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Genie und Wahn

29.10.20102 Min. 2 Kommentar schreiben


Wie weit darf sich ein Architekturgenie auf politischen Wahn einlassen? In der Schweiz ist eine Diskussion über Le Corbusiers antisemitische Äußerungen und über seine Bemühung aufgeflammt, unter den übelsten Diktatoren der Epoche zu bauen – Hitler, Stalin und Mussolini (siehe DAB 9/09, S. 66).

Die UBS-Bank tilgte ihn nach Protesten aus einer Werbekampagne; die Stadt Zürich zögert mit der geplanten Taufe eines Le-Corbusier- Platzes und die Frage wird diskutiert, ob sein Kopf noch der richtige für die Schweizer 10-Franken-Note (links) sei. Corbu-Bewunderer wie der Züricher Kunsthistoriker Stanislaus von Moos sehen bei Corbusier lediglich „eine dumme Bemerkung hier, eine politische Fehleinschätzung dort, beides zur falschen Zeit“.

Aber auch von Moos zieht die Verbindung vom Planer mit universellem Gestaltungsanspruch zur totalitären Politik: „Architektur und Städtebau, so wie Le Corbusier sie verstand, hatten die durchgreifende Obrigkeit zur Voraussetzung.“ Und da hatte der Meister keine Hemmungen – etwa 1936 in seinem Konzept für das von Mussolini gerade eroberte Addis Abeba, für das Corbusier eine städtebauliche Synthese aus kolonialer Herrschaftsgeste und Apartheid entwarf.

Texte zum Thema

Le Corbusier und Frankreichs Nazi-Statthalter – Reportage von Daniel de Roulet im Tagesspiegel

Kritische Biographie, besprochen von Philipp Gut im Deutschlandradio Kultur

Mussolini Kolonialpläne für Ostafrika – mit einer Idee Le Corbusiers, beschrieben von Aram Mattioli in der Zeit

Reaktionen auf die Vorwürfe in der Schweiz, geschildert von Bruno Schletti im Tagesanzeiger

Verteidigung Le Corbusiers von Stanislaus von Moos im Tagesanzeiger

Kommentar zur aktuellen Schweizer Diskussion von Niklas Maak in der FAZ

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2 Gedanken zu „Genie und Wahn

  1. Warum gibt es immer wieder Wichtigtuer, die alles durch den Dreck ziehen. Wo viel Licht, da viel Schatten (gilt im Übrigen insbesondere für Architektur …).
    Wenn ein Mensch Großes vollbracht hat, was man Le Corbusier zusprechen, zumindest nicht absprechen kann, dann gebieten Respekt, Vernunft und Anstand, das Besondere seines Schaffens hervorzuheben und ggf. weiterzugeben (es muss nicht auch noch gepriesen werden, gerne entwerfe ich den Schweizern einen neuen 10-Franken-Geldschein).
    Weitere Maßnahmen hinsichtlich diverser Äußerungen von herausragenden Künstlern (für die ihr Werken immer vordergründig ist) oder gar Ächtung ihrer Person/ihres Geleisteten ist unangebracht und zudem ist es dumm, den jeweiligen Zeitgeist außer Acht zu lassen.
    Echte Heilige sind mir noch nie begegnet.

    Volker KH. Widmann
    Fr. Arch./öbuv BSV/zert. Mediator
    74420 Oberrot/Schwäb. Hall

    Antworten
  2. Zweifelsfrei war Le Corbusier ein visionärer Urbanist, der in seinem „Wahn“ bei Zeiten die Grenzen vergaß. Was jetzt durch die Banknotendiskussion der so toleranten Schweizer ans Tageslicht kommt, gehört auch dorthin. Anbetung und Götterstatus einer Person, die die Architektur revolutionierte, werden auch in Zukunft allen Anfeindungen trotzen, der Krone eines Genies auch nur ansatzweise einen Zacken zu knicken. Dennoch muss diese braune Zelle bei der Lehre seines Werkes eingebaut werden mit dem Hinweis, dass Architektur niemals eine Ideologie duldet.

    Thomas Kölschbach
    Architekt und Stadtplaner Dipl.- Ing. (FH)
    Witthohstraße 38
    78576 Emmingen-Liptingen

    Antworten

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