Von Fabian P. Dahinten
Es ist kurz nach Mitternacht, in der fünften Etage des Uni-Hochhauses ist neben den Fluren nur noch ein Vorlesungsraum beleuchtet: Das Studierendenparlament, kurz „StuPa“, tagt. Licht ist also da – die Luft dagegen enthält mittlerweile weniger Sauerstoff, als gesund wäre, wenn über 30 Leute angestrengt nachdenken, diskutieren und debattieren – über die komplexen und streitbaren Themen moderner Hochschulpolitik. Einige meiner Sitznachbarn sind schon tiefer in die Hörsaalstühle gerutscht. Auf den harten Holzklappstühlen wenden sie sich hin und her. Sechs Stunden Dauersitzen – das ist selbst für die Hartnäckigsten unter uns eindeutig zu viel.
„Wer ist dafür? Wer ist dagegen? Wer enthält sich?“ Hände werden gehoben. Einige wecken noch schnell ihre Sitznachbarn auf: „Jetzt, Hand hoch!“ Weitere Stimmkarten schnellen nach oben – auch wenn manche ihrer Träger nicht wirklich den Eindruck erwecken, dass sie den Antrag aus tiefster Überzeugung befürworten. Aber man kennt sich. Und ist dankbar, dass der Nachbar hellwach ist.
StuPa-Sitzungen, die sich in die Länge zogen
Aber leider: All das sind nur Erinnerungen. Gar nicht an einen bestimmten Tag, sondern an etliche dieser Art. So oder ähnlich konnte jede beliebige Sitzung des Studierendenparlaments der letzten zwei Jahre verlaufen, wenn sie sich in die Länge zog – und das tat sie oft. Zwei Jahre: So lange ist es nun schon her, dass ich mich mit anderen Kommiliton*innen aus unserem Fachbereich mit einer eigenen Liste, fast wie einer kleinen Partei, in das Studierendenparlament habe wählen lassen.
Aber nun sind wir in einer anderen Zeit: Corona stellt auch das StuPa vor völlig neue Herausforderungen. Letzte Woche wurde es zum ersten Mal geprobt: eine StuPa-Sitzung per Videoschalte, ein digitales Parlament. Würde das funktionieren? Würde es klappen, wenn über 30 Menschen sich auf diese Weise beraten müssen, die schon mal sehr unterschiedliche Meinungen haben und gern bis tief in die Nacht um die beste Lösung streiten? Denn in Videokonferenzen wird es ja schon mal unübersichtlich. Wer hat gerade geredet? War er oder sie schon fertig? Sind alle Leitungen „wach“? Haben alle überhaupt alles verstanden? Und wirklich zugehört? Gerade in der Politik redet man ja gerne auch aneinander vorbei.
Nach zehn Minuten ist der digitale Raum voll
Und so ging es los! „Bing“, „Bing“, „Bing“, „Hallo“, „Huhu“, „Bing“… Nach ungefähr zehn Minuten ist der digitale Raum voll. Je mehr dazustoßen, desto kleiner werden die Bilder der anderen auf dem Screen, und Schritt für Schritt entsteht ein wildes Kachelbild. Aber zunächst stellen alle ihre Mikrofone stumm und hören dem Moderator zu.
Ich überlege: Wie wäre das wohl in Nicht-Corona-Zeiten, wenn 30 oder 40 Menschen schweigend einen Raum betreten und sich still hinsetzen, bis der erste das Wort ergreift …? Nein, so etwas klappt vielleicht in einem Kloster, aber garantiert nicht bei einer StuPa-Sitzung. Denn ohne, dass das Präsidium fünfmal „Hallo, wir würden gerne anfangen!“ ruft, geht es beim StuPa niemals los. Zugegeben: Oft genug habe ich auch erst beim vierten Mal reagiert.
Willkommen im digitalen Parlament
„Willkommen zur ersten Online-Sitzung“ heißt es nun also feierlich einleitend. Und tatsächlich ist, was folgt, dem bisher Gewohnten völlig ähnlich. Eine lange Tagesordnung. Viele Fragen zum Ablauf. Zwischenrufe zu Formalien. Meinungen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Und manchmal Nachfragen, nach denen ein Raunen durch den Raum geht – den ich freilich nur ahnen kann. Denn natürlich geht das Raunen nur durch meinem Kopf, aber irgendwie fühle ich, dass es bei den anderen auch so ist.
Obwohl es eine digitale StuPa-Sitzung ist, ist es letzten Endes also eine ganz normale. Der wichtigste Unterschied ist vielleicht nur dieser: Statt auf den unbequemen Klappstühlen im Hörsaal zu sitzen, stehe ich in meiner Küche. Und koche beim Debattieren und Zuhören nebenbei zusammen mit einem Freund das Abendessen.
Hier findet ihr alle Einträge im Corona-Tagebuch von Katharina und Fabian.
Fabian P. Dahinten und Katharina Körber studieren Architektur an der Hochschule Darmstadt. Im Wechsel schreiben sie für das DAB dieses Corona-Tagebuch
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