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Mehr Hygiene durch bessere Krankenhaus-Architektur

Architektur kann Keime minimieren. Wie das funktioniert, macht der Prototyp eines Patientenzimmers vor. Vom Grundriss über die Beleuchtung bis hin zu Smileys wurde alles mitbedacht.

Von: Lars Klaaßen
Lars Klaaßen betreut als freier Redakteur vor allem Interviews und...

04.08.20206 Min. Kommentar schreiben

 

Abstand ermöglichen, Aerosole und Krankheitserreger an der Ausbreitung hindern: Mit der Corona-Pandemie rücken hygienische Aspekte bei der Planung von Gebäuden in den Vordergrund. Insbesondere die Architektur von Krankenhäusern steht dabei vor großen Herausforderungen. Schon bevor Covid-19 sich verbreitete, waren Gesundheitsgefahren im medizinischen Bereich ein viel diskutiertes Thema: „Bis zu 500.000 Patienten jährlich bekommen krankenhausspezifische Keime“, erläutert der Architekt Wolfgang Sunder vom Institut für Industriebau und konstruktives Entwerfen der Technischen Universität Braunschweig. „Bis zu 10.000 Patienten jährlich sterben daran.“ Der Architekt leitet ein Forschungsprojekt, bei dem verschiedenen Akteure aus Wissenschaft und Industrie kooperieren, das Lösungen mithilfe der Architektur erarbeitet. Es bezieht sich zwar auf Bakterien, lässt aber auch Rückschlüsse auf die Verbreitung von Viren zu.

Molekularbiologie trifft Architektur

Welche Bakterien leben auf den Oberflächen in Patientenzimmern? Kann eine andere Raumplanung Infektionen in Kliniken verhindern? Damit beschäftigten sich die Architektinnen und Architekten der TU Braunschweig zusammen mit Molekularbiologinnen und Molekularbiologen sowie Medizinerinnen und Medizinern im Projekt KARMIN. Gemeinsam mit dem bayerischen Unternehmenspartner Röhl entwickelten die Projektpartner einen Prototypen für ein infektionspräventives Patientenzimmer. Der Demonstrator für ein optimiertes Patientenzimmer wird im Oktober 2020 beim „World Health Summit“ in Berlin präsentiert.

Für eine Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité Berlin zunächst ein Jahr lang Abstriche in Patientenzimmern sowie Proben direkt von Patienten genommen. „So können wir zum ersten Mal zeigen, wie sich das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, auf den Oberflächen im Krankenhaus aufbaut“, sagt Rasmus Leistner vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité Berlin. Reinigungsmittel und anwesende Personen könnten demnach durch ihr eigenes Mikrobiom die Mikroben-Konstellation des Zimmers verändern. Einerseits vernichten Reinigungsmittel Bakterien, schaffen andererseits aber auch Nischen für gefährliche Erreger.

Zwei Bäder, Betten nicht nebeneinander, weniger Ansteckungsgefahr

Architektinnen und Architekten, Designerinnen und Designer der TU Braunschweig zeigen wiederum, wie eine kluge Raumplanung und die Neugestaltung hygienerelevanter Gegenstände die Übertragung gefährlicher Keime in Krankenhäusern verhindern kann. Als das Projekt 2017 startete, haben sie ein Jahr lang Kliniken besucht und dort hospitiert. „Wir wollten erfahren, wie Putzkräfte, Pfleger, Ärzte, Patienten und Besucher agieren“, so Sunder.

Zunächst stand das Zimmer als Ganzes im Fokus. Bei der Raumaufteilung für das Zweitbettzimmer zeigte sich, dass die Betten sich am besten gegenüber stehen und jeder Patient auf seiner Seite eine eigene Nasszellen erhalten sollte. Bislang haben Zweibettzimmer in Krankenhäusern in der Regel nur ein Bad, das sich die Patienten teilen. Getrennte Bäder gewährleisten jedoch mehr Hygiene: „Wir gehen davon aus“, sagt Sunder, „dass die Mehrkosten für die zweite Nasszelle dadurch ausgeglichen werden, dass Kosten für eventuelle Infektionsbehandlungen wegfallen“.

Hygiene vom Grundriss bis zum Smiley

Von der Eingangstür aus liegt eine Person rechts, die andere links. So muss das Pflegepersonal nicht um das erste Bett herumgehen, um zum anderen Patienten zu kommen. Mit solcherart durchdachter Planung lassen sich hohe Hygienestandards und sinnvolle Pflegeabläufe miteinander verbinden. Nach der Gesamtbetrachtung des Zimmers gingen die Planerinnen und Planer in die Details. Unter anderem wurden die Beleuchtung und die Position der Desinfektionsmittel-Spender berücksichtigt. So befinden die Spender sich auf dem Weg zu den Patienten, gut sichtbar für das Pflegepersonal. Wer das Gerät nutzt, erhält über das Display ein emotionales Feedback via Smiley-Icon. All dies erhöht die Häufigkeit, mit der die Desinfektionsmittel-Spender genutzt werden.

Große Flächen, wenige Fugen, keine Griffe

Entscheidend für die Planung war auch, dass die Inneneinrichtung sich gut reinigen lässt. Das fängt bei der Wahl der Oberflächenmaterialien an. „Mit sinnvoll beschichteten HPL-Platten haben wir zum Beispiel gute Erfahrungen gemacht“ erläutert Sunder. HPL steht für High Pressure Laminate, es ist unter Hochdruck verpresstes Laminat. Zur Herstellung werden mehrere Papierschichten in Melaminharz getränkt. Durch das Harz entsteht nach dem Aushärten ein duroplastischer Kunststoff. Das Material verformt sich anschließend nicht mehr und hält Temperaturen bis zu 180°C stand.

Weitere wichtige Aspekte mit Blick auf Sauberkeit sind: Wenige große Flächen lassen sich besser reinigen als kleinteiligere, die Zahl der Fugen sollte möglichst minimiert werden. Push-to-open-Mechanismen sind besser als Griffe. Ein sensibler Bereich ist auch die Kante zwischen Wand und Waschbecken: „Schon nach wenigen Monaten bildet sich dort durch Abnutzung eine Vertiefung, in der Keime und Erreger sich wohlfühlen“, sagt Sunder. „Eine Aufkantung um fünf Zentimeter behebt dieses Problem.“

Licht als dezenter Wegweiser

Die Planerinnen und Planer haben das Zweibettzimmer für verschiedene Szenarien ausgelegt: für die Arztvisite, Besuch von Familie sowie Freunden, Ruhephasen am Tag, Nachtruhe und Reinigung. Hierbei spielt die Beleuchtung eine relevante Rolle. Besonders hell lässt der Raum sich für die Arbeit von Putzkräften gestalten. Für ihre Ruhephasen haben die Patienten je einen eigenen Bereich, in dem das gewünschte Lichtszenario individuell gesteuert werden kann. Nachts, wenn ein Patient sich aufrichtet, geht ein kleines Licht am Bett an, an der Fußleiste weist ein LED-Band den Weg zum Bad, wo eine weitere kleine Leuchte dezent für Orientierung sorgt.

Gemeinsam mit 18 Industriepartnern hat das Architektenteam den Prototyp für ein neuartiges Patientenzimmer gebaut. Nun folgt eine Evaluierungsphase. „Der Demonstrator soll von Klinikmitarbeiterinnen und Klinikmitarbeitern sowie einem Expertenteam bewertet werden“, sagt Sunder. „Vor allem die Reinigungs- und Behandlungsabläufe wollen wir noch einmal genau unter die Lupe nehmen.“


Der Hygiene-Prototyp wird präsentiert

Im Oktober 2020 wird der KARMIN-Demonstrator einem internationalen Fachpublikum auf dem Berliner „World Health Summit“ vorgestellt. Sodann können die Entwicklungen in ihrer Gesamtheit oder als einzelne Elemente bei Neubauten, aber auch bei Sanierungs- und Umbauarbeiten in Krankenhäusern umgesetzt werden.

Die Projektdaten: Forschungspartner sind die Technische Universität Braunschweig (Koordinator) mit dem Institut für Industriebau und konstruktives Entwerfen, die Charité – Universitätsmedizin Berlin mit dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin und das Universitätsklinikum Jena mit der Septomics Research Group. Gefördert wird das Projekt von Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Den speziellen Aspekten des Bauens für medizinische Infrastruktur widmen sich die „Architekten für Krankenhauswesen und Gesundheitswesen“ (AKG): Der Verein fördert den Dialog zwischen Kollegen und Partnern, bietet Weiterbildung an, entwickelt Qualitätsstandards uns sucht den Austausch mit einer breiten Öffentlichkeit.

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