Architekten, die in Mexiko bauen, müssen Improvisationstalent beweisen. | Nils Hille
Spannungen und Entladungen – darauf müssen sich Architekten in Mexiko einstellen. Und das nicht nur auf der zwischenmenschlichen Ebene mit dem Bauherrn. Auch geologisch reibt sich hier einiges aneinander. Bis zu einem Dutzend Erdbeben pro Woche erschüttern das Land. Die meisten von ihnen sind schwach, doch bei der Gebäudeplanung müssen die Architekten diese und die stärkeren Erschütterungen berücksichtigen.Peter Ebner hat dies erfolgreich getan. Der Architekt aus München konnte sich trotz mancher Widrigkeiten in Mexiko fest etablieren. Ebner beobachtet „hohe Qualität“, vor allem bei der jungen Architektenszene des Landes. Genau mit der hatte er auch in Kontakt kommen wollen, als er die Anfrage für einen Vortrag in Mexiko bekam. So kündigte er seinen Besuch selbstbewusst schon vorab bei örtlichen Architekten an. Die organisierten eine Willkommensparty, auf der Ebner die Szene kennenlernen konnte. Javier Sánchez, einer aus diesem Kreis, wollte danach gerne mit dem Deutschen zusammenarbeiten. Auf einmal ging alles ganz schnell. „Nach zwei Wochen hatte er ein Grundstück und wir haben gemeinsam zwölf Wohnhäuser dafür geplant“, erinnert sich Ebner. Darauf folgten und folgen heute weitere Projekte, immer wieder auch durch gewonnene Wettbewerbe, wie den der Hauptzentrale von Mexikos größter Baufirma ICA oder den für einen Turm im Süden von Mexiko City mit 420 Wohnungen.
Licht lohnt
Vor allem dieser Wohnungsbau beschäftigt Ebner. „Die Mexikaner haben ein anderes Verständnis von Nähe. Sie ist etwas ganz Normales, die Urbanität ist stärker.“ Wohnungen für die gehobene Mittelschicht sind mit rund 150 Quadratmetern im Durchschnitt viel größer als in Deutschland, da meist ein Dienstmädchenzimmer mit separatem Bad gefordert wird. „Und wenn wir auch Badezimmer mit Tageslicht planen, können wir die Wohnungen 30 Prozent über Marktpreis verkaufen“, sagt Ebner.
Natürlich muss dann auch die Qualität der Ausführung stimmen. „Hierbei muss man aber in Mexiko mit den Handwerkern einfach toleranter sein. Die sind die deutsche Perfektion nicht gewohnt. Dafür haben sie andere Möglichkeiten, um eine besondere Ästhetik zu erreichen, zum Beispiel durch horizontale Geländerstreben an Treppen, die man uns in Deutschland nie genehmigt hätte.“
Not macht erfinderisch
Auch die mexikanischen Baustellen bieten ein anderes Bild als die der Deutschen, wie Staab Architekten erfahren durften. Beim Bau des Kanzleigebäudes der deutschen Botschaft in Mexiko sahen die Berliner weniger Technik, dafür aber mehr Arbeiter vor Ort, erzählt Alfred Nieuwenhuizen, Mitinhaber des Büros. „Der Ablauf ist viel unstrukturierter. Doch mit ihren archaischen Techniken haben sie wunderbare Ergebnisse gebracht.“ Mit Hämmern verliehen die Bauarbeiter dem Betonboden eine besondere Struktur.
Lehrgeld haben die Architekten bei der Ausführungsplanung gezahlt, wie Büroleiter Hanns Ziegler sagt. „Die sieht dort anders aus. In Mexiko macht Ihnen keiner die Werkstattzeichnungen von einer Tür. Von uns wurde die Werkstattplanung erwartet, wogegen es in Deutschland reicht, wenn wir die Leitdetails weitergeben und später die Werkstattzeichnungen der Firmen prüfen.“
Die Anforderungen zu erfüllen und das Budget einzuhalten, war hierbei besonders gefordert. Trotz des engen Kostenrahmens wurden zwar alle Holztüren aus Deutschland importiert. Nieuwenhuizen: „Der Versuch, diese Türen mit Schallschutz vor Ort zu bauen, wäre im Desaster geendet.“ Bei anderen Materialien halfen dagegen nur selbst durchgeführte Tests auf der Baustelle. Eine explizit im Sinne der DIN-Normen durchwurfhemmende Verglasung konnten die Architekten in Mexiko nicht auftreiben. Auf infrage kommendes Glas ließen sie selbst, entsprechend dem Prüfverfahren, eine Eisenkugel fallen. „Acht Mal sind wir gescheitert, dann hatten wir das richtige Material gefunden“, erinnert sich Ziegler schmunzelnd.
Mit Sicherheit
Und die größeren Erschütterungen, in Form von Erdbeben, waren natürlich auch von ihnen zu berücksichtigen, so Nieuwenhuizen. „Wir haben zum Glück nicht in der am stärksten gefährdeten Zone gebaut, trotzdem mussten wir zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen treffen.“ Zumal bei einer Botschaft die Sicherheit ohnehin ein großes Thema ist. „Riesige Fundamente, verbunden mit Zerrbalken, schufen einen Boden, auf dem wir bauen konnten“, erklärt Ziegler. Auch die Wasserversorgung ist in Mexiko ein heikles Thema. Die Architekten mussten große Tanks unter die Erde setzen, aus denen die Feuerwehr im Notfall ihr Löschwasser pumpen kann. Regenwasser soll versickern und darf nicht in die Kanalisation geleitet oder gesammelt werden. Und durch die tektonischen Verschiebungen ist auch die Trinkwasserversorgung nicht sichergestellt. Die Leitungen können reißen. Nieuwenhuizen: „Alle Versorgungsnetze sind instabil. Das ist für eine Botschaft nicht tolerabel. Neben einer Möglichkeit zur Trinkwasserbevorratung mussten wir für die Stromversorgung einen Trafo miteinplanen.“ Trotz der vielen Besonderheiten blieb aber auch Zeit für die Planung des später sichtbaren Teils der Arbeit. Zuerst haben die Architekten die Innenhöfe entwickelt. Darum „wickelten“ sie das Haus. So „greift die Architektur das spanisch-lateinamerikanische Baukonzept des offenen Innenhofes als zentrales Gestaltungselement auf“, wie auf der Internetseite der Botschaft zu lesen ist.
Durch eine Ortsbesichtigung lernten die Architekten die Umgebung des künftigen Kanzleigebäudes kennen. Hierbei stellten sie fest, dass in Mexiko sehr viel mit vulkanischen Steinen gebaut wurde. Nieuwenhuizen und Ziegler haben in dem Gebäude dann deutsche und mexikanische Architektur über die Materialien zusammengebracht. Die spätere Verwendung des einheimischen Tezontle-Steins für die Fassade ist dabei wohl das deutlichste Symbol.
Gutes Gefühl trotz Problemen
Doch nicht alles blieb den Architekten in guter, harmonischer Erinnerung. Insgesamt verzögerte sich der Bau um ein halbes Jahr. Vor allem die Probleme mit dem Generalunternehmer rissen nicht ab. Letztlich blieb den Botschaftsangestellten nichts anderes übrig, als in das nicht fertige Gebäude einzuziehen.
„Wir würden gerne wieder in Mexiko bauen, auch wenn das Ende wegen der faktischen Pleite des Generalunternehmers für Partner und Nutzer bitter war“, sagt Nieuwenhuizen. Denn bei ihrer Arbeit in Mexiko bemerkten die Deutschen immer wieder eins: Der zwischenmenschliche Faktor stimmte. Mit den „tollen, freundlichen Menschen“, so Ziegler, konnten sie sich gut auf Englisch verständigen.
Als sehr offen erlebte auch Peter Ebner aus München die Menschen in Mexiko: „Sie beschreiten gerne neue Wege, haben keine vorgefertigte Meinung. Das finde ich sehr positiv.“ Und unter den Architekten herrscht nur selten Neid. Wenn einer von ihnen eine Party veranstaltet, dann kommen die anderen alle und gerne. Ebner fühlte sich spätestens dann voll akzeptiert, als sich die Mexikaner dafür einsetzten, dass er mit ihnen an der Architekturbiennale in Venedig teilnehmen durfte. „Alle neun Beteiligten sind gemeinsam zur Architektenkammer gegangen und haben gesagt: ‚Entweder mit Ebner oder gar nicht!‘ Das fand ich eine sehr schöne Geste.“Jungen Studenten und Architekten kann er grundsätzlich nur empfehlen, berufliche Erfahrungen in Mexiko zu sammeln. Momentan sei die Wirtschaftskrise aber deutlich in den Büros zu spüren. So rät Ebner, man solle abwarten und „auch das andere Lebensgefühl berücksichtigen. Wenn Sie lange dort sind, wird es Ihnen schwer fallen, wieder nach Deutschland zurückzukommen.“
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