Text: Roland Stimpel
Viele Nicht-Architekten hadern chronisch mit der Moderne in Architektur und Städtebau: zu schmucklos, zu steril, zu kühl. Oft ist solche Abneigung sehr emotional und undifferenziert, bei einigen aber auch mit Kenntnis hinterlegt und bei ein paar wenigen sogar mit Schlitzohrigkeit. Etwa bei dem jungen Soziologen Philipp Maaß, der jetzt als Folgeprodukt seiner Doktorarbeit ein 600-Seiten-Buch mit irritierendem Titel vorgelegt hat: „Die moderne Rekonstruktion“.
Maaß dreht einen modernen Spieß versuchsweise um. Er zitiert den leidenschaftlichen Rekonstruktionsgegner Wolfgang Pehnt mit seiner Feststellung: „In manchen Situationen bedarf es der neuen Zeichen, auch wenn sie den Bruch mit dem Vergangenen bedeuten.“ In Maaß‘ Spießrichtung wird daraus die Idee, „dass der von Pehnt geforderte Bruch mit dem Vorhandenen sich nun nicht mehr durch eine möglichst abstrakte Form der Architektur gegen die historische Stadt realisieren lässt, sondern durch eine neue Form des Historismus gegen die abstrakte Stadt. Das Traditionelle wäre dann das eigentlich Moderne.“ Und unkonventionell ist für Maaß, wer einer jüngeren, modernen Konvention eine ältere, zu reaktivierende vorzieht.
Gegen diese jüngere Konvention und die von ihm ausgemachten Vertreter kämpft Maaß mit einer Leidenschaft an, die stellenweise erschrecken lässt. Der Autor malt ein rabenschwarzes Bild von in seinen Augen konventionellen Architekten und Architektenverbänden. Er sieht einen tiefen Graben zwischen Berufsvertretern und Architektur-Konsumenten seines Schlags und fordert sogar, so der Untertitel seines Buchs, „eine Emanzipation der Bürgerschaft in Architektur und Städtebau“. Die Lektüre mag quälen, aber sie lohnt sich zugleich für den, der solche Denkweisen genauer kennenlernen will.
Heftiges Moderne-Fremdeln demonstriert auch ein völlig anders geartetes Buch mit dem Titel „Mitte von oben. Luftbilder des Berliner Stadtkerns gestern und heute“. Es stellt historischen Luftfotos aktuelle Aufnahmen aus gleicher Perspektive gegenüber. Man sieht auf fast allen Bildpaaren das Gleiche: auf den alten SchwarzWeiß-Bildern sehr dichte, meist kleinteilig parzellierte Häuserhaufen. Und auf den aktuellen Fotos an gleicher Stelle simple Großformen und vor allem Leere, Leere und nochmals Leere. Und man merkt mit Erschrecken: Diese Leere ist ein gigantischer Erfolg des Städtebaus im 20. Jahrhundert, sie ist von seinem Geist geprägt. Vier Kräfte haben diesen Erfolg herbeigeführt: Nazis, alliierte Bomber und Bodenkämpfer, Stadtgegner aus der Fachwelt und DDR-Sozialisten. Auch das war in Berlin planerische Absicht im Sinne des Moderne-Städtebaus (siehe dazu die Meldung auf Seite 6, „DDR-Staats-Achse soll bleiben“). Die Autoren kritisieren nicht, sondern lassen die Bilder für sich sprechen.
Nicht gerade Liebe zur Moderne zeichnet auch das kleine Buch „Berlin. Glanz und Elend eines Stadtbildes“ aus. Rainer Haubrich macht einen Schnellritt durch die Berliner Bau- und Planungsgeschichte seit dem Mittelalter. Auch für ihn ist die Nachkriegszeit die mit den schäbigsten Hinterlassenschaften; speziell die 1970er-Jahre bezeichnet er als „weltweit schwächste Phase der Architektur“. Und er bemüht sich um Ehrenrettung für Baudirektor Hans Stimmann und andere, die nach dem Mauerfall die Stadt nicht dem Investoren-Wildwuchs überlassen wollten.
Man mag Haubrich und vor allem Maaß für konservativ halten und letzteren sogar für verbissen. Aber hierum geht es letztlich nicht. Sondern darum, dass sie und der Luftfoto-Band das anprangern, was sie als jahrhundertstarkes bauliches Misslingen sehen. Man erfährt durch alle drei Bücher, warum heute die Architektenschaft pauschal bei vielen Leuten nicht so viel Autorität im Gestaltungsdiskurs hat, wie es unserer Baukultur guttäte.