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Planungseuphorie in den Zeiten des Krieges

15.08.20134 Min. Kommentar schreiben
Buchtitel „A Blessing in Disguise“: Kriegszerstörung als Planungsgelegenheit. (Foto: DOM publishers)
Buchtitel „A Blessing in Disguise“: Kriegszerstörung als Planungsgelegenheit. (Foto: DOM publishers)

Zwei Bücher und eine Ausstellung widmen sich dem Phänomen, Zerstörung als „einmalige Gelegenheit“ zur Stadterneuerung zu begreifen. Im Wechselspiel von Feuersturm und glühendem Modernisierungswillen wurde in vielen Städten Europas – sowie in Deutschland nur in Hamburg – schon während des Zweiten Weltkriegs eifrig an Plänen gearbeitet, um die Stunde Null zu nutzen. Realisiert wurde von den Visionen jedoch wenig, stellen die Autoren Jörn Düwel und Niels Gutschow mit Blick auf die Nachkriegszeit fest.

Zerstörung und Städtebau

„Ein seltsam glücklicher Augenblick“: so charakterisierte der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher (1869-1947) den Großen Brand in Hamburg von 1842. Er bedauerte dabei nicht, dass große Teile der Altstadt zerstört wurden und Menschen ums Leben kamen. Er betonte vielmehr die einmalige Gelegenheit, die Hamburg damals zu einer vorbildlichen Modernisierung genutzt hatte. Erst die Zerstörung habe die Grundlage für eine moderne Großstadt geschaffen. 1943 widerfuhr Hamburg mit den Bombenangriffen erneut eine Katastrophe, und wieder sahen die Städtebauer darin ihre Chance, die Stadt neu zu errichten. Dieser Zusammenhang von Zerstörung und Städtebau ist zentrales Thema des Buches „Ein seltsam glücklicher Augenblick“ – Zerstörung und Städtebau in Hamburg 1842 und 1943.

Die Autoren, Jörn Düwel und Niels Gutschow, analysieren diesen Zusammenhang am Beispiel Hamburgs. In keiner anderen Stadt in Deutschland habe es noch während des Krieges so schnell und so umfassend konkrete Wiederaufbaupläne im Namen der Modernisierung gegeben wie in Hamburg. Dieses Buch liefert einen Überblick über den städtebaulichen Kontext Hamburgs, Planungen von Städten anderer europäischer Länder im Zweiten Weltkrieg werden kurz vergleichend vorgestellt.
Jörn Düwel / Niels Gutschow „Ein seltsam glücklicher Augenblick“ – Zerstörung und Städtebau in Hamburg 1842 und 1943
DOM publishers, Berlin 176 Seiten, 28,- €

Vom vermeintlichen Ende der Großstadt

Schon 1942 erteilte der amerikanische Sozial- und Kulturkritiker Lewis Mumford dem kriegszerstörten Europa den Rat, „überlegt und rationell das zufällige Werk der Bomben“ fortzusetzen, um „genug Raum“ für moderne Lebensbedingungen zu schaffen. Tatsächlich löste die Vernichtung der Städte in Europa seit 1940 eine regelrechte Planungseuphorie aus. Die Planer sahen in den Kriegsfolgen eine „einmalige Gelegenheit“ zur radikalen Neugestaltung der Städte. Im Buch ‚„A Blessing in Disguise“ – War and Town Planning in Europe 1940 – 1945’, herausgegeben von Jörn Düwel und Niels Gutschow, analysieren Historiker und Architekten aus unterschiedlichen Kulturkreisen die ideengeschichtlichen Leitbilder des Städtebaus während des Zweiten Weltkriegs.

Die Publikation stellt anhand einer Fülle von teilweise noch unveröffentlichtem Quellenmaterial die Planungen für Städte in Frankreich, Holland, England, Dänemark und der Sowjetunion vor. Die Autoren zeichnen nach, wie sich bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine wachsende Großstadtfeindschaft breit machte, die eine weitgehende Umgestaltung oder gar den Abbau der bestehenden Städte verlangte. Noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges wollte man Städte bauen, die dem Szenario eines „Zukunftskrieges“ standhalten konnten. Es entstanden Visionen von lichten, organisierten Städten, am bekanntesten darunter vielleicht die Cité Radieuse von Le Corbusier (1935).

In vielen Städten Europas – in Deutschland jedoch nur in Hamburg – wurden Pläne erarbeitet, um die „einmalige Gelegenheit“ nach dem Zweiten Weltkrieg zu nutzen. Realisiert wurde davon letztendlich wenig, wie ein Blick auf die Nachkriegszeit zeigt. Mit diesem Buch verfolgen die Autoren das Ziel, diese bisher weitgehend unerforschte Thematik aufzuarbeiten.
Jörn Düwel / Niels Gutschow (Hg.) „A Blessing in Disguise” – War and Town Planning in Europe 1940 – 1945; Mit Beiträgen von Cor Wagenaar, Stefan Couperus, Kenneth Hewitt, Jean-Louis Cohen, Dmitrij Chmelnizki, Jeffry M. Diefendorf, David Kuchenbuch.
DOM publishers, Berlin 400 Seiten, 98,- €

Ausstellung zeigt originale Entwürfe

Basierend auf den beiden Büchern haben die Herausgeber, Düwel und Gutschow, gemeinsam mit Volkwin Marg die Ausstellung „Die erwartete Katastrophe“ entwickelt. Die Ausstellung in der Freien Akademie der Künste Hamburg konzentriert sich mit noch nicht gezeigten originalen Entwürfen auf die Planungen für das zerstörte Hamburg. Daneben werden die zwischen 1940 und 1945 entstandenen Planungen und Visionen für Städte in Frankreich, Holland, England, Dänemark und der Sowjetunion vorgestellt. Bereits in den zwanziger Jahren waren Städtebauer davon überzeugt, dass der kommende Krieg den Tod der Großstadt in ihrer bisherigen Form bedeute. Im begleitenden Programm werden im Metropolis-Kino zahlreiche, von Experten eingeleitete, historische sowie historische Filmaufnahmen verwendende Dokumentationen gezeigt. Die erwartete Katastrophe 15. August bis 29. September in der Freien Akademie der Künste Hamburg Nähere Informationen zur Ausstellung: hier.

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