Text: Nils Hille
Er kann reden, verdammt viel reden – und er mag das. Natürlich, das sollte er sicher auch können und mögen als Oberbürgermeister. Doch Ullrich Sierau, Dortmunds Stadtspitze, erfüllt damit trotzdem kein Politikerklischee. Er braucht nur ein Stichwort, sagen wir „Planungskultur“ oder „Masterplan“ oder „Stadtentwicklung“, schon legt er los und hört kaum wieder auf, zu reden. Dabei stattet der Sozialdemokrat seine Sätze aber nicht mit leeren Worthülsen und Füllwörtern aus. Stattdessen bringt er lieber Zahlen und Fakten, rattert Beispiele von Bauprojekten und aus Stadtteilen nur so herunter. Sierau merkt sich anscheinend sämtliche Namen von Architekten, Investoren und Kritikern der letzten Jahrzehnte. „Weißt du noch, das war damals unter …“ oder „Kannst du dich noch erinnern, wie wir da mit 500 Bürgern diskutiert haben und einer aufstand und sich beschweren wollte …“, ruft er zwischendurch seinem Pressesprecher zu. Als der gerade mal genickt hat, ist Sierau schon bei der nächsten Episode der Dortmunder Stadtentwicklung angelangt.
Lässt man den 57-jährigen Vater dreier Kinder diese Stadtgeschichten einfach erzählen, wird es nicht so schnell langweilig, trotz der scheinbar trockenen Begriffe: Mit einem Flächennutzungsplan, Stadtbezirksentwicklungskonzepten und zahlreichen Masterplänen ist in den vergangenen Jahren viel entstanden. Dazu kommen aktuell immer wieder neue Büro- und Einzelhandelsbauten in der Innenstadt, der im Juli erfolgte Spatenstich für ein erstes Gebäude des neuen Logistikparks auf dem riesigen, größtenteils brachliegenden Gelände des Schwerindustriestandorts Westfalenhütte und nach und nach immer mehr bauliche Entwicklungen am Phoenix-See. Überall ist Sierau engagiert und involviert – und über alles auch bestens informiert.
Damit will er aber nicht allein sein. Und so wiederholt er immer wieder ein Wort, wenn er begeistert von den Projekten spricht: Beteiligung. „Es gibt einen hohen Sachverstand in der Bevölkerung. Wieso sollten wir den nicht für die Entwicklung von Dortmund nutzen?“, sagt Sierau. Schon im Studium der Raumplanung in Dortmund und des Planning in Oxford in den Jahren 1976 bis 1982 sei ihm bewusst geworden, dass alle Beteiligten und Betroffenen einer Baumaßnahme frühzeitig zu Wort kommen sollten. Dieser Haltung blieb er bis heute genauso treu wie der Stadt Dortmund. Nach seinem städtebaulichen Referendariat beim Land Nordrhein-Westfalen und neun Jahren im dortigen Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr kehrte Sierau wieder in die westfälische Metropole mit rund 570.000 Einwohnern zurück. Als Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung kümmerte er sich um diese Themen aus der Stadt heraus noch für ganz NRW. Von 1999 an konzentrierte er sich, erst als Planungsdezernent, dann als Stadtdirektor, nur noch auf Dortmund. Und auch seit seiner Wahl zum Oberbürgermeister vor vier Jahren und einer vor drei Jahren durchgeführten Wiederholungswahl, die ihn im Amt bestätigte, blieb der SPD-Politiker den Themen treu: „Wir müssen die Menschen der Stadt in Planungsprozesse einbinden. Anders geht es nicht, wenn ich eine große Akzeptanz in der Bürgerschaft und auch sichere Mehrheiten im Stadtrat erzielen will.“
Begleitprozesse, runde Tische, Fachforen – bei verschiedenen Veranstaltungsformen könnten die Anwohner und Interessengruppen ihre Meinungen äußern und Fragen stellen, so Sierau. „Wir hören uns alle Ideen, Wünsche und sachliche Kritik an. Dann arbeiten wir, wenn nötig und möglich, zum Beispiel Stadtteilentwicklungspläne noch einmal um.“ Das schaffe gleich auch mehr Rechtssicherheit sowie mehr Bauqualität und verursache dadurch weniger Kosten sowie gut gelaunte Beteiligte. Aufgrund dieser Vorteile habe sich schon der ein oder andere Investor für Projekte in Dortmund entschieden. Für jedes Engagement ist Sierau dankbar, denn seine Stadt ist immer noch von dem mittlerweile vier Jahrzehnte andauernden Strukturwandel und dem Verlust von insgesamt 80.000 Arbeitsplätzen geprägt. Heute liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 13 Prozent – und ist damit mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt von etwa 5,5 Prozent. Das schlägt auf die Stimmung vieler Bürger.
Angreifer anhören, Kritik kontern
Ihre Reaktionen auf die Beteiligungsmöglichkeiten bei der Stadtentwicklung seien meist positiv, auch wenn sich nicht jeder Kritiker für die Pläne der Stadt begeistern könne. „Alle Interessen zu berücksichtigen, ist einfach nicht machbar, aber wir nehmen die Anliegen der Menschen ernst, auch dadurch, dass wir genaue Einblicke in Prozesse geben.“ Zudem hat Sierau die Anzahl der Wettbewerbe und Gutachterverfahren nach eigenen Angaben deutlich steigern können. Es gibt einen Gestaltungsbeirat und eine Ombudsfrau. Trotzdem bleibt bei einigen Dortmundern die Skepsis. Sie wettern vor allem im Internet gegen den Oberbürgermeister, prangern die Stadtverschuldung von über zwei Milliarden Euro an, genauso wie angeblich katastrophale Zustände in Stadtteilen und Millionengelder für Leuchtturmprojekte wie das „Dortmunder U“. Sierau kontert: „Wir haben als einzige Ruhrgebietsstadt einen genehmigten Haushalt und wir gehen die schwierigen Stadtteile mit Konzepten und konkreten Maßnahmen an. Doch so eine Entwicklung geht nicht von heute auf morgen. Da brauchen wir leider alle Zeit und Geduld.“
Die fordert er auch von den Planer-Kollegen, die Aufträge von der Stadt oder von Investoren bekommen – genauso wie ein gewisses Maß an Flexibilität. „Wer sagt: ‚Ich bin Architekt und entweder mögt ihr meine Pläne oder nicht‘, der wird mich als Kämpfer für die Demokratisierung der jeweiligen Prozesse kennenlernen. Wer sich aber gesprächsbereit zeigt und auf eine hohe Bauqualität pocht, hinter dem stehe ich auch in schwierigen Momenten.“ Und auf eine einzige Frage hat Sierau dann doch eine sehr kurze Antwort. Ob er sich selbst manchmal gewünscht habe, als freier Planer statt als Politiker zu arbeiten? „Nein, auf die Idee bin ich nie gekommen.“
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: