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Autoproduktive Stadtlandschaft

Die Staus im Ruhrgebiet sind schlimm genug. Aber jetzt kommen Künstler und überhöhen sie ästhetisch

30.06.20142 Min. Kommentar schreiben
Illustration: Ernst Merheim
Illustration: Ernst Merheim

Text: Roland Stimpel

Seit nunmehr 88 Jahren wird am sogenannten Ruhrschnellweg geplant und gebaut, verbreitert, überbrückt und untertunnelt. Theoretisch wird er immer autofreundlicher; praktisch lockt er mit jeder Ausbaustufe mehr Fahrer in die Staufalle. Täglich stellt der Verkehrsfunk seinen Sinn infrage. Je langsamer der Schnellweg, desto mehr hauptberufliche Sinnstifter möchten dem Betonband eine höhere, am liebsten ästhetische Aura verleihen. Darum bemüht sich zum Beispiel ein Gestalthandbuch, mit dessen Hilfe der Stop-and-go-Fahrer die Straße „als Bühne der Region erleben“, „städtische Vielfalt“ und „inszenierte Zugänge genießen soll“. Die Mittel sind vor allem grün: abgasfeste Säuleneichen, an der Seite „vegetative Rippen“ und „farblich dezente, im grünen Farbspektrum gestaltete Lärmschutzwände“.
Aber das reicht noch nicht. In diesem Sommer macht sich ein Verbund namens „Urbane Künste Ruhr“ über die Straße her, veranstaltet an der A 40 ein Spaghettiessen neben dem Spaghettiknoten von Duisburg-Kaiserberg, einen „Boxenstop bei Gott“ an der Autobahnkirche sowie ein „diskursives Picknick zur energetischen Lage des Ruhrgebiets“. Damit das niemand zu locker nimmt, intellektualisieren es die Urbankünstler in einem Text, der noch länger und zäher ist als jeder Ruhrgebiets-Stau. Das Werk durchquert ein „polypolitisches Feld“ und eine „diskursive Schnittstelle“; es fragt die Wiese hinter der Leitplanke: „Können sich sogenannte ,Vernakuläre Landschaften‘ eigene Ziele setzen?“ Es besingt „Kooperationen auf Augenhöhe zwischen Kunst und Kontext, Interdisziplinarität und Kontinuität“. Und zum Finale lobt es die „autoproduktive Stadtlandschaft als sich stetig eigenständig entwickelnder Organismus, der sich selbst aktualisiert und die interdisziplinäre Arbeit von Kunst, Kontext, Bevölkerung und Stadtplanung in eine neue Zukunft führt“.
Ach ja, die Bevölkerung. Sie hat schon ganz anderen Smog überlebt. Unbeeindruckt vom Ausstoß der verbalen Heißluft harrt sie aus, zumal sie weiß: „A 40 – woanders is auch scheiße.“ Das sagt ein Autoaufkleber, der hier gern durch den Stau kutschiert wird. In feinerem Hochdeutsch: Urbankünstler sind leider überall.

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