Interview: Lars Klaaßen
Herr Hastrich, in den Ballungsräumen ist die Nachfrage nach Wohnraum derzeit deutlich größer als das Angebot, die Preise gehen durch die Decke. Muss ein Projektentwickler da noch eine Umfrage zum Thema Wohnwünsche machen?
Weil die Quadratmeterpreise in den Städten deutlich anziehen, geht der Trend dort zu kleineren Wohnungen. Gerade wenn Raum begrenzt vorhanden ist, spielt die Qualität der Wohnung eine umso größere Rolle. Damit stellt sich auch die Frage: Welche Bedürfnisse und Wünsche lassen sich in welchem Maße durch eine gute Immobilie erfüllen? Je konkreter wir wissen, was potenzielle Käufer wollen, desto passender können wir unsere Angebote gestalten. Als das Thema Homeoffice mit den Corona-Einschränkungen im Frühjahr 2020 zunehmend diskutiert wurde, hatten wir die Idee, speziell da mal genauer nachzufragen: Für wen ist das in einer Wohnung oder in einem Eigenheim in welcher Form relevant? Was sollte einerseits ein Zuhause in dieser Hinsicht leisten können? Inwiefern verändern sich andererseits Anforderungen an künftige Bürogebäude?
Wohnwünsche: Nur wenige wollen ein vollwertiges Homeoffice
Welche Rolle spielt das Homeoffice in der Umfrage angesichts der Corona-Einschränkungen?
Die Ergebnisse haben uns überrascht. Wir hatten erwartet, dass Wohnungskäufer dem Arbeitsplatz im Homeoffice mehr Bedeutung geben. Aber ein heimischer Arbeitsplatz in Form eines separaten Büros in der eigenen Wohnung ist für nur 23 Prozent der Wohnungskäufer von großer Bedeutung. 28 Prozent gaben an, dass sie schon einen Platz zum Arbeiten finden würden. Für 37 Prozent ist ein eigener Homeoffice-Platz nicht von Bedeutung, da Homeoffice nicht möglich ist. Etwas mehr als drei Viertel aller Wohnungskäufer benötigen somit kein eigenes Büro im Eigenheim. Es gibt jedoch regionale Unterschiede. So ist ein separater Raum für 30 Prozent der Berliner, Bremer und Hessen von großer Bedeutung. Generell zeigt dies, wie flexibel von zuhause mit Mobiltelefon, Laptop und entsprechender Video-Konferenzsoftware gearbeitet werden kann, solange eine gute Internet-Verbindung vorhanden ist.
Ändert sich durch gewandelte Lebensverhältnisse die Nachfrage nach bestimmten Grundrissen?
Der größte Wandel in Wohnräumen vollzieht sich schon seit über zehn Jahren: Egal ob kleines Apartment oder große Wohnung, die Leute wollen eine zum Wohnbereich offene Küche haben. Kochen und essen rücken stärker in den Mittelpunkt. Die kleine separate Kochküche passt da nicht mehr. Für eine größere Wohnküche wiederum, separat vom eigentlichen Wohnzimmer, bedarf es einiger zusätzlicher Quadratmeter. Aufgrund steigender Preise kalkulieren viele hier etwas knapper. Der Trend geht ohnehin zu kleinteiligen Grundrissen. Dass Käufer einer Wohnung mit 100 Quadratmetern Fläche darin eine offene Struktur mit lediglich zwei abgetrennten Zimmern wünschen, ist eher die Ausnahme.
Wohnwünsche: 72 Prozent wollen innovative Architektur
Bleibt da noch Platz für architektonische Freiheiten?
Ja, in dem Sinne, dass Architektur Freiheiten ermöglichen soll. Wichtig ist den meisten Käufern, dass eine Wohnung grundsätzlich flexibel ist. Aber trotzdem wollen nur rund 33 Prozent der Wohnungskäufer beim Erwerb einer Neubauwohnung noch Einfluss auf den Grundriss nehmen können. Daneben sind ihnen auch Architektur und ansprechend gestaltete Freiflächen besonders wichtig. So legen 72 Prozent der befragten Wohnungskäufer Wert auf eine innovative Architektur oder auf einen guten Gesamteindruck des Hauses und der Wohnanlage. Mit einer gesichtslosen Architektur werden sie Wohnungskäufer also nicht erreichen. Der Wunsch nach anspruchsvoller Architektur und attraktiven Freiflächen sowie individuellen Ausbaumöglichkeiten zeigt, dass sich Wohnungskäufer in einem hohen Maß mit ihrer Immobilie identifizieren möchten.
Bedeutet Identifikation mit einem Haus, dass ein bestimmter Stil gewünscht wird?
Die Geschmäcker sind da unterschiedlich. Die einen mögen es klassisch, mit Ornamenten und Stuck. Andere suchen etwas dezidiert Modernes. Die Bedeutung der Architektur für Wohnungskäufer nimmt mit zunehmendem Gehalt kontinuierlich zu. Ab einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 3.500 Euro legen bereits 26 Prozent Wert auf eine ansprechende Architektur und entsprechende Details wie Balkon, Art der Fensterprofile sowie verwendete Materialien. Ab einem monatlichen Nettoeinkommen von 5.000 Euro sind es bereits 49 Prozent und ab 10.000 Euro 66 Prozent.
Wohnwünsche: Energieeffizienz ist wichtiger als Smart Home
Welche Rolle spielt in der Umfrage das Umfeld jenseits der Wohnungstür?
Für ansprechend gestaltete Freiflächen vor dem Gebäude oder im Hof würden 31 Prozent sogar die Mehrkosten beim Wohnungskauf tragen. Insgesamt legen 68 Prozent der Befragten Wert auf ansprechend gestaltete Freiflächen, davon wollen 37 Prozent jedoch die Mehrkosten nicht tragen.
Welche Bedeutung haben Nachhaltigkeit und Smart Living?
Befragt nach den wichtigsten Kauffaktoren beim Erwerb einer Eigentumswohnung hoben die Befragten die Lage und Nachhaltigkeit hervor. Eine nachhaltige Bauweise, beispielweise durch Energieeffizienz, ökologische Materialien, Vorhandensein von Elektro-Ladesäulen oder durch gute Wärmedämmung, ist für 66 Prozent wichtig oder sehr wichtig. Smart Living spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Smarte Steuerung von Licht und Wärme und die Vernetzung innerhalb der Wohnung zum Beispiel, sind für nur sieben Prozent sehr wichtig und für 25 Prozent wichtig.
Gunther Hastrich ist Architekt, Gründer und Geschäftsführer von Archigon. Das in Berlin ansässige Unternehmen für Projektentwicklung und Baubetreuung entwickelt und realisiert Wohn- sowie Gewerbebauten.
YouGov, eine internationale Data and Analytics Group, hat im Auftrag von Archigon eine repräsentative Befragung bei Käufern von Wohnimmobilien durchgeführt, die bundesweit 2.100 Personen umfasste.
Weitere Umfragen mit Zahlen zu Corona, Umzugswünschen und Homeoffice
Balkon und Homeoffice wichtiger
Dass sich bei den Deutschen einige Prioritäten rund ums Wohnen während der Corona-Zeit deutlich verschoben haben, zeigt das Wohnbarometer von Dornieden. Bei dieser repräsentativen Forsa-Umfrage gaben 65 Prozent der Befragten im Alter von 25 bis 69 Jahren an, dass eine eigene Terrasse und ein eigener Garten für sie deutlich wichtiger geworden sind – unabhängig davon, ob sie derzeit über diese Ausstattungen verfügen. Auch der Balkon hat dieser Erhebung zufolge einen höheren Stellenwert als noch vor Corona: Für jeden zweiten der Bundesbürger (50 Prozent) sei er bedeutsamer geworden, um sich auch zu Hause an der frischen Luft aufhalten zu können. Ein höherer Stellenwert als bei der Archigon-Umfrage wurde dort dem separaten Homeoffice eingeräumt. Laut Dornieden legen aufgrund der Corona-Situation 43 Prozent der Befragten mehr Wert darauf – insbesondere diejenigen mit Kindern im Haushalt (53 Prozent).
Mieter loben Nachbarschaft
Für den „Servicemonitor Wohnen 2020“ wiederum befragte Analyse & Konzepte immo.consult Mieterinnen und Mieter aus ganz Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Insgesamt gaben 14 Prozent der erwerbstätigen Befragten an, dass sie innerhalb der nächsten zwei Jahre auf jeden Fall umziehen werden, unabhängig davon, ob sie im Homeoffice arbeiten oder nicht. Anders sieht es bei den Familien aus. 17 Prozent der erwerbstätigen Mieterinnen und Mieter, die mit ihrer Familie zusammenleben und im Homeoffice arbeiteten, gaben an, dass sie innerhalb der nächsten zwei Jahre auf jeden Fall umziehen möchten. Wenn nicht im Homeoffice gearbeitet wurde, lag dieser Wert nur bei 8 Prozent. Einen Vorteil hat die Homeoffice-Erfahrung aber auch: 33 Prozent der Familien, die von zu Hause aus arbeiten mussten, sagten laut Service-Monitor, dass die Nachbarschaft besser geworden sei. Von den Familien, die nicht im Homeoffice waren, stimmten nur 13 Prozent dieser Aussage zu.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu:
Anmerkung zur Wohnanlage in Berlin (Bouchégärten): Schöne Anlage mit vielen interessanten Gedanken und Gestaltungselementen (soweit aus Photos und kleinen Anmerkungen erkennbar). Zwei Anmerkungen: Leider fehlt ein Dachgarten bzw. ein gemeinsame Aufenhaltsfläche sowie Solaranlagen auf dem Dach und zweitens: Man hätte die Gebäude komplett auch aus Holz herstellen können/sollen.