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Zurück Wachstum

Die neue Bescheidenheit

Wo Wachstum herrscht, da wird gebaut. Und deshalb war Wachstum auch immer gut für die Architektur. Doch was passiert nun, da das Wachstum endet?

30.11.20128 Min. Kommentar schreiben

Text: Cornelia Dörries

Was hat es zu bedeuten, wenn auf der Architektur-Biennale in Venedig der Hauptpreis an ein Projekt geht, bei dem Architekten nicht mehr entworfen und geplant, sondern nur noch die Aneignung eines leeren Hochhaus-Rohbaus durch arme Menschen in Venezuela dokumentiert haben? Welches Bild vermittelt Deutschlands Beitrag von der Architektur eines der reichsten Länder der Erde, wenn er unter dem Motto „Reduce, reuse, recylce“ unter anderem ein unansehnliches, grob behauenes und von gestalterischer Ambition äußerlich unberührtes Fabrikgebäude in Krampnitz beim Potsdam als visionäres Wohn- und Atelierhaus präsentiert? Und wie soll man die Entscheidung der Jury des Deutschen Städtebaupreises verstehen, keinen dreidimensionalen Städtebau, sondern ein durch künstliches Gewässer und Grün ersetztes Stadtzentrum des schwer geprüften Staßfurt in Sachsen-Anhalt zu prämieren (siehe dazu auch hier)

 

2012 muss für Architekten ein verwirrendes Jahr gewesen sein.

 

Es scheint so, als würden gerade Architekturpreise weniger Fragen beantworten als unbeantwortete Fragen aufwerfen – Fragen nach einer Baukultur in Zeiten schwindender Ressourcen und sich verschärfender Verteilungskämpfe. Man kann die betonte Kargheit der prämierten Projekte als bloße Nachhaltigkeits-Pose abtun, die im eigenen Berufsalltag keine Rolle spielt. Aber es handelt sich nicht um eine Pose: Diese Projekte widmen sich der Frage, wie Architektur auf den Wandel ihrer sozialen, materiellen und kulturellen Voraussetzungen schöpferisch reagieren kann. Denn die genannten, preisgekrönten Beispiele zeigen, dass sich die Produktionsbedingungen von Architektur – zumindest in den entwickelten Ländern des Westens – grundlegend verändern.

Wer sich heute für den Beruf des Architekten entscheidet, weiß zum einen, dass er sein Auskommen in einer ­Gesellschaft finden muss, die aufgrund ihrer gesättigten Volkswirtschaft sowie einer alternden und zugleich schrumpfenden Bevölkerung nur niedrige oder stagnierende Wachstumsraten aufweist – was gerade im Bausektor die Nachfrage drückt. Gleichzeitig müssen sich Architekten angesichts der schwindenden irdischen Ressourcen und des Klimawandels mit jedem Projekt die Gretchenfrage des 21. Jahrhunderts stellen: Wie hält es dieser Neubau mit der Nachhaltigkeit? Muss er überhaupt sein? Denn inzwischen hat sich selbst bei fortschrittsgläubigen Kollegen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Energie- und Umweltprobleme mit hochgerüsteter Dämmtechnik, Wärmepumpen und Smart-Home-Technologien nicht zu lösen sind, sondern dadurch zum Teil sogar verschärft werden – da ein neues, noch so avanciertes Niedrig-Energie-Haus nie oder erst nach Jahrzehnten die Menge Energie einspart, die zu seiner Herstellung erforderlich war. Das gilt erst recht, wenn dafür ein bestehendes Gebäude abgerissen wurde.

Bauernstuben, Bauhaus und Anti-Villa

Mit seinem Rückzug vom Neubau hin zum Bestand thematisierte der deutsche Beitrag auf der gerade zu Ende gegangenen Biennale 2012 auch das erschütterte Selbstverständnis des Berufsstands. Das ungeschlacht bearbeitete Fabrikgebäude in Krampnitz sorgte zunächst durch einen ästhetisch radikalen Abschied vom optischen Perfektionismus-Streben und der technikgläubigen Klimadebatte für Aufsehen. Sein Architekt Arno Brandlhuber bezeichnet das Projekt als „Anti-Villa“. Sie nimmt den Platz ein, auf dem das Bauamt bereits die Errichtung eines neuen Einfamilienhauses genehmigt hatte. Dafür sollte das leer stehende Produktionsgebäude aus DDR-Zeiten abgerissen werden. Brandlhuber konnte den Bauherrn jedoch davon überzeugen, den schmucklosen Altbau nicht für ein neues Haus zu opfern, sondern seine knapp 200 Quadratmeter Fläche auf eine Weise zu nutzen, bei der die Lebensführung der zukünftigen Nutzer zum Dreh- und Angelpunkt des Energie- und Flächenkonzepts und des Umgangs mit Ressourcen wird.

Mittelpunkt des Hauses ist ein neu implantierter Kern mit Ofen und Sauna, der die direkte Umgebung wie ein archaisches Herdfeuer erwärmt. Er ist die einzige künstliche Heizquelle des Hauses, um die sich die dauerhaft nutzbaren Wohn- und Aufenthaltsbereiche auf einer Fläche von knapp 50 Quadratmetern gruppieren. Die Zonen, die sich wie Ringe außen herum legen, werden nicht eigens beheizt. In der kalten Jahreszeit beschränkt sich der Wohnraum auf die warme Sphäre. Die kühler temperierten Zwischenzonen werden als Schlafräume genutzt, und die Peripherie bleibt allenfalls frostfrei. Die einzelnen Klimabereiche werden nur durch Vorhänge getrennt. Während sich das Leben im Winter also förmlich um den Glutkern zusammenzieht, kann es sich im Sommer über die ganze Fläche ausdehnen. Wie dieser saisonal abhängige, beträchtliche Zugewinn an nutzbarem Raum dann bespielt wird, ist für Brandlhuber vor allem eine Frage der sozialen Phantasie: „Unser Luxus ist die temporäre Fläche, die so günstig realisiert wird, dass wir sie mit anderen teilen können, ohne den Druck, den eine kapitalintensive Investition unweigerlich erzeugt hätte.“

Kann sich so ein Konzept jenseits der gesellschaftlichen Utopie im Alltag bewähren? Es entspricht dem vieler „guter Stuben“ in Bauernhäusern, die im Winter nur am Wochenende beheizt werden. Auch der 2010 realisierte Berliner „Hegemonietempel“ des Büros heberle & mayer verfolgt diesen Ansatz: Auf dem Dach einer alten Fabrik im Stadtteil Wedding wurde ein Loft in Gewächshaus-Bauweise installiert, dessen Fläche von seinen Bewohnern ebenfalls in Abhängigkeit von den Jahreszeiten genutzt wird. Und nicht zuletzt gibt das Bauhaus in Dessau ein Beispiel: Weil der Denkmalschutz eine Dämmung des Gebäudes nicht zulässt, bleiben manche Unterrichtsräume aus Gründen der Energieeinsparung im Winter kalt und leer (siehe hier).

Diese Nutzer und ihre Architekten sehen als tragfähige Grundlage für eine Energiewende nicht Wärmedämmverbundsysteme, sondern eine Kultur des Verzichts und der bewussten Lebensführung. Sie setzen bei der menschlichen Fähigkeit und der Bereitschaft zur Verhaltensänderung an. Anstelle des technisch maximal Machbaren realisieren sie ein Minimum: das Notwendige.

Nur noch beobachten?

Wie sich das Notwendige zu einem funktionierenden, be­lebten Ganzen fügt, zeigt der mit dem „Goldenen Löwen“ der Biennale ausgezeichnete Beitrag des international agierenden Büros Urban Think Tank: der „Torre David“ in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Was haben die Architekten dort gebaut? Nichts. Sie erhielten den Preis in Venedig fürs Untersuchen, Beobachten und Fotografieren. Ihr Studienobjekt war ein Geschäftshaus-Rohling, der nach dem krisenbedingten Ende der Bauarbeiten im Jahr 1994 allmählich von Landflüchtigen, Tagelöhnern, Obdachlosen und armen Familien in Beschlag genommen wurde. Inzwischen wohnen auf seinen 45 Etagen gut 2.500 Menschen, die Wände aus Folien, Holz oder Ziegeln einzogen, Wassertanks, Elektrokabel und notdürftige Sanitäreinrichtungen installierten und den Rohbau nach und nach in etwas verwandelten, das die einen „vertical slum“ und andere „Sozialskulptur“ nennen. Für die Bewohner ist es „Zuhause“.

In diesem aus der Not geborenen Gefüge hat sich durch die Aktivitäten der Bewohner ein komplexes städtisches Leben mit Kiosken und Friseursalons, kleinen Läden, Werkstätten und Bars entfaltet. Es sieht tatsächlich so aus, als würde diese selbst organisierte urbane Gemeinschaft, die sich ohne jeden planerischen Beistand entwickelt hat, auch weiterhin auf ihn ­verzichten können. Doch gegen eine Verbesserung ihrer ­Lebensbedingungen – Aufzüge, eine verlässliche Wasserversorgung, sichere Wände – hätten nur die Wenigsten etwas einzuwenden, freilich auf einem Niveau, das ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten entspricht. Ein Architekt hätte hier schon in Leistungsphase Eins genug zu tun. Das Projekt wirft die Frage auf: Wozu braucht die Menschheit, und gerade ihr schlecht behauster Teil, noch Architekten?

Beschränkungen? Neue Handlungsfelder!

Fragen zum Berufsbild stellen sich auch angesichts deutscher Verhältnisse. Wenn sich Architekten weniger als ingenieurtechnische Erfüllungsgehilfen der Energie-Einsparverordnung verstehen, sondern eher als Raumgestalter für neue Formen des Zusammenlebens, ergeben sich ganz neue Perspektiven. Gemeinschaftliche, verdichtete Wohnformen, ob Baugruppe, Mehrgenerationenhaus oder Genossenschaft, sind ja nur ein Aspekt des sparsamen, nachhaltigen Bauens. Wer sagt denn, dass sich Einsparvorgaben nur über den Einsatz von Dämmplatten realisieren lassen? Wäre es nicht viel sinnvoller, nach Lösungen zu suchen, die über das einzelne Gebäude hinaus Sparpotenziale im alltäglichen Leben, im Quartier, bei der Mobilität und der Freizeitgestaltung nutzen? Vielleicht lässt sich ja mit der Schaffung eines Car-Sharing-Pools auf Nachbarschaftsebene mehr CO2 reduzieren als mit den extradicken Wänden, Dreifachfenstern und Lüftungsanlagen eines neuen Passivhauses? Der Architekt könnte dafür drei Stellplätze planen statt einer Tiefgarage für eine unübersichtliche Flotte von Familien- und Zweitwagen. Und wäre es dann nicht die Aufgabe von Landschaftsarchitekten, die frei gewordenen Parkplatzflächen mit einer neuen Nutzung zu versehen, bei der man vielleicht auch etwas ernten kann? Mit Architekten und Planern, die nicht so sehr auf immer neue, teure Technik, sondern vor allem auf die Innovationskraft des Sozialen setzen, könnte das klappen.

 

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