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Zurück Was tun? Diskussionsbeitrag 2

Weniger fahren!

Das Elektroauto droht Energie- und Umweltprobleme zu verschärfen statt zu lösen. Unsere Verkehrsmittel müssen kleiner, leichter und langsamer werden, und unsere Wege kürzer

29.02.20125 Min. 4 Kommentar schreiben

Von Helmut Holzapfel

Die Tuning-Firma „Ruf“ hat einen Strom-Porsche in Arbeit. Es gibt noch ein kleines Problem: Die Beschleunigung von 0 auf 100 konnte bisher nicht unter sieben Sekunden gedrückt werden. Dieser Flitzer ist wie alle E-Autos angeblich emissionsfrei, da die EU-Vorschrift für dieses Zertifikat sagt, es sei unerheblich, wie der Strom erzeugt wird. Kommt die Antriebsenergie dieses Porsche aus dem Nichts?

In manchen Köpfen scheinen das Auto, seine gegenwärtige Form und Nutzung, Ewigkeitswert zu haben. Die aktuelle Mär vom energiefrei bewegten „grünen“ E-Auto zeigt, wie gerne auch offenkundig unsinnige Stories verbreitet und geglaubt werden. Seit Newton spätestens wissen wir, dass es enorme Energie kostet, schwere Massen schnell zu beschleunigen. Als Insassen von zwei Tonnen schweren Aggregaten, in denen wir unsere 80 Kilo von A nach B transferieren, verdrängen wir es. Während bei jedem Öko-Haus schon gefragt wird, wie energieintensiv die Baumaterialien erzeugt wurden, sind wir beim Auto noch zwanzig Jahre im Denkrückstand. Da fragt man nicht mal danach, wie der Strom in die Steckdose kommt.

Nicht näher behandelt wird vorsichtshalber das Auto in der Regel auch bei Siedlungsentwürfen der Zukunft. Eine „Öko“-Stadt mit „Zero-Emission“: Das ist ein beliebtes Szenario, eine Denkaufgabe an Hochschulen, existent gar schon in Plänen und ersten Bauten irgendwo auf der Welt. Was ist da aber mit dem Verkehr, wo bleiben die Autos? Normalerweise kommt der Verkehr in solchen Zukunftsbildern gar nicht vor. Höchstens nach intensivem Suchen entdeckt man Tiefgaragen, Parkplatzanlagen unter Solardächern oder Ähnliches.

Die doppelte Verdrängung des Automobils, sowohl des Ursprungs seiner Bewegungsenergie als auch seine Vernachlässigung in Zukunftsentwürfen, führt zu einigermaßen katastrophalen Ergebnissen. Dabei ist das Setzen auf elektrisches Herumfahren weniger effizient als Investitionen in Einsparungen der Benziner. Das ergab eine aktuelle Studie des Öko-Instituts, die mal nicht an der Steckdose mit dem Denken aufhörte. Das Wuppertal-Institut ging noch weiter und fragte, wie es denn 2050 mit dem Energieverbrauch in Deutschland aussehe. Das Resultat: Geht es mit dem Verkehr mit schweren und schnellen Autos weiter wie bisher, wird er alle Einsparungen in anderen Bereichen mehr als kompensieren – auch wenn sie elektrisch betrieben werden. Für das Herumfahren bräuchte man noch lange Zeit Atomkraftwerke, will man dafür nicht mehr Kohlendioxid in die Luft blasen. Bei diesen Rechnungen sind noch nicht einmal „Elektrorenner“ enthalten und auch nicht die Aufwendungen für neue Infrastrukturen.

Die aufgelockerte Stadt, unsere Siedlungsweise und Einfamilienhäuser im „Grünen“ sind die wesentlichen Ursachen des Herumfahrens – aber nur in Fachkreisen werden sie im Zusammenhang mit dem Autoverkehr diskutiert. Dabei machen es dichte, gemischt genutzte und gut geplante Viertel möglich und angenehm, weniger zu fahren: Die hohe Bewohnerdichte macht Einrichtungen in der Nähe auch ohne Auto erreichbar, ein guter öffentlicher Verkehr ist dort wirtschaftlicher. Leider gibt es solche Viertel fast nur in der „alten Stadt“; Neuentwicklungen wie Tübingens Französisches Viertel sind noch selten. In diesen Gebieten kann und muss ein Motorfahrzeug langsam fahren, und Gehsteige an den Straßen werden nicht nur zum Flanieren interessant, sondern auch für Kommunikation und Aufenthalt. Kurz: Das alte „Leitbild“ der „Generalverkehrsplaner“, die nach dem Krieg die Stadt autogerecht machten, muss endlich weg, statt schneller muss das Motorfahrzeug langsamer werden. Straßen müssen querbar werden, auch die überbreiten „Innenstadttangenten“, Kreuzungen und kleinteilige Netze von Fuß- und Radwegen müssen die Trennung der Verkehrsarten ablösen.

Analysen wie das 2005 im Auftrag des Bundesforschungsministeriums durchgeführte Forschungsprojekt „Evalo“ von zeigen, dass in gemischten Siedlungen dieser Art – ohne jegliche Art von Verboten – etwa 30 Prozent weniger Auto gefahren wird. Verbesserungen des Rad- und öffentlichen Verkehrs erbringen Sparraten des Motorverkehrs von 50 Prozent und mehr. Umbauten bestehender Gebiete (etwa durch Nachverdichtung) sind möglich, ebenso das Entsiegeln von Asphaltwüsten.

Auch Auto geht anders, wenn man nur will: Nicht nur der Antrieb, sondern das ganze Aggregat Auto könnte neu entworfen werden: Wir können und müssen von den Mythen der Beschleunigung und Kraft Abschied nehmen. Leichtere Mobile statt unserer aufgeblasenen Schwergewichte schonen nicht nur die Energiequellen, sondern auch die Opfer von Lärm und potenziellen Unfällen sowie die Straßen unserer Siedlungen. Deren Zerstörung steigt mit der vierten Potenz der Achslast. Solche Fahrzeuge könnten den Energieverbrauch mindestens noch einmal um die Hälfte senken. Mit diesen Sparraten könnte dann auch der Verkehr beim Sparen mit anderen Bereichen mithalten.

Ob die Fahrzeuge nun verliehen oder gekauft werden, welchen Motor sie haben, ob sie auf Ölbasis oder anders fahren, ist fast unerheblich. Sie werden bei gut gebauten und geplanten Siedlungen so oder so weniger genutzt. Das Einfamilienhaus mit Doppelgarage wird nie ein Ökohaus. Dies steht in einer gemischten dichten Siedlung und ermöglicht das Erreichen von Zielen zu Fuß oder mit dem Fahrrad – und ein angenehmes Leben auch ohne Herumfahren. Der doppelten Verdrängung der Probleme des Autos stehen vierfache wirkliche Sparpotenziale entgegen: weniger fahren. Andere Siedlungen bauen. Entmystifizierte, leichtere Fahrzeuge entwickeln. Und schließlich eine andere Nutzung der Verkehrsmittel. Ein wenig Querdenken und andere Handlungsstrategien können diese Potenziale nutzen.

Professor Dr. Helmut Holzapfel leitet das Fachgebiet Integrierte ­Verkehrsplanung/Mobilitätsentwicklung an der Universität Kassel.


Mehr zum Verkehr:

Von Helmut Holzapfel ist soeben das Buch „Urbanismus und Verkehr“ erschienen, das die Wechselwirkung zwischen Stadtgestaltung und Verkehr aus technischer, kultur-
h­istorischer und sozialwissenschaftlicher ­Perspektive betrachtet. Verlag Vieweg+Teubner,
106 S., 24,95 €

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4 Gedanken zu „Weniger fahren!

  1. Interessanter Artikel, der aber in totalem Widerspruch zu der Poltitk und den Grundannahmen des Verkehrsministeriums in Berlin steht – kann sich denn da nichts ändern?

    Antworten
  2. Sehr geehrte Damen und Herren,

    der Artikel zu „Weniger Fahren“ von Helmut Holzapfel durchleuchtet glasklar den zeitgenössischen Umgang mit Autos. Den öffentlichen Aufruf, das KfZ öfter stehen zu lassen finde ich super, da er von so vielen Leuten noch nicht wirklich praktiziert wird.

    Leider ist jedoch scheinbar auch das Deutsche Architektenblatt in diesem Dilemma gefangen.

    Schließlich wird in dem Artikel ein „Strom-Porsche“ ironisch dargestellt, dass dieser nicht die notwendige Beschleunigung aufweist, und dass schon seit Newton bekannt ist, „dass es enorme Energie kostet, schwere Massen schnell zu bewegen“.

    Und genau dieser „Denkrückstand von zwanzig Jahren“ ist auf dem rückseitigen Einband des Heftes abgedruckt.

    Das beste Beispiel zum Titelthema Nachhaltigkeit – Werte und Widersprüche!

    Der Porsche Cayenne Diesel spart dank Leichtbau 185 kg Gewicht im Vergleich zu seinen Vorgängermodellen und hat u.a. deshalb 23 % weniger Verbrauch und bis zu 26 % weniger Emissionen, womit er uns ein gutes Gewissen vorgaukeln will.

    „Ein Ganzes Stück weiter kommen“ laut der Porsche-Anzeige würden wir jedoch erst, wie es richtigerweise im Heft steht, wenn der Porsche Cayenne mit 189 g / km CO²-Emissionen des öfteren einmal stehen gelassen werden würde.

    Das würde richtig viele CO²-Emissionen sparen.

    Für die nächste Ausgabe wünsche ich mir konsequenter Weise eine Werbeanzeige von einem Fahrradhersteller!

    Mit freundlichen Grüßen

    Christopher Trepesch

    Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt ByAK, BDLA, Amberg

    Antworten
  3. Anmerkung der Redaktion

    Anzeigen geben die Botschaft dessen wieder, der sie aufgibt, aber nicht den Standpunkt der Architektenkammern oder der Redaktion. Das ist insofern genau wie bei Leserbriefen. Und genau wie hier kann es zwischen den Botschaften auch Widersprüche geben – so ist die Welt. Wir finden das viel besser, als wenn existierende Widersprüche verschwiegen oder verbal verniedlicht würden. Im Übrigen zeigt das Beispiel, dass bei uns Redaktion und Anzeigenabteilung unabhängig voneinander sind und keiner dem anderen in die Inhalte hineinredet.

    Antworten
  4. Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich finde es sehr gut , das Mobilität und Klimaschutz unter dem Aspekt „einfach weniger fahren“ beleuchtet wird. Auch ich suche nach Wegen, den Klimaschutz im Alltag im Bewusstsein der Bürger zu verankern, denn die Bequemlichkeit des Autos zu überwinden ist doch sehr schwierig, denn das Auto scheint im Bewusstsein als Lebensnotwendigkeit schier verankert. Was in der öffentlichen (auch fachlichen) Diskussion bisher jedoch kaum Beachtung findet, ist der Verlust der Straße als Bewegungs-, Kommunikations- und Integrationsraum gerade für unsere Kinder. Es wird wohl über den heutigen Bewegungsmangel der Kinder und seine Folgen auf die kindliche Entwicklung sowohl gesundheitlich als auch bezüglich der Bildung diskutiert, aber kaum darüber, dass das Auto den natürlichen Lebensraum der Kinder zerstört hat. Das Auto ist eine zutiefst kinderfeindliche Technik:
    Es nimmt Besitz von unzähligen privaten Blockinnenbereichen, von öffentlichen Straßen und Plätzen. Über 30.000 Kinder verunglücken jährlich innerorts auf deutschen Straßen. Dass kinderfeindliche Räume auch zu einem Rückgang der Geburtenzahlen führen, ist eine logische Konsequenz. Wohnungsnahe Bewegungsflächen für Kinder (und alte Menschen) dürfen keine Frage des Geldes sein. Konsequente kommunale Parkraumbewirtschaftungskonzepte müssen dafür sorgen, dass der Raum zwischen den Gebäuden den sozialen zwischenmenschlichen Bedürfnissen dient. Er ist der soziale Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.
    Mit unserem Grundschulprojekt „Ich bin ein Klimaheld: Wer geht – bewegt!“ versuche ich die Belange des Klimaschutzes und der Kinder in das Bewusstsein der Bürger zu rufen.
    Dipl. Ing. (FH) Stephanie Esch, Freie Stadtplanerin Akbw

    Antworten

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