Dieser Beitrag ist unter dem Titel „E wie Innovation“ im Deutschen Architektenblatt 06.2024 erschienen.
Seit rund zwei Jahren loten die Architektenkammern einen Weg aus, um das Bauen zu vereinfachen: den sogenannten Gebäudetyp E – „e“ wie „einfach“ oder „experimentell“. Zentrale Idee ist, in Absprache mit dem Bauherrn leichter insbesondere von den sogenannten anerkannten Regeln der Technik (aRdT) abweichen zu können.
Abweichung von anerkannten Regeln der Technik gleich Mangel?
Denn Gerichte beziehen sich auf die aRdT, um zu beurteilen, ob ein Gebäude mangelbehaftet ist, beziehungsweise ob es die Beschaffenheit aufweist, die „bei Werken der gleichen Art üblich ist“ (vgl. § 633 Abs. 2 BGB). Da die aRdT nicht als einsehbares Kompendium vorliegen, sondern fallweise als solche eingeschätzt werden, führt dies dazu, dass die meisten im vorauseilenden Gehorsam technische Empfehlungen (zum Beispiel DIN) einzuhalten versuchen, selbst wenn diese unnötige Mehrkosten oder Ressourcenverbräuche verursachen.
Abweichung von anerkannten Regeln der Technik soll rechtssicher sein
Daher ist die BAK überzeugt: Auch im Interesse der Bauherrenschaft sollte ein rechtssicheres Abweichen von den anerkannten Regeln der Technik möglich sein, um innovative, kostengünstigere und ressourcensparende Ergebnisse zu liefern. Dafür soll das bestehende komplexe Regelwerk nicht angetastet – doch der Umgang damit gelockert werden.
Einer der diskutierten Vorschläge besteht darin, dass die aRdT nur noch dann gelten sollen, wenn sie ausdrücklich vereinbart – oder gesetzlich, insbesondere bauordnungsrechtlich, vorgegeben sind. Um Bedenken zu zerstreuen, dass hierdurch etwaige Verbraucherinteressen ausgehebelt werden, könnte sich eine solche Regelung zumindest vorerst – quasi als Einstieg – auf professionelle Bauherren beschränken.
Abweichungen genehmigen „sollen“ statt „können“
Bei der Umsetzung der neuen Herangehensweise sind die Architektenkammern auf Politik und Gesetzgeber angewiesen, die dem Vorschlag gegenüber aber aufgeschlossen sind. So sind erste Erfolge zu verzeichnen: Die Bauministerkonferenz wird in der Musterbauordnung den Genehmigungsvorbehalt bei Abweichungen von „kann“ auf „soll“ umstellen.
Unter Beteiligung der BAK und anderer Verbände finden Gespräche mit Bauministerium und Justizministerium statt. Ziel ist es, eine zivilrechtliche Lösung zu finden (die Anpassungen könnten im Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches verortet werden oder auch an anderer Stelle).
Landesbauordnungen sollen angepasst werden
In einigen Bundesländern geht man das Thema über die Landesbauverordnungen an. In Berlin etwa wurde der Gebäudetyp-e über den Koalitionsvertrag der Berliner Landesregierung auf die Agenda gesetzt. Schleswig-Holstein definiert mit einem „Regelstandard E“ Maximalstandards, die im geförderten Wohnungsbau nicht überschritten werden dürfen, etwa bei Wärme- und Schallschutz oder Stellplätzen.
Modellprojekt „Einfach gut!“
Während so auf der einen Seite am rechtlichen Rahmen gefeilt wird, gehen manche auf der anderen Seite schon ganz konkret mit Modellprojekten in die Praxis: „Einfach gut!“ heißt beispielsweise ein Modellprojekt, das die Architektenkammer Niedersachsen mit weiteren Akteuren auf den Weg gebracht hat. Der niedersächsische Bauminister Olaf Lies hat die Schirmherrschaft übernommen. „Einfach gut!“ unterbreitet Lösungen, um das Planen und Bauen zukünftig nachhaltiger, aber auch einfacher und damit kostengünstiger zu machen. Mittlerweile wird in Niedersachsen der sehr weitgehende Vorschlag diskutiert, bei Bestandserweiterung oder Umnutzung keine höheren Anforderungen als an die bestehenden Bauteile zu stellen.
Pilotprojekte zum Gebäudetyp E gestartet
Sehr weit sind auch die Bayern. Deren Landesregierung hat Ende 2023 den Startschuss für gleich 19 Pilotprojekte zum Gebäudetyp E gegeben, die nun in fast allen Regierungsbezirken realisiert werden. Bei 15 der Projekte handelt es sich um Wohnungsbauten, darunter eine Aufstockung und eine Umnutzung von Gewerbeflächen. Auch drei Schulen und ein Verwaltungsgebäude sind dabei. Als Bauherren agieren kommunale Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Stiftungen und private Wohnungsunternehmen.
Innovative Lösungen werden unter anderem beim Schallschutz, bei der Haustechnik, bei alternativen Baustoffen oder beim Stellplatzschlüssel realisiert. Eine wissenschaftliche Begleitung wird prüfen, ob mit normabweichenden und innovativen Lösungen das Planen und Bauen erleichtert und Kosten gespart werden können und wo gesetzlicher Handlungsbedarf besteht.
Über Gebäudetyp E informiert bleiben!
Wie schätzt der Bundesjustizminister Marco Buschmann den Gebäudetyp-e ein, was sagt die BAK-Präsidentin dazu – und zu welchen Erkenntnissen kam die BAK-Veranstaltung „Einfach bauen!“ Ende April unter Beteiligung von Bauministerin Klara Geywitz? Mit unserer fortlaufenden Artikel-Sammlung und dem wöchentlichen DABnewsletter bleiben Sie immer auf dem aktuellsten Stand.
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Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Bauherrschaft ist, von den anerkannten Regeln der Technik abzuweichen, denn nur diese garantieren die Dauerhaftigkeit der Gebäude, was im Interesse aller Bauherrschaften liegt.
Vielmehr sollte es möglich sein, von technischen Normen wie zum Beispiel DIN abzuweichen. Im Artikel wird gefordert, von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abzuweichen, wenn diese nicht ausdrücklich vereinbart oder gesetzlich, insbesondere bauordnungsrechtlich, vorgegeben sind. Hier entsteht leider der Widerspruch, dass diese, wie beschrieben, nicht kodifiziert sind. Wie sollen diese dann ausdrücklich vereinbart oder bauordnungsrechtlich vorgegeben sein?
Auch der Vorschlag, diese erst einmal auf professionelle Bauverantwortliche anzuwenden, ist nicht bis zu Ende gedacht, da professionelle Bauverantwortliche die Gebäude oft an Verbraucher:innen veräußern und somit doch ein Mangel entsteht, welcher hier dann auch noch vorsätzlich herbeigeführt wurde.
Von solchen Vorschlägen sollte die Architektenschaft behütet werden, denn letztendlich beginnt die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik bereits bei der Planung und verursacht somit Mängel, welche vermieden werden können und zu weniger Schadensersatzansprüchen führen.
Auch wenn es den Planenden vertraglich ermöglicht würde, von anerkannten Regeln der Technik abzuweichen, können diese allein schon aufgrund des fehlenden juristischen Grundwissens keinen Vertrag mit der Bauherrschaft gestalten, der diesen auch standhält.
Ich dachte immer, die Architektenkammern seien dazu da, die Interessen der Architektenschaft zu vertreten. Aber mit diesen brillanten Vorschlägen gegenüber dem Bundesministerium für Justiz wird das Arbeitsleben ja wirklich erheblich erleichtert.
Die Fundamentalgrundlage der a.R.d.T. ist Vertrauensschutz. Und in diesem Kontext sind sie als Regelungsinstrument weiterhin nicht verzichtbar. Oder wie es einer der bekanntesten deutschen Baurechtler treffend formuliert hat: „Der Bauherr darf nicht zum Versuchskaninchen gemacht werden!“. Leider haben die praktizierenden Bauschaffenden wie Architekten. Ingenieure, Bauunternehmen und Handwerksfirmen bis heute zivilrechtlich nicht verstanden, dass von theoretisch richtigen und praktisch bewährten Bauweisen im Vereinbarungswege auch nach unten abgewichen werden kann, allerdings unter der unverzichtbaren Voraussetzung, dass der Auftraggeber darüber und die möglichen Folgen hinreichend und vor allem auch beweisbar aufgeklärt worden ist.
Sachsen hat mit der Änderung der Sächs. Bauordnung zu Beginn des Jahres 2024 unter § 67 SächsBO Abweichungen von den aRdT zugelassen, die für neue Arten des Bauens und Wohnens gelten.
Ich rege an, vorsichtig zu sein und den § 67 SächBO einmal ganz und vor allem im Zusammenhang mit den in Bezug genommenen Vorschriften des § 3 Satz 1 und § 88a SächBO genau zu lesen.