Suffizientes, genügsames Low-tech-Bauen gewinnt unter Architekten immer mehr Anhänger. Da kommt ein anschaulich gestalteter, profund recherchierter Bildband über traditionelle Bauweisen gerade recht. Besser wäre von „vernakulärem“ oder „anonymem“ Bauen zu sprechen, denn das „Traditionelle“ lässt heutzutage eher an historistische Stile denken.
Bauten ohne Baumeister
Ohne Baumeister entstanden, aus lokalen Kulturen und Ressourcen entwickelt, faszinieren anonyme Haustypen heute wieder die Gestalter, weil sie aus der Begrenzung sinnfällige Lösungen finden. Diese unterlagen zwar auch einem Wandel, hatten aber im Vergleich zu heutigen ortsunabhängigen Strukturen als Typen sehr lange Bestand.
Christian Schittich lenkte bereits als langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift Detail den Blick immer wieder auf überkommene Konstruktionen, und er bereiste und fotografierte daraufhin viele der Regionen der Welt, um solche selbstverständlichen Lösungen zu dokumentieren.
Zwischen Alpen und Asien
Für diesen Band hat er Bauforscher und Architekten in 32 Kapiteln den Reichtum des regionalen Bauens beschreiben lassen: Historisch vielleicht etwas unlogisch, widmet sich das erste Viertel des Buches europäischen Hausformen wie dem Hallenhaus oder dem Engadiner Haus, um dann den Schwerpunkt des Buches in Asien zu setzen, von Syrien über Tibet, Indien und Chinas Provinz Fujian bis Japan, wo zum Beispiel der Wiener Holzbau-Professor Klaus Zwerger kundig und lebendig über die Minka-Häuser referiert. In deren effizienter Flächennutzung wurzelt für ihn, dass die Japaner bis heute nur halb so viel Wohnraum beanspruchen wie wir im Westen.
Lehmbauten, Baumhäuser, Zelte
Ähnlich engagiert schreiben der Münchener Architekt und emeritierte Stuttgarter Bauko-Professor Jürgen Adam und die Architektin Sophie Karst über die Lehmbautypen des südlichen Marokko. Auch Ozeanien, Amerika und Subsahara-Afrika kommen, vielleicht etwas selektiv, zu ihrem Recht – sogar Baumhäuser und nomadische Zeltstrukturen finden Beachtung. Da möchte man gleich auf Besichtigungstour gehen – solange diese eindrucksvollen Bauten noch stehen.
Erfahrungsschatz sichern
Denn der Schatz an Erfahrungen, der in traditionellen Bauten gespeichert ist, droht vielerorts verloren zu gehen. Ein Haus sei weit mehr als seine Form, schreibt Schittich in seiner Einleitung. Und mit den Lebensweisen verschwinden meist auch die Bautechniken, auch wenn sie noch so optimal zu Klima und Topografie passen. Hier die wichtigsten Kenntnisse zu sichern und für ein selektives Lernen aufbereitet zu haben, ist das große Verdienst dieses Buches.
Christian Schittich (Hg.)
Traditionelle Bauweisen
Ein Atlas zum Wohnen auf fünf Kontinenten
Birkhäuser, 2019
384 Seiten, 79,90 Euro
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