstere Geheimnisse und verhängisvolle Schuld“ dort spielen. Durch die Perspektive der Protagonisten, etwa eines zurückgezogenen Präparators, eines Polizeiobermeisters oder einer Neubewohnerin nebst Tochter, erhalten auch die Leser einen ungewohnt frischen, nicht immer unkritischen Blick auf diese Vorzeigesiedlung von Walter Gropius.
Natascha Meuser (Hg.)
Törten. Kriminalgeschichten aus einer Bauhaussiedlung
DOM publishers, 2019
80 Seiten, 14 Euro
Bauhaus weltweit
Von Aarhus bis Zwickau: Das Ortsregister dieser fotografischen Bauhaus-Weltreise umfasst 240 Destinationen. Darunter auf der Architekturlandkarte fest verankerte wie Asmara oder Tel Aviv, aber auch das guatemaltekische Quetzaltenango oder das kongolesische Bukavu. Der Fotograf Jean Molitor begann bereits 2007 mit der Spurensuche nach dem weltweiten Niederschlag der Bauhaus-Einflüsse. Auf dem Cover schiebt sich einem Dampfer gleich eine „casa blanca“ aus Casablanca entgegen. Das Buch setzt dann aber mit den drei Bauhaus-Städten Weimar, Dessau und Berlin ein. Berlin widmet es einen umfangreichen Vertiefungsteil, weitet dann den Kreis auf Deutschland und schließlich Europa aus, um schließlich den Sprung in die USA, nach Israel, Afrika, Asien sowie Mittel- und Südamerika zu machen. Begleitet werden die Fotos von angenehm knappen, dabei informativen Texten der Architektin Kaija Voss. In ihrer Einführung stellt sie zunächst klar, dass es die eine Bauhaus-Architektur nicht gibt, keine neue Aussage, aber eine, an die ruhig ab und an erinnert werden kann.
Die Fotos zeigen eine große Bandbreite von Bauten und Ensembles, die das Neue Bauen auch durch die weltweite Migration der Architekten erfahren hat, und die landestypischen Weiterentwicklungen. Die ganzseitigen Fotos – durchgängig in Schwarzweiß – setzen die Gebäude nüchtern-dokumentarisch in Szene. Sie erhalten individuelle Auftritte, die Umgebung ist meist nur angeschnitten. Menschen sind kaum zu sehen, dafür aber ziemlich ehrlich der Zustand der Häuser, der von frisch saniert bis desolat reicht. Manche der Gebäude existieren schon nicht mehr, andere sind vom Abriss bedroht. Die Fotos übernehmen so auch die Rolle des Erinnerers und der mahnenden Stimme. Das Projekt bau1haus, so seit 2016 der offizielle Name derfotografischen Suche nach sichtbaren Spuren globalen Austauschs in der Architektur, ist noch nicht am Ende seiner Reise angekommen. Ein dringender Reisetipp für die Fortsetzung: Montevideo mit seiner überraschenden, weitgehend unentdeckten Vielfalt des Neuen Bauens.
Jean Molitor (Fotos), Kaija Voss (Text)
Bauhaus. Eine fotografische Weltreise
be.bra verlag, 2018
240 Seiten, 46 Euro
Weitere Buchempfehlungen finden Sie in Teil 2 unseres Überblicks