Von Simone Kraft
Dass man Städten, Metropolen zumal, am schönsten im Vorbeilaufen begegnet, ist seit Walter Benjamins Ode an das Flanieren nichts Neues mehr. Fassaden, Straßen, Menschen, Restaurants, Plätze, Märkte, Verkehr … Sie alle spielen zusammen und machen urbanes (Er-)Leben erst aus. Neu sind solche Aufzählungen nicht, das Nachdenken darüber, was städtisches Leben prägt, hat im vergangenen Jahrhundert nicht zuletzt viele Künstler*innen beschäftigt.
Poller und Kanaldeckel als Wahrzeichen
Was jedoch meist fehlt in solchen Annäherungen an die Stadt, seien sie nun sprachlich-literarisch oder künstlerisch-fotografisch, und dabei doch ganz wesentlich ist für das Gesicht einer Stadt, sind die kleinen belanglosen Funktionsbauten und -objekte, die sich fast unsichtbar im Stadtraum finden, Poller und Stadtmöbel etwa, aber auch Straßenbeläge, Gehwegkanten oder Kanaldeckel. Mikroarchitekturen, nennt Vittorio Magnago Lampugnani sie, Objekte und urbane Elemente. Sie prägen die Wiedererkennbarkeit einer Stadt mindestens ebenso wie die bekannten Wahrzeichen – und den ganz normalen Alltag noch viel mehr.
Superkilen würde Lampugnani gefallen
Wer schon einmal den Kopenhagener Superkilen besucht hat, kann die Faszination für solche vermeintlich bedeutungslosen Objekte nachvollziehen. Dort nämlich sind Papierkörbe, Mülleimer, Laternen, Bänke, Gulli-Deckel aus aller Welt eingebaut. Wer über den Platz läuft, begibt sich auf eine kleine Entdeckungsreise um die Welt und durch die Vielfalt der ganz alltäglichen urbanen Zweckarchitekturen.
Toiletten und Telefonzellen mit Geschichte
In seinem Buch hat Lampugnani 22 dieser urbanen „Belanglosigkeiten“ herausgesucht, deren Geschichte er viele Jahre erforscht hat. Er erzählt uns den Werdegang von Mikroarchitekturen wie der öffentlichen Toilette (und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen) oder der Telefonzelle, von Objekten wie dem Abfallkorb, dem Hausnummernschild und der Ampel, von urbanen Elementen wie Bürgersteig, Bodenbelag und Schachtdeckel.
Oft schon beginnt dies in der Antike, als viele Gegenstände zum ersten Mal zu beobachten waren, und führt bis in die Gegenwart, in der vielfach die Ästhetik früherer Zeiten verloren gegangen zu sein scheint. (Allerdings: Vorsicht beim allzu verklärt-wehmütigen Blick zurück auf historische Fotografien – die wirklich versifften Ecken hat man damals wohl genauso wenig fotografiert wie heute …)
Einmal von Lampugnani darauf gebracht, entdeckt man auch beim Gang durch die eigene Stadt überall bedeutsame Belanglosigkeiten: Fahrradständer, Strommasten, Bauzäune, … – wie wäre es mit einer Fortsetzung?
Vittorio Magnago Lampugnani
Bedeutsame Belanglosigkeiten
Kleine Dinge im Stadtraum
Wagenbach, 2019
192 Seiten, 30 Euro