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Messen: Was sich nach Corona ändert

Die Messen in Frankfurt, München und Köln entwickeln digitale Formate aber setzen ab Herbst auch wieder auf klassische Messen: als Orte der Begegnung

30.06.20207 Min. 1 Kommentar schreiben

Messe Frankfurt: „Wir sind mehr denn je vom Geschäftsmodell der ­internationalen Messen überzeugt“

Wolfgang Marzin ist Vorsitzender der ­Geschäftsführung der Messe Frankfurt
Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt

Herr Marzin, Sie führen die Messe Frankfurt. Wie haben sich die Corona-Maßnahmen bisher auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Bislang hat die Messe Frankfurt mit ihren 30 Tochtergesellschaften weltweit über 40 Messen verschieben müssen. Am Heimatstandort und anderswo in Deutschland waren zehn Veranstaltungen betroffen. Zuletzt mussten in Frankfurt die Weltleitmessen „Automechanika“ und „Light + Building“ verschoben werden: die „Automechanika“ auf den 14. bis 18. September 2021. Die „Light + Building“ findet erst wieder zum nächsten regulären Termin vom 13. bis 18. März 2022 statt.

Haben Messen mit viel internationalem Publikum noch eine Zukunft?

Wir sind mehr denn je von unserem Geschäftsmodell der internationalen Messen überzeugt: Gerade die momentane Situation verdeutlicht, wie wichtig die Begegnungen der Menschen untereinander sind. Die Wirtschaft braucht Fachmessen für die Vermarktung ihrer Produkte, die man an den Ständen der ausstellenden Unternehmen erleben kann. Deshalb konzentrieren wir unsere Anstrengungen auf die bevorstehenden Veranstaltungen zum Jahresende und ab 2021. Komplementäre Formate in virtueller Gestalt werden sicher auch zukünftig eine Rolle spielen. Beispielsweise bietet die „Automechanika“ 2020 aufgrund der Verschiebung einige Weiterbildungsprogramme im Videoformat an. Im Mittelpunkt werden aber immer persönliche Begegnungen stehen, und hier treffen wir Vorbereitungen, alle Hygiene- und Abstandsregeln zu erfüllen.

Und wann wird eine solche Messe wieder stattfinden können?

Wir rechnen im Augenblick damit, dass wir unseren regulären Messebetrieb in Deutschland Ende 2020 oder Anfang 2021 wieder aufnehmen werden. Die Durchführung von Veranstaltungen hängt allerdings auch davon ab, wie die Situation im Flugverkehr, bei der Bahn und im ÖPNV geregelt ist und inwieweit Reisebeschränkungen aufgehoben wurden. Wir planen derzeit „auf Sicht“ und passen uns den aktuellen Bedingungen an. Der Normalzustand nach Corona wird ein anderer sein als davor.

Bleiben wird unser Auftrag, der Industrie die bestmöglichen Begegnungsplattformen anzubieten, um ihre Produkte weltweit zu präsentieren. Aus China haben wir die Nachricht vernommen, dass in der Provinz Guangdong Messen offiziell wieder gestattet sind. Somit können die Kollegen dort mit den Vorbereitungen für die ersten Veranstaltungen der Messe Frankfurt beginnen. Damit werden unsere Tochtergesellschaften in China voraussichtlich zu den ersten in unserer Unternehmensgruppe gehören, die wieder Messen ausrichten dürfen. Und wir sind zuversichtlich, dass die anderen Regionen folgen werden.

Wolfgang Marzin ist Vorsitzender der ­Geschäftsführung der Messe Frankfurt


Messe München: „Plattformen zur persönlichen Vernetzung sind wichtiger als je zuvor“

Klaus Dittrich ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München GmbH
Klaus Dittrich, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München GmbH

Herr Dittrich, wie hat die Messe München auf die Corona-Krise reagiert?

Die Krise hat unsere Branche als Erste schnell und hart getroffen. Dazu zählen nicht nur wir als Messeveranstalter, sondern auch unsere zahlreichen Partner wie Standbaufirmen, Agenturen oder Caterer. Allein für unser Unternehmen müssen wir im schlimmsten Fall mit einem Umsatzverlust von 240 Millionen Euro im Jahr 2020 rechnen. Noch haben wir aufgrund des turnusschwachen Messejahres 2020 zahlreiche Ausweichtermine und -flächen im zweiten Halbjahr. Das gibt uns Hoffnung! Wir haben in der Zwischenzeit daran gearbeitet, unsere Veranstaltungen infektionssicherer zu machen. Fachmessen sind zwar Großveranstaltungen, aber mit Sicherheit kein Volksfest oder Festival. Mit unseren Schutzmaßnahmen ist das Ansteckungsrisiko keinesfalls höher als beim Besuch eines Baumarktes oder Lebensmittelgeschäftes.

Arbeiten Sie jetzt an alternativen Formaten zur Präsenzmesse?

Die aktuelle Lage zeigt, wie wichtig persönliche Begegnungen für uns Menschen sind. Plattformen zur persönlichen Vernetzung sind wichtiger als je zuvor. Das ist gut für die Zukunft unseres Messegeschäftes. Die Corona-Krise zeigt aber auch, dass Online-Angebote immer relevanter werden. Daher arbeiten wir an digitalen Plattformen und Produkten, die wir unseren Kunden als Ersatz für abgesagte Veranstaltungen, wie etwa die Outdoor-Sportmesse „Outdoor by ISPO“ oder unsere Messe für Umwelttechnologien „IFAT“, anbieten können. Mittlerweile haben wir ein Portfolio an digitalen Produkten, zum Beispiel das Newsportal ispo.com, die Plattform „ISPO Jobs“ und die „ISPO Awards“. Auf der Plattform „ISPO Open Innovation“ können Sportartikelhersteller sogenannte Consumer-Experts in die Produktentwicklung einbeziehen. Um die Digitalisierung weiter voranzutreiben, haben wir einen eigenen Geschäftsbereich dafür gegründet. In Zukunft werden wir nicht nur Messeveranstalter, sondern langfristig an 365 Tagen im Jahr Plattformen für das Marketing unserer Kunden anbieten.

Was ist Ihre Prognose für den Messebetrieb?

Wir arbeiten darauf hin, dass Messen im Herbst grundsätzlich wieder stattfinden können. Ein wesentlicher Faktor sind neben dem Infektionsrisiko die bestehenden Reisemöglichkeiten. Generell erwarten wir, dass Messen weiterhin eine wesentliche Rolle im Marketing-Mix spielen werden. Das bisherige Feedback unserer Kunden zu ihrer langfristigen Marketing-Strategie ist, dass Aussteller an Messen festhalten – allerdings unter anderen Umständen. Was wir in der Nach-Corona-Zeit definitiv nicht brauchen, ist eine Welt, in der es immer nur „entweder – oder“ heißt – also entweder analog oder digital. Es geht darum, beide Welten optimal zu verbinden. Wir leben schon seit einigen Jahren mit der Digitalisierung, transformieren Geschäftsmodelle und erfreuen uns neuer Technologien. Digitale Angebote werden immer relevanter. Die direkte Kommunikation und einen Austausch von Angesicht zu Angesicht ersetzt das allerdings nicht komplett.

Klaus Dittrich ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München GmbH


Koelnmesse: „Internationale Messen werden eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Zukunft spielen“

Thomas Postert ist Direktor der Orgatec der Koelnmesse GmbH
Thomas Postert, Direktor der Orgatec, Koelnmesse GmbH

Wie hat Corona Ihre Arbeit bisher beeinflusst?

Die Internationale Eisenwarenmesse in Köln war Ende Februar 2020 eine der ersten deutschen Messen, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise abgesagt oder verschoben wurde. Veranstaltungen im Ausland, insbesondere in Asien, waren schon zuvor betroffen. Hintergrund war stets die Sorge um die Gesundheit der Messeteilnehmer in Verbindung mit den behördlichen Vorgaben. Mitte März folgte die gleiche Entscheidung für alle Messen in Köln bis Ende Juni, darunter die photokina, THE TIRE COLOGNE und CCXP Cologne. Schließlich wurde nach dem bundesweiten Verbot von Großveranstaltungen die gamescom als physische Veranstaltung – mit zuletzt 370.000 Teilnehmern – abgesagt. Sie findet in einem rein digitalen Format statt.

Was sind ihre Strategien für die nahe und mittelfristige Zukunft?

Das Land Nordrhein-Westfalen erlaubt seit dem 30. Mai 2020 wieder Fachmessen und Fachkongresse unter Auflagen durchzuführen. Damit ist die wesentliche Voraussetzung gegeben, um im September, beginnend mit der spoga+gafa und spoga horse, wieder sukzessive in eine gewisse Normalität zu starten. Es ist auch ein erster Erfolg unserer intensiven Überzeugungsarbeit gegenüber Politik und Behörden auf allen Ebenen. Fachmessen unterscheiden sich grundlegend von Sportereignissen und Volksfesten, da der Fokus auf beruflichen Geschäftskontakten liegt und von wirtschaftlichen Aspekten getrieben wird.

Wir haben bereits umfassende Maßnahmenpläne erarbeitet, um diese Bedingungen im Kölner Messeherbst zu erfüllen und setzen das Gespräch mit den Verantwortlichen im Land und bei der Stadt Köln laufend fort, um nun sehr rasch auch die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Neben der gamescom, die Ende August rein digital stattfinden wird, werden wir auch bei den weiteren anstehenden Messen ergänzende digitale Formate und Angebote prüfen. Klar ist auch, dass wir uns bei den Fachmessen vor Ort zunächst wieder auf das wesentliche USP von Messen – das Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage – konzentrieren werden. Events, Konferenzen und weitere Sideevents werden wir sehr genau auf ihre Durchführbarkeit prüfen und individuell entscheiden, was funktioniert und was nicht.

Was ist Ihr Wunsch oder Ihre Prognose für den Messebetrieb nach beziehungsweise mit Corona?

Unser aktuelles „Best-Case-Szenario“, an das wir fest glauben, ist, dass wir unseren Messebetrieb ab der gamescom Ende August zunächst digital und dann ab September wieder auf unserem Gelände aufnehmen. Darauf arbeitet das gesamte Koelnmesse-Team mit Hochdruck hin. Messen sind als zentrale Business-Plattformen unverzichtbar, um die Wirtschaft zügig und nachhaltig wieder in eine möglichst weitreichende Normalität zu führen.

Internationale Messen werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, den beteiligten Branchen die Lösungen und Trends für eine wieder erfolgreiche Zukunft zu zeigen. Es wird vermutlich eine Zeit dauern, bis die einzelnen Messen und Branchen wieder zu alter Stärke zurückgefunden haben, auch die Messen werden wohl zunächst etwas anders aussehen und nur unter entsprechenden Auflagen stattfinden können. Wichtig ist für uns aber vor allem ein Zeichen für die Messewirtschaft und unsere Kunden zu setzen: Es geht wieder los!

Thomas Postert ist Direktor der Orgatec der Koelnmesse GmbH

 

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1 Gedanke zu „Messen: Was sich nach Corona ändert

  1. In der Branche wird laut darüber nachgedacht, dass Corona das Ende der Messen ist, wie wir sie bisher kannten/ausgerichtet haben. Vielen Unternehmen lagen die Kosten für die Messeauftritte quer im Magen, was sie unter Schmerzen hingenommen haben, solange die Konkurrenten unter den gleichen Schmerzen litten.
    Jetzt sind alle draußen: Jedes Unternehmen muss jetzt für sich abwägen, ob es den Kostenblock auf sich nehmen will, ohne zu wissen, ob die Konkurrenz das auch tut – und sich damit einen Vorteil verschafft.
    Die Situation könnte dazu führen, dass die Publikumsmessen – wie schon etwa die Cebit – regelrecht implodieren, aber auch die Fachmessen nicht mehr ausgerichtet werden können.
    Gleichzeitig mussten die, deren Geschäftsmodell mit oft nur einer Fachmesse synchronisiert war, sowieso lernen, wie man ohne Messe und ohne Fernreise verhandelt. Die Erkenntnis, dass das auch geht, wird die Gewohnheit, sich persönlich zu treffen, nachhaltig beschädigen. Zumal da sowieso ein Generationswechsel im Gange ist: Die jungen, oft international Ausgebildeten wollen sowieso die Digitalisierung und sind oft nur durch Gewohnheiten der Führungsetagen gebremst worden.
    Corona ist das disruptive Element für Vertrieb und Veranstaltungswesen – und für das letztere möglicherweise ein Vernichtungsschlag. Ich hoffe, ich täusche mich…

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