Gebäckdose, Form und Dekor unbekannt, ab 1930, Christian Carstens KG, Feinsteingutfabrik, Gräfenroda / Sammlung Stefan Bachmann, Berlin / Foto: Armin Herrmann, 2019 (Klicken für mehr Bilder)
Von Heiko Haberle
Mit dem Mythos, die Moderne sei vor allem sachlich, elegant und monochrom gewesen, räumt die Ausstellung „Dekor als Übergriff?“ des Berliner Werkbundarchivs in dessen Museum der Dinge noch bis zum 10. Februar 2020 auf. Während Werkbund und Bauhaus sich der Reduzierung auf das Wesentliche widmeten, herrschte in den Haushalten der 1920er- und 1930er-Jahre eine Überfülle an Farbe und Form: auf Alltagskeramik mit Spritz- und Schablonendekoren – schnell und günstig herzustellen und sogar in Zeiten der Weltwirtschaftskrise noch erschwinglich. Vielleicht wollte man sich damit trotz aller Widrigkeiten auch einfach das „süße Leben“ nicht gänzlich nehmen lassen, denn die bonbonfarbenen, überzuckerten Motive finden sich vor allem auf Zucker- oder Gebäckdosen, Kakaokannen und Tortenplatten.
Obwohl industrielle Massenware, bot eine Vielzahl von Manufakturen so unermesslich viele verschiedene Dekore an, dass jedes Stück doch fast individuell ist. Das wird vor allem an der überbordend bunten Rückwand der Ausstellung deutlich, wo hunderte unterschiedliche Tortenplatten aus der Sammlung Stefan Bachmann, als Wandteller eingesetzt, den Höhepunkt der Ausstellung darstellen und für absolute Reizüberflutung sorgen.
Doch jenseits der visuellen Ebene verdeutlicht die Ausstellung auch Zusammenhänge mit der klassischen Moderne, wie wir sie heute verstehen, denn als nackte Formen sind die Keramiken ja durchaus reduziert. Sie sind auch keineswegs Außenseiter, sondern ein echtes Kind ihrer Zeit: Zeigen sie doch auffällige Parallelen zur konstruktivistischen Avantgarde-Malerei jener Jahre, die schon bald darauf als „entartet“ diffamiert wurde – womit auch die Zeit der Spritzdekore endete.
Dekor als Übergriff?
bis 10. Februar 2020
Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Oranienstraße 25
10999 Berlin
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