Text: Roland Stimpel
Vergessen wir Blöcke und Zeilen, Quartiere und Mischung, vergessen wir überhaupt alles, was höher als ein Grashalm aus dem städtischen Boden ragt. Jahrhundertelang haben wir verdichtet und erschlossen, haben Äcker in Parzellen zerhackt und mit unnützem Kram zugemüllt – Wohnhäuser, Gewerbebauten, Schulen und so. Die aktuelle Mode verlangt das Gegenteil: ein leeres Tempelhofer Feld in Berlin zum Beispiel, oder in Stuttgart 100 Hektar zentrale Gleisfläche, die für immer Gleisfläche bleiben.
Nach dieser Mode hat jetzt eine urbane Nullnummer den Deutschen Städtebaupreis gewonnen: das, was von dem Städtchen Staßfurt in Sachsen-Anhalt nicht mehr da ist. Dessen historischer Kern mit über hundert Häusern, Rathaus und Stadtkirche versank vor Jahrzehnten in einem Bergbauloch und wurde schließlich abgerissen. Neuerdings schwappt da ein Teich, in dessen Uferpark ein paar Markierungen ans Verlorene erinnern. Dieses landschaftsplanerisch gelungene, von Städtebau aber völlig freie Flachwerk wurde schon 2010 für die Landes-IBA verbal zu Staßfurts „Neuer Mitte“ hochgestapelt, und 2012 legt der Vorsitzende der Städtebau-Jury noch eins drauf: „Das Projekt besticht durch die Einfachheit der eingesetzten Mittel. Ein See bildet die Mitte der Stadt. Er zelebriert die Leere und inszeniert durch die unterschiedlich ausformulierten Uferbefestigungen die natürlichen Schwankungen des Grundwasserstands.“
Weitere Preise erhielten die durch Rasen und Holzstege „thematisierte Leere und Weite in der Stadt“ am Berliner Schlossplatz, garantiert hochbaufreie Uferplanungen an Rhein, Mosel, Main und Emscher, durch die deren Landschaft „ihre spezifische Identität in neuer Qualität erhält“, sowie Vorhaben für den Ruhrschnellweg, die „die Beziehungen zwischen Autobahnen, Stadtdurchfahrten und Landschaftspassagen“ beackern. Dagegen fällt der letzte Preisträger extrem ab: eine modernisierte Siedlung in Köln-Ostheim, die sich schämen muss für ihre Bodenversiegelung, Horizontverbauung und für das Einmauern und Stapeln von Menschen in Häusern. Warum haben sie nicht einfach das Quartier abgerissen? Das hätte den Städtebau-Hauptpreis gebracht.
Dass das Architektenblatt inhaltlich von Hochbauarchitekten und deren Themenwelt geprägt wird, ist nachvollziehbar und prinzipiell o.k. Die Leistungen von talentierten und erfahrenen Hochbauarchitekten, die mit viel Fingerspitzengefühl ihre Entwürfe in das gebaute oder grüne Umfeld einbinden, sind unbestritten und es macht Spaß (und Hoffnung), immer wieder gelungene Beispiele im Architektenblatt zu sehen. Es geht aber auch manchmal ohne die Kollegen aus der Hochbauzunft – und auch ohne Stadtplaner, wie das Ergebnis des Deutschen Städtebaupreises 2012 zeigt. Natürlich ist es erst einmal eine neue Erfahrung, wenn sich gesellschaftliche und berufliche Horizonte gravierend ändern und nicht (städtebaulich) verbaut werden wie allzu oft in der Vergangenheit. Schade ist aber, wenn dies nicht als Erkenntnis klug verarbeitet, sondern wie im „querstreber“ ins Lächerliche gezogen wird („urbane Nullnummer“). Freiräume hatten für eine gute Stadtentwicklung schon immer eine hohe Bedeutung. In Zeiten von Klimawandel und Nachhaltigkeitsdebatten wird diese Bedeutung weiter steigen – auch wenn viele Planer dies negieren mögen, die Bürger (für die wir letztlich alle arbeiten) fordern es ein. Im Städtebau findet ein Paradigmenwechsel statt: (Nach-) Verdichtung ist mancherorts schon out und nicht mehr immer und überall das viel gepriesene und scheinbar ideale Mittel zum urbanen Zweck. Die Jury des Deutschen Städtebaupreises hat bei ihrer Preisverleihung Weitsicht gezeigt und eben genau solche Projekte gewürdigt, die sich zukünftigen Problemen stellen – und gleichzeitig architektonische Qualität bringen. Wir lernen: Städtebau geht auch anders und auch mal mit weniger Gebäuden. Architekten und Stadtplaner müssten sich wirklich oft schämen für die von ihnen verursachte Bodenversiegelung, denn nicht überall wo Architekt drauf steht, ist auch Qualität drin. In diesem Sinne feiere ich in der Tat so manche Leere in unseren Städten, aber ich möchte auch ermutigen: Stadtplaner, macht weiter! Aber nur wer mehr mit Freiräumen macht, hat noch Chancen auf den Deutschen Städtebaupreis…
Ich lese den „querstreber“ gerne, weil meist blödsinnige Moden oder dämliche Trends pointiert werden, in diesem Fall war das m.E. aber nicht angebracht. Trotzdem danke für die regelmäßige Erfrischung am Heftende!
Volker Lange, Landschaftsarchitekt, Kassel