Von Heiko Haberle
Seit Juli ist die Verlängerung der U5 zwischen Alexanderplatz und Hauptbahnhof mit ihren drei neuen Bahnhöfen komplett. Fängt man von Westen an, ist der Kreuzungsbahnhof „Unter den Linden“ von Hentschel Oestreich der unspektakulärste. Er bleibt aber wegen seiner hohen Bahnsteighalle, die bis kurz unter die Straßenoberfläche reicht, im Gedächtnis. Ansonsten ist hier mit Jahrzehnten Verspätung eine sehr „deutsche“ beziehungsweise berlinerische Architektur der 2000er-Jahre entstanden: solide und mit guten Materialien aber wenig einprägsam – ähnlich wie auf der ebenso von Hentschel Oestreich geplanten und bereits 2009 eröffneten Station „Brandenburger Tor“.
Der U-Bahnhof "Museumsinsel" mit seinem Sternenhimmel nach dem Vorbild Schinkels (Klicken für mehr Bilder)
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Der U-Bahnhof Museumsinsel von Max Dudler
Ganz anders auf den Bahnhöfen „Museumsinsel“ und „Rotes Rathaus“, die ebenfalls schon eine Planungsgeschichte mindestens seit den 2000er-Jahren haben. Dass diese trotzdem nicht veraltet wirken, liegt an starken architektonischen Motiven. Die Station „Museumsinsel“ etwa definierte der Architekt Max Dudler als „Kulturbahnhof“, der auf den Besuch der Museumsinsel, der Staatsoper oder des Humboldt Forums einstimmen soll. Die Gleise überspannte er mit einem tiefblauen Nachthimmel mit funkelnden Sternen – nach Karl Friedrich Schinkels legendärem Bühnenbild für die Zauberflöte von 1816. Max Dudlers Konzept, 20 Meter unter der Erde genau „das Fehlen natürlichen Tageslichts“ in der „ewigen Nacht“ zu thematisieren, scheint nachvollziehbar, aber irgendwie auch gewagt. Versuchen doch andere U-Bahnstationen, wie etwa die der viel gelobten Düsseldorfer Wehrhahn-Linie, das Tageslicht oder zumindest ein Gefühl davon irgendwie in die Tiefe zu lenken.
Ein Sternenhimmel nach Karl Friedrich Schinkel
Max Dudlers Idee geht jedenfalls auf: Das schließlich gefundene Ultramarinblau fasziniert, weil die gewölbte Decke als materielle Begrenzung verschwindet. Die Blicke versinken in der Unendlichkeit des Sternenhimmels aus 6662 Lichtpunkten. Jeder Blick und jedes Foto wirken unweigerlich wie ein Kunstwerk, das durch die gelben U-Bahnen nicht weniger reizvoll wird. Nicht so recht passen will aber der dunkelgraue Kösseine-Granit, der auch alle Zugänge auskleidet und dessen Bezug zu Schinkel unklar bleibt. Der Kontrast zum Blau wäre mit roten Ziegeln wie an Schinkels Bauakademie, einem beigen Sandstein wie am Humboldtforum oder schlicht Weiß wie in der Schinkelkirche Neuhardenberg (ebenfalls mit blauer Sternendecke) womöglich noch eindrucksvoller geworden.
Beleuchtung contra Kunst
Der nachvollziehbare Wunsch nach möglichst wenigen ergänzenden Einbauten hat wohl zu sehr vielen, in die Pfeiler eingelassenen vertikalen Lichtleisten geführt, was zu einer leichten Überstrahlung des Bahnhofs und des Sternenhimmels beiträgt sowie das baubegleitende Kunstkonzept (statt Werbung!) an den Hintergleiswänden vereitelt: Die Leuchten spiegeln sich in den Glasoberflächen der sehenswerten großformatigen Fotos von Stefan Müller und Philipp Arnold, die architektonische Details der Museumsinsel zeigen.
Der Bahnhof liegt direkt vor dem Humboldt Forum, rechts,... (Klicken für mehr Pläne)
Ingenieurtechnische Superlative leider versteckt
Schade ist auch, dass fast nirgends etwas von den ingenieurtechnischen Superlativen des Bahnhofs zu spüren ist: Das Erdreich war zunächst gefroren worden, damit der Bahnhof in 20 Metern Tiefe im Grundwasser, unter dem Spreekanal und umgeben von historischer Bausubstanz gebohrt werden konnte (Video-Dokumentation der Bauarbeiten). Wer das Glück hatte, einmal die Baustelle mit ihrer kathedralenhaften Zugangs-Baugrube zu besichtigen, wundert sich doch, warum diese offensichtlich weitgehend mit granitverkleideten Gängen, Treppen und Technikräumen ausgefüllt wurde, anstatt die unterirdische Halle zu belassen und zum Beispiel die Treppen offen hinunterzuführen (womöglich unter einer blauen Sternenkuppel). So ist nur an dem merkwürdig ungeplanten Übergang von Bahnsteig und Tunneleinfahrt noch etwas von den früheren Dimensionen zu erahnen.
Klaustrophobische Kolonnade
Lässt man die zweifelsfrei verführerische blaue Decke beiseite, entsteht trotz der hellen Ausleuchtung der Eindruck einer etwas klaustrophobischen Kolonnade, deren dicke Pfeiler die beengte bauliche Situation noch verstärken und die konstruktiv so wuchtig gar nicht nötig waren. Ja, der Bahnhof liegt in einer niedrigen Dreifachröhre und ist auf Effekte angewiesen, um größer zu wirken. Aber warum wurde die Situation mit so viel Trockenbau und dunklem Naturstein noch weiter verengt, statt Architektur aus der reizvollen Dreifachröhre zu schaffen (siehe Querschnitt)? Auch hier war der Rohbauzustand der Röhren und des Bahnhofs räumlich interessanter und großzügiger. Jetzt fühlt man sich trotz des Himmelszeltes genau dort, wo man ist: 20 Meter tief in der Erde, wenn nicht noch tiefer.
Vielleicht zu viel aufgeräumt
Dass der Bahnhof sehr aufgeräumt ist, tut zwar dem Auge gut, doch letztendlich stößt die Architektur an die Grenzen des Alltäglichen. So strahlen in der zentralen Kolonnade weithin sichtbar die BVG-Notrufsäulen, während Sitzbänke, Papierkörbe und Fahrkartenautomaten zwischen den Pfeilern platziert wurden. Dort findet man sie zwar auch schnell, doch sorgt die Übersichtlichkeit auch für eine gewisse Unübersichtlichkeit. Ähnlich äußert sich der stellvertretende Vorsitzende des Berliner Fahrgastverbands Jens Wieseke im Tagesspiegel. In weniger prominenter Lage wäre dies ein „Angstraum“, so Wieseke. Auch sind die granitverkleideten und ebenfalls mit zu vielen vertikalen Lichtleisten ausgestatteten Zugänge unnötig leer. Hier hätten mehr Pragmatismus und mehr touristische Infrastruktur wie Stadtpläne und Fahrkartenautomaten nicht gestört.
Der U-Bahnhof Rotes Rathaus von Collignon Architektur
In vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil ist der U-Bahnhof „Rotes Rathaus“ von Collignon Architektur: Außenbahnsteige statt Mittelbahnsteig, eine hohe und übersichtliche Halle statt Sequenzen von Gängen, Kolonnaden und Röhren, Dynamik statt Massivität. Den direkt unter der Straßenoberfläche liegenden Bahnhof hat man schon wenige Schritte unter der Erde verstanden, weil durch schräggestellte Glasflächen in der Zwischenebene der Blick hinunter in die 115 Meter lange und bis zu 40 Meter breite Bahnhofshalle fällt.
Fahrgäste subtil lenken
Die Gleise haben hier sowohl ein leichtes Gefälle als auch eine leichte Kurve, was dem Bahnhof einen hintergründigen Schwung verleiht. Dieser wird bis in die Zugänge fortgesetzt, wo mit schräg angeschnittenen Wänden und ausgerundeten Ecken die Wege der Fahrgäste vor- beziehungsweise nachgezeichnet werden. Für die Wandbekleidung aus Terrazzoplatten bedeutete das allerdings Sonderanfertigungen für etwa 260 Quadratmeter (von insgesamt 2400 Quadratmetern). Dafür wurden textil bewehrte Betontafeln in Übergröße hergestellt, mit CNC-Fräsen auf das Format der Platten beschnitten und in mehreren Arbeitsgängen feingeschliffen. Das sind aufwändige, aber lohnende Details, lenken sie doch Fahrgäste subtil und verdeutlichen die Dynamik des Entwurfsthemas.
Inspiration Gotik
Für Architekt Oliver Collignon war aber auch die Gotik eine Inspiration: „Mich haben die gotischen Kreuzgewölbe der Tuchhalle des alten Rathauses inspiriert“. Reste der Halle waren bei den archäologischen Grabungen vor dem Baustart gefunden worden. Sie sollten in Zukunft in einem „archäologischen Fenster“ im Bahnhof gezeigt werden, wie Oliver Collignon findet.
Vereint sind das gotische Prinzip des lesbaren Lastabtrags und das Motiv der Dynamik des Verkehrs in den sieben Pilzkopfstützen zwischen den Gleisen. Auf den ersten Blick kreisförmig, sind sie tatsächlich elliptisch, als wären sie vom Tempo der U-Bahnen mitgerissen worden. Die Betonschalung für die zweiachsig gewölbten Stützenköpfe war nur mit Schiffsbautechnik herstellbar.
Von oben nach unten gebaut
Gebaut wurde übrigens von oben nach unten: Im Inneren eines durch Schlitzwände und provisorische Zwischendecken stabilisierten Volumens wurden die Stützenköpfe zunächst im Erdreich betoniert, dann darüber die Deckenplatte gegossen. Darunter wurde das Erdreich anschließend ausgehoben, sodass die Stützenköpfe an der Decke hingen und erst im Anschluss ihre Säulen darunter erhielten.
Werbefreie Bahnhöfe
Die entstandene kathedralenhafte Halle ist architektonisch stark genug, um auch das Standard-Mobiliar der BVG aus Fahrkartenautomaten, Schautafeln und Mülleimern gut auffindbar zu integrieren. Dass die BVG – von eigenen Medien abgesehen – in beiden Bahnhöfen auf Werbung verzichtet hat (auch ein Erfolgsrezept der Düsseldorfer Wehrhahn-Linie), ist für die Architektur gar nicht hoch genug zu bewerten. Ohne dass man es sofort benennen könnte, bemerkt man doch angenehm unterschwellig, dass beide Bahnhöfe aufgeräumter sind, als ihre alltäglicheren Pendants. Fast möchte man schon von Aufenthaltsqualität sprechen.
Zum Bau des Tunnels und der Bahnhöfe gibt es eine umfangreiche Foto-Dokumentation der BVG Projekt Gmbh.
Zahlen und Planungsbeteiligte
Baukosten: 525 Mio. Euro für den Tunnel zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor inklusive der Bahnhöfe „Rotes Rathaus“, „Museumsinsel“ und „Unter den Linden“
Bauherr: BVG Projekt GmbH
Ingenieurleistung und Bauleitung: Planungsgemeinschaft U5
U-Bahnhof Museumsinsel
Architektur: Max Dudler
Rohbauplanung: SSF Ingenieure
Tragwerkplaner: Pichler Ingenieure GmbH, Ingenieurbüro Meister
Lichtplanung: High Light
Ausführung: Implenia
Ausbau: Bleck & Söhne
U-Bahnhof Rotes Rathaus
Architektur: Collignon Architektur
Lichtplanung: LichtKunstLicht
Ausführung: Porr Deutschland
Projektpartner:
BNB Beton- und Naturstein,
Glasbau Gipser,
JanKo Metallbau,
ATB Aufzugstechnik,
we-ef Leuchten
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