Nils Hille
Zumindest eines verbindet Wuppertal und London: Beide liegen auf 51,5 Grad nördlicher Breite. So haben die Architekten Franziska Wagner und Swen Geiss einen Namen für ihr Büro mit Standorten in beiden Städten gefunden: Team 51,5 Grad Architekten. Beide haben in Aachen studiert. Geiss brauchte länger und blieb dann für eine Assistentenstelle an der Hochschule. Wagner ging 1995 nach London: „Zu dem Zeitpunkt war es eher schwer, Arbeit in England zu finden. Alle gingen nach Berlin, sie wollte ins Ausland“, so Geiss.
Und dass es eigentlich nur eine „temporäre Idee“ für die nächsten ein bis zwei Jahre gewesen sei. Doch es kam anders: Zuerst arbeitete Wagner bei Foster and Partners in London – an einem deutschen Projekt, dem Designzentrum auf der Zeche Zollverein.
Anstoß zum Holzbauboom
Nach diversen Berufsstationen brachte 2003 ein Londoner Schulprojekt die beiden als Büro zusammen. 1 000 Quadratmeter Gesamtfläche, davon je zur Hälfte Neubau und Sanierung, war die Herausforderung. Dabei wollten sie deutsche und britische Arbeitsweisen verknüpfen: Geiss: „Spannend wurde es, als wir Planungskulturen zusammenbringen konnten und man so voneinander lernte. In der deutschen haben zum Beispiel Fragen der Nachhaltigkeit eine lange Tradition. Die britische Architektur ist experimenteller in einem bunteren Kontext. Das verwundert nicht, besonders im multikulturelleren Kontext von London.“
Das Thema Schulbau beschäftigt viele Architekten in Großbritannien. 5,6 Milliarden Pfund, mehr als acht Milliarden Euro, werden allein in den Jahren 2007/08 in Baumaßnahmen des Erziehungs- und Bildungswesens investiert. Im Rahmen des Regierungsprogramms „BSF Building Schools for the Future“, das bis etwa 2020 laufen wird, sind rund 140 neue Schulen geplant, fast 100 bestehende Bildungseinrichtungen sollen modernisiert werden.
Auch Team 51,5 Grad blieb bis heute am Thema. Im Londoner Stadtteil Putney haben die beiden eine Grundschule erweitert. Das Gebäude der 50er-Jahre von Architekt Ernő Goldfinger baute in den 60ern selbst schon einmal aus. Daran orientierten sich die beiden. Der dominierende Baustoff im neuen Unterrichtsraum ist Holz. Die Außenwände aus Massivholztafeln sind außenseitig gedämmt und mit einer horizontalen Holzverschalung verkleidet worden. Für die Bautechnologie mit vorgefertigten Massivholzteilen, die eigentlich aus Deutschland stammt, fand sich eine Firma vor Ort, die diese einsetzen konnte. Geiss: „Zwischenzeitlich interessierten sich viele Architekten dafür und bauen in dieser Weise. Wir haben sozusagen kontinentales Denken in den englischen Kontext gesetzt.“ Der Schulraum in Putney war in anderthalb Tagen zusammengeschraubt.
Ein hoher Bedarf besteht auch bei sozialem Wohnungsbau. Ministerpräsident Gordon Brown erklärte das Thema zu einer Aufgabe mit hoher Priorität. Regierung, Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften wollen in den Jahren 2007/08 rund 5,6 Milliarden Pfund in Wohnungsbauprogramme investieren. Werden Einheiten abgerissen, entstehen auf gleicher Fläche doppelt so viele. Ab einer gewissen Anzahl von Eigentums- und Mietwohnungen müssen sich die Bauherren verpflichten, 25 bis 50 Prozent Sozialwohnungen in das Gebäude zu integrieren.
Und wenn ein Investor sehr viel bauen will, muss er der Allgemeinheit dafür etwas geben. So bekommen zum Beispiel öffentliche Plätze eine neue Gestaltung. Hier hat Team 51,5 Grad bisher keine Neubauaufträge, nutzt aber Chancen im Bestand. Geiss: „Noch um 1995 wurden Fenster mit Einfachverglasung im Neubau eingebaut. Diese müssen im sozialen Wohnungsbau entsprechend des ‚decent home standards‘ bis etwa 2012 ausgetauscht werden.“
Bei der Arbeit in Großbritannien gelten andere Regeln als bei uns. Das Ausschreiben der einzelnen Gewerke ist nicht sehr verbreitet. Generalunternehmer sind die Normalität. Achten muss man auf eine enorme Reglementierung, die mittlerweile stattfindet. Das Bauen wird teurer, da viele Sicherheitsstandards eingehalten werden müssen.
Architekten als Gestalter
Eine Planungskultur wie in Deutschland mit Bauanträgen, die sich an bestimmte Regeln halten, kennt man in England aber nicht. Wenn hier jemand bauen will, wird geprüft, ob dies einem anderen zum Nachteil werden könnte. Anders als in Deutschland werden zum Teil auch gestalterische Aspekte von der Planungsbehörde beurteilt. Auch die Aufgabe der Architekten ist in diesem Land eine andere: „In Großbritannien werden Architekten viel mehr als Gestalter gesehen, während es zum Beispiel für die Massenermittlung ausgebildete Fachleute gibt und die Kultur technischer Consultants ausgeprägter ist.“
Und die Bauindustrie ist ebenfalls anders aufgestellt. Es gibt viel weniger produzierendes Gewerbe im Land, dafür wird sehr viel importiert. Die „Hälfte eines Gebäudes“ kommt somit meist aus anderen Ländern.
An Aufträge kommen Team 51,5 Grad vor allem durch ihre Erfahrungen und Kontakte. Bereiche wie der Wohnungsbau sind ein Markt, doch wenige Wettbewerbsausschreibungen machen den Einstieg von Newcomern schwierig. Geiss: „Oft sind es nur Ideenwettbewerbe. Oder der Auftraggeber beziehungsweise eine Jury wählt vorher aus, welche Architekten dabei sein sollen.“
Wer grundsätzlich erst einmal einen Job sucht, dem bietet das Land eine zusätzliche Möglichkeit: Verschiedene Agenturen sind darauf spezialisiert, Personal für Architekturbüros nach England zu holen. Geiss wünscht sich für die Zukunft seines Büros etwas ganz Besonderes: „Da wir uns mit der Sanierung von Wohnhochhäusern schon länger beschäftigen, hoffen wir, diese Ideen im Um- und Neubau realisieren zu können.“
Großbritannien
Weiterführendes:
- Staatliche Kommission für Baukultur (www.cabe.org.uk)
- RIBA – Royal Institute of British Architects (www.architecture.com)
- ARB – Architects Registration Board (www.arb.org.uk)
Agenturen:
Zeitschriften: building design, architects journal, architecture today