Von Christian Welzbacher
Die Dynamik ist ungebremst. Drei Jahre gibt es die Bewegung Architects for Future (A4F) mittlerweile, ein Anlass zu feiern und gemeinsam über das nachzudenken, was bisher geschah und was nunmehr geschehen muss. Dazu bot das Berliner Bauwende-Festival vom 26. bis 29. Mai die beste Gelegenheit. Viele begegneten sich hier zum ersten Mal „in echt“. Bislang war die Vernetzung innerhalb der bundesweit 42 Ortsgruppen vor allem online erfolgt. Was freilich der Sache keinen Abbruch tat.
Wirkung in Politik und Lehre hinein
Man denke zurück an den schlagkräftigen, auf sieben Punkte konzentrierten Forderungskatalog, mit dem die Architects for Future vor drei Jahren aufgetreten waren: Die Wirkung war in die Hochschulen, die Verbände und Kammern hinein zu spüren und die Initiative stieß allerorten auf Wohlwollen. Man denke auch zurück an den ersten großen Versuch, das Anliegen einer „Bauwende“ in die Politik einzubringen: Anfang 2021 gelang es A4F mit einer Bundestagspetition das Thema auch im Parlament auf die Agenda zu setzen.
Das als dreitägiger Vernetzungsmarathon angelegte Bauwende-Festival in Berlin stellte die wesentlichen Anliegen der A4F noch einmal heraus – oder passender: es lebte sie gleichsam vor. Dazu trug auch der Veranstaltungsort bei: die „Atelier Gardens“, ein Gelände der BUFA-Filmstudios, das sich als Kulturquartier unweit des Tempelhofer Feldes nun öffnet. Die freundliche, ja freundschaftliche Atmosphäre, umrahmt von Vogelgezwitscher, S-Bahn-Geratter, temporären Gärten und improvisierten Pavillons, diente A4F dazu, den Blick auf ganz selbstverständliche Weise zu weiten: Architektur (Ingenieurkunst, Stadtplanung und alle Nachbardisziplinen eingeschlossen) sollen als Teil eines Ganzen begriffen werden.
Mit Atmosphäre und Emotionen zum Bauen
Heraus aus dem Sparten- und Silodenken. Hinein in den Kosmos, die „Schöpfung“, in die zyklisch, interaktiv und regenerativ wirkende Natur, der schließlich auch alle Rohstoffe für das Bauen entstammen. Hinein in die Seele, den Körper, den Geist. Um anhand der eigenen, praktischen Arbeit sich immer wieder Wesentliches zu fragen, das im Studium als „Architekturtheorie“ gern ein drolliges Nischendasein fristet und zähneknirschend abgearbeitet werden muss: Wozu planen und bauen wir eigentlich? Wie tun wir das? Was verändern wir dabei? Und: Muss das eigentlich so sein?
Spannend war, dass diese Reise zu den Urgründen der eigenen Tätigkeit nicht so sehr intellektuell als vielmehr emotional stimuliert wurde. Wie das? Indem die Veranstalter dafür sorgten, dass die hier zusammengekommenen Menschen sich „spürten“. Bei Tanz, Yoga, Spaziergängen, Exkursionen, leckerem Essen und vielen angeregten Gesprächen. Einmal mehr bewahrheitete sich die alte Weisheit des Veranstaltungsmachens: Stimmt die Atmosphäre, so ist die Chose schon halb im Kasten. Und die Atmosphäre stimmte.
Engagement (noch) in der Nische
Aber es wurde auch ganz konkret und handfest. Dazu hatten die Architects for Future insgesamt fünfzig Referentinnen und Referenten geladen. Fünf große Diskussionspanels sorgten für den Austausch zum Sachstand, ausgehend von den A4F-Forderungen. Die Redebeiträge und die Einwürfe aus den engagierten Publikum, zeigten vor allem eines: große Sensibilität für die Tatsache, dass man in einer „Nische“, einer für die Politik und Bauwirtschaft noch allzu marginalen Position agiert – und dass die eigene Lust, der unverwüstliche Eifer und die Experimentierfreude darüber nicht hinwegtäuschen dürfen.
Marsch durch die Institutionen
Drei Jahre Architects for Future: das hieß also auch, den Realitätstest wagen, sich „ehrlich machen“ auch sich selbst gegenüber. Viele Akteure und Aktivisten erzählten von ihren eigenen Erfahrungen, auf welch verschiedene Weise sie die Ideen der A4F-Bewegung in ihre Arbeit einzubringen versuchen. Sie beteiligen sich an Gremien und Jurys; sitzen in Normenausschüssen; haben sich in kommunale Deligiertenversammlungen wählen lassen; bringen die eigene Hausgemeinschaft dazu, für den gemeinsam bewohnten Altbau ein neues Energiekonzept zu entwickeln und umzusetzen; sie arbeiten im Amt oder versuchen gemeinsam mit interessierten Bauherren, Projekte anders anzugehen als gewöhnlich. Der Marsch durch die Institutionen ist zäh und langwierig. Aber von Frust war auf dem Bauwende-Festival nichts zu spüren. Im Gegenteil. Immer wieder hieß es: „Weitermachen! Jetzt erstrecht“.
Baubranche umkrempeln
So sind es denn auch die dicken Bretter, die in der kommenden Zeit gebohrt werden sollen. Allen Beteiligten war klar: Ohne eine grundsätzlich andere Gesetzeslage wird sich die „Bauwende“ niemals im Großen etablieren lassen. German Zero e.V. etwa hat dazu einen „Gesetzesentwurf zur Klimaneutralität des Bausektors bis 2035“ angestoßen. Parallel braucht es zudem eine geschulte Verwaltung. Es braucht weiter veränderte Rahmenbedingungen für die Bau- und Baustoffindustrie, die sich bisher einfach nicht bewegt. Da aber der Bausektor und die ihm angeschlossenen Zweige für rund vierzig Prozent der Treibhausemissionen verantwortlich ist, muss es dem A4F darum gehen, die gesamte Branche umzukrempeln.
Greenwashing und globaler KontextDie Tücken sind dabei offensichtlich. Längst kapern die etablierten Player das Thema und definieren dessen Wichtigkeit in ihrem Sinne um. Green finance, Green building, Green new deals aller Orten – und dabei auch viel Trickserei: Ausgleichsflächen für Versiegelung, CO2-Bilanzierung als Schönrechenaufgabe, undurchsichtige Zertifizierungen und vor allem viel, viel Marketing.
Angesprochen wurde auch das Verlagerungsproblem, das bereits die Energiewende gezeigt hat: Was wenn Deutschland vorangeht? Bauen die global agierenden Investoren und Generalunternehmer dann einfach anderswo? Es sieht fast so aus. Während in Europa angesichts galoppierender Baupreise, Lohnkosten, Inflation und Dauerkrise die Branche nach den Boomjahren des Niedrigzinses allmählich ins Stagnieren kommt, wird weltweit gerade der Baubestand insgesamt noch einmal verdoppelt.
Um das zu sehen, muss man nicht einmal lang suchen. Kaum eine Fahrradstunde vom Bauwende-Festival entfernt soll das kolossale Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide – Inbegriff neoliberalen Wachstumsirrsinns (ohne jegliche Architektur) auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Anwohner – demnächst bereits erweitert werden!
Bestand grün weiterentwickeln
Durch die Wahl des Veranstaltungsorts zeigten A4F, dass es anders geht: Die seit 1912 genutzten BUFA-Studios (Berliner Union Film Ateliers) am Rande von Berlin-Tempelhof werden derzeit nach einem Masterplan des Rotterdamer Büros MVRDV zum Kreativquartier der Film- und Kunstszene umstrukturiert. Mit minimalen Eingriffen und Erweiterungen (etwa einer hölzernen Dachterrasse als Aussichtspunkt auf einem Bürokubus aus den 1990er Jahren), vor allem aber mit einem geschickten Entsiegelungs-, Grünflächen- und Brauchwasserkonzept (einschließlich Nachnutzung der Fäkalien) wird das Terrain im Auftrag eines englischen Investors sukzessive ertüchtigt.
Mal wieder ein Pilotprojekt im Rahmen der Kreativbranche, möchte man meinen. Ja – aber wenn es nach den A4F geht, soll eben genau aus diesen Initiativen endlich ein neuer Standard abgeleitet und verbindlich vorgeschrieben werden: Bestand stärken, Umbau praktizieren, Energie sparen, Material recyceln, Neubau vermeiden.
Bauwende-Bildung gegen Klischees
Von den vielen wechselseitigen Bezügen der Festivalbeiträge untereinander sei zum Schluss noch ein immer wiederkehrendes Thema erwähnt: Bildung als Schlüssel. Wer die Bauwende voranbringen will, braucht Information. Und dieses Wissen müsse dann innerhalb der Planergemeinschaft zirkulieren. Große Menschentrauben standen begeistert um die im Außenraum aufgebauten Materialproben aus Hanf oder Stroh und hörten den Inputs der Workshops zu. Eine Gruppe von TU und UdK Berlin präsentierte ihre Forschungen zu pilzbasierten Baumaterialien.
Im nächsten Schritt aber geht es darum, die Gesellschaft als Ganzes zu erreichen. Die Vorstellungen dessen, was Architektur zu leisten habe, seien bei vielen Menschen noch zu sehr an antiquierte Vorstellungen geknüpft und zudem durch die Hochglanzbroschüren der Industrie und die Versprechen der Investoren geschürt. Dass Nachhaltigkeit schlichtweg teurer sei, scheint ein geradezu unausrottbares Klischee. Hier hilft nur Aufklärung – und die solle schon in der Schule beginnen, wie auch eine entsprechende Initiative der Bundesstiftung Baukultur unterstreicht.
Wie lange hält die Unterstützung?
Bildung und Kommunikation nach Außen, Vernetzung nach Innen und Einwirkung auf Gesetzgebung, Politik, Wirtschaft und Verwaltung – um diese drei Komplexe wird es A4F in nächster Zeit verstärkt gehen. Neben weiterer Arbeit in den Ortsgruppen wird es dazu im nächsten Jahr wohl auch wieder einen Kongress geben. Dass A4F vielfältige Unterstützung auf allen Ebenen bekommen, konnte man beim Bauwende-Festival spüren. Dass es Gegenwind geben wird, je erfolgreicher die A4F im Sinne echter Nachhaltigkeit lobbyieren, lässt sich ahnen.
Die Vorträge und Diskussionenn von allen drei Festivaltagen können auf dem Youtube-Kanal von Architects for Future angesehen werden.
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